Die Zukunft des Vorhandenen: Rück- und Ausblick unserer Sommerschule „Bestand der Dinge”

Mitte September war es endlich so weit: Unsere erste Sommerschule. Sieben Tage lang haben wir gemeinsam mit rund 30 Studierenden Strategien für das Bestehende diskutiert und entwickelt. Ein erster Rückblick.

Den universitären Architekturkosmos der Praxis nähern, um das Verständnis unserer Disziplin zu diskutieren und (neu) zu verhandeln – das haben wir uns für unsere erste Edition der baunetz CAMPUS Sommerschule „Bestand der Dinge“ vorgenommen. Mit dieser Agenda haben wir das Programm zusammen mit Jan Kampshoff, Professor am FG DE/CO der Technischen Universität Berlin (TU Berlin), vom 13. bis 20. September für rund 30 Studierende diverser Hochschulen Deutschlands und Österreichs durchgeführt. Es war eine enorm erkenntnisreiche, arbeitsintensive und von Austausch geprägte Woche in Berlin, in der die Teilnehmenden in kürzester Zeit räumliche Vermittlungsstrategien entwickelt haben, die das Bestehende in die Zukunft blicken lassen.

Offener Ort der Transformation

Mit unserer Sommerschule waren wir zu Gast in der StadtWERKSTADT Friedrichshain-Kreuzberg – genauer gesagt in der Adlerhalle, auf dem 4,7 Hektar großen Dragoner Areal. Das denkmalgeschützte Gelände, das seit den 1920er Jahren als Gewerbegebiet genutzt wird, wird nun rekommunalisiert. Die ehemalige KfZ-Halle – ein lichtdurchfluteter, großzügiger Raum – war unser Hauptquartier für die Woche. Durch die flexible Anordnung von Stühlen, Böcken, Tischen und Küchenmobiliar konnten wir das Setting an die Sommerschulformate anpassen – gemeinsames Diskutieren, Arbeiten, Vortragen bis zu Kochen, Essen sowie Ausstellen und schlussendliches Feiern. In dieser offenen Struktur wurden die Studierenden und wir selbst tagtäglich zu Transformator*innen des vorhandenen Raumes.

Input, Input, Input

Zwei Workshop-Tage, sechs Exkursionen, drei Abend-Talks, zwei intensive Arbeitstage und eine feierliche Finissage: Das Sommerschul-Programm, mit interdisziplinären Expert*innen und Gästen aus unserem Netzwerk, war umfangreich. Hierzu haben unsere Mentor*innen in den jeweiligen Workshops die architektonische Auseinandersetzung mit dem Bestand unterschiedlich thematisiert: Zum einen mit Fokus auf (Um)Nutzungsstrategien, Transformationsprozessen und Beteiligungsformaten – zum anderen mit Schwerpunkt auf dem zirkulären Bauen und Planen. Über die integrierten Exkursionen zu Modellprojekten wie der Floating Berlin, den Prinzessinnengärten, dem Reallabor Radbahn, dem Impact-Hub oder der Blauen Stunde im Spreepark konnten die Studierenden Praxisansätze im Umgang mit bestehenden Strukturen wahrnehmen. Die thematisch angeschlossenen Abend-Talks eröffneten im Anschluss einen Diskussionsraum mit Gästen. Diskutiert wurden nicht nur Projekte und Positionen, sondern auch sich verändernde Lehrmethoden und das Berufsbild unserer Planungsdisziplinen – und das unter reger Beteiligung der Studierenden.

Ressource und Wertschätzung

Wenngleich der Fokus der Summer School nicht auf Output und Produktion lag, sondern vielmehr auf das Generieren einer Plattform für den Austausch, waren die Studierenden jedoch gefragt, das Aufgenommene zu verarbeiten. Wie kann man den Bestand besser wahrnehmen, erfahren und kommunizieren? – Aus dieser Fragestellung entstanden vier strategische Konzepte.

Das Projekt „Patina Prima“ nahm sich dem Thema Materialkreisläufe an. Aufbauend auf den Inputs unserer Mentorin Margit Sichrovsky, Gründerin von LXSY, sowie von Annabelle von Reutern von Concular, hat sich die Studierendengruppe intensiv mit dem wahrgenommenen Wert oft unbeachteter Bauteile auseinandergesetzt. Durch gezielte Hervorhebung einzelner Elemente, einem persönlichen Fragebogen zur kreativen Verwendung und dem Aufruf zur Beteiligung auf Instagram hat das Team die Adlerhalle zu einer räumlichen Bauteilausstellung gemacht. 

Wann ist aber ein Gebäude (noch) wertvoll? Ein etabliertes Siegel bleibt häufig nur dem repräsentativen Bestand – dem Denkmal – vorbehalten. Darüber unterhielt sich Christoph Rauhut, Landeskonservator von Berlin, ausführlich mit den Studierenden im Rahmen eines Abend-Talks. Weshalb der Abriss von Gebäuden anstatt der Erhalt einer Rechtfertigung bedarf, brachte uns Alexander Stumm mit der Erläuterung des Abrissmoratiums am Abend zuvor näher. Diese Themen griff eine zweite Gruppe in dem Projekt „ErhaltensWert“ auf. Mappings, die bereits zahlreiche Informationen über den Erhalt bestehender Strukturen bieten, und ein neu erstelltes Zertifikat schufen die notwendigen Parameter für die Anerkennung des „pedigree-losen“ Bestands. 

Aktion und Partizipation

Studio Genua erklärte den Studierenden am ersten Workshop-Tag Transformationsprozesse und Partizipationsmethoden, mitunter am Beispiel ihres eigenen Projektes „Pool Potentials“, der saisonalen Umnutzung von Sommerbädern. Mit „be/fragt“ hat das dritte Team eine ähnliche Strategie verfolgt und selbst eine akute, niederschwellige Analyse zum allgemeinen Meinungsbild erarbeitet. Installiert haben sie dazu in der Adlerhalle einen räumlichen Fragebogen zur Entwicklung der Bauwende in Lehre und Praxis. 

Wie nehmen wir überhaupt wahr, dass ein Gebäude kurz vor dem Abriss steht? Die vierte Gruppe zielte auf Wahrnehmung durch räumliche Präsenz ab. „Das letzte Ma(h)l?“ stellte eine Aktion dar, in der sich das Team mit einem gedeckten Tisch vor einen abrissgefährdeten Bestand positioniert. Ziel ist es, die Öffentlichkeit aufmerksam zu machen und zum Austausch einzuladen. Die Pop-Up-Aktion lädt auf Instagram dazu ein, selbst ähnliche Intervention zu starten oder an ihnen mitzuwirken. 

Der Ausblick für die entwickelten Strategien besteht darin, sie vielerorts, an den eigenen Hochschulen und mit weiteren Personen weiterzudenken. Wir blicken auf eine bereichernde Woche des Austauschs und vielen Erlebnissen mit einem großartigen Team zurück. Zur Sommerschule 2023 erwartet euch zudem noch ein dokumentarischer Film sowie Stimmen und Statements in einem Sonderpodcast. Stay tuned!