November / Dezember 2022
NEO NATURA
vom Sichtbarwerden einer Neuen Natürlichkeit
Karlsruher Institut für Technologie
Master
18.10.2021
Professur Raum und Entwerfen
Bildungsbauten
Vectorworks, Rhino
Das Verhältnis von Mensch zu Tier und Natur ändert sich rasant. Natur im romantischen Sinne der Ursprünglichkeit und Unverfälschtheit gibt es nicht mehr.
Es kommt zu einer Neudefinition dessen, was wir Natur nennen – zu einer Neuen Natürlichkeit. Diese Neue Natürlichkeit erfüllt aber ebenso den Drang des Menschen nach „Exotischem“.
Als „exotisch“ gilt dabei per Definition nicht mehr das außer-europäische, sondern das „fremdartig wirkende und dabei einen gewissen Zauber ausstrahlende“ der notwendigen Technik.
Die Raumproduktion funktioniert über die Infrastruktur und wird zu technisch kontrollierbaren Einheiten wie °C, Lux oder %-Luftfeuchte. Die zur Herstellung unterschiedlicher „environments“ benötigten Elemente eines zunehmenden technischen Gradienten werden zu atmosphärischen Räumen kuratiert.
Exemplarisches Grundstück für den architektonischen Versuchsaufbau ist der Friedrichsplatz in der Innenstadt Karlsruhes, gegenüber dem Naturkunde Museum. Das Naturkunde Museum manifestiert als klassizistischer Bau den traditionellen Blick auf die Natur. In Dioramen und bunten Aquarien werden Lebenswelten möglichst naturnah wiedergegeben. Dieser klassischen Betrachtung der Natur wird ein neuer Blick auf die Neue Natürlichkeit entgegengesetzt. Die bestehende Tiefgarage schneidet die sichtbare „Natur“ an der Oberfläche bereits räumlich von der eigentlichen Erde darunter ab.
In einer Struktur aus Gewächshausschotten macht eine innenräumliche Parkanlage die technogenen Räume für Tierhaltung und zur Produktion von Natur erlebbar.
Diese technogenen Räume werden dafür aus dem wissenschaftlichen Umfeld in den öffentlichen Raum gebracht, so dass sie erlebbar und damit diskutierbar werden.
Die Normalisierung eines absurden Zustandes durch Entzug der Öffentlichkeit wird sichtbar gemacht. Sie verliert ihre Unangreifbarkeit, die sie durch ihre Unsichtbarkeit im wissenschaftlichen Umfeld hatte, und wird hinterfragt.
Der Entwurf wirft vor dem Hintergrund aktueller wissenschaftlicher Entwicklungen pressierende Fragen auf:
In welcher Form der Co-Habitation leben wir mit Tieren und Pflanzen?
In wieweit kann die Gewächshausstruktur „upgedatet“ werden? Wann wird diese neue Institution obsolet?
Gibt es die „firmitas“ im Sinne Vitruvs noch?
Welche Rolle nimmt die Architekt:in in der neuartigen atmosphärischen Raumproduktion ein, wenn diese über wissenschaftliche Kennwerte bereits vordefiniert ist?
Text von Lisa-Maria Behringer.