Abschied von DE/CO: Das Verticalstudio „Interimistische Interventionen“

In seinem letzten Entwurfsstudio lotet der Lehrstuhl von Prof. Jan Kampshoff ein weiteres Mal die Grenzen der Architektur aus und fragt: Wie können temporäre Architekturen Transformationsprozesse katalysieren?

Nach sechseinhalb Jahren verabschiedet sich das Fachgebiet DE/CO Entwerfen und Baukonstruktion der Technischen Universität Berlin von Prof. Jan Kampshoff. In diesem Zeitraum versuchten die Lehrkräfte gemeinsam mit den Studierenden, die Architekturlehre über das herkömmliche Verständnis hinaus zu öffnen und experimentelle Räume möglich zu machen. Das Fachgebiet stand für interdisziplinäres und gemeinschaftliches Denken und Arbeiten. In diesem Sinne fand auch die Zusammenarbeit von baunetz CAMPUS mit Prof. Kampshoff im Rahmen unserer ersten Summerschool „Bestand der Dinge“ 2023 statt. Vom Lehrstuhl bleiben eine ganze Studierendengeneration, die sich in den DE/CO-Studios über sämtliche Maßstäbe hinweg ausprobieren konnte, Erinnerungen an Exkursionen, spannende Vorträge und nicht zuletzt gemeinsam erlebtem Spaß.

Neu-Morschenich-Alt

Das letzte DE/CO-Entwurfsstudio im Wintersemester 2023/24 befasste sich mit der verlassenen Ortschaft Morschenich-Alt im rheinischen Braunkohlerevier. Ursprünglich sollte das Dorf in dem nur 700 Meter entfernten Tagebau Hambach einverleibt werden, die Bewohner*innen waren bereits umgesiedelt. Nachdem das vorzeitige Ende des Braunkohlenabbaus beschlossen wurde, überlebt Morschenich-Alt. Doch wie sieht die Zukunft dieses Ortes aus, an dem sich exemplarisch die Prozesse von Struktur- und Klimawandel abzeichnen? 

Im Studio sollten Bachelor- und Masterstudierende diesen Moment der Transformation und Neuerfindung unter die Lupe nehmen und „interimistische Interventionen“ entwerfen. Dabei handelte es sich um spontane Maßnahmen, die das Dorf in seinem derzeitigen Schwebezustand stützen und eine Weiterentwicklung lostreten können. Im Verlaufe des Semesters zeigte sich, auf welchen Ebenen sich dieses „Stützen“ abspielen kann.

Annäherungen

Das Studio begann mit der Analyse von Bildern des Fotografen Francisco Ibanez Hantke, der die Fragilität transformativer Prozesse im urbanen Kontext verdeutlicht – beispielsweise Bestandsfassaden, die sich nur durch eine zusätzliche Stützkonstruktion tragen. Die Zusammenhänge zwischen unterstützenden Struktur und dem im Wandel begriffenem Bestand untersuchten die Studierenden auf statischer und ästhetischer Ebene. In weiteren Schritten übertrugen die Kursteilnehmer*innen ihre Erkenntnisse in räumliche Strukturen, die sie in Form von Collagen und einem abstrakten entmaterialisierten Modell als erste Intervention in Morschenich-Alt platzierten. Zudem galt es, vor Ort Feldforschung zu betreiben. Das bedeutete, genaues Hinschauen und die Eigenarten der gebauten Umwelt herauszuarbeiten und in Skizzen, Fotografien oder auch textlichen Notizen zu dokumentieren. Ihre Entdeckungen und Fundstücke konnten die Studierenden später als Startpunkt für erste Entwurfsansätze verwenden.

Verhandlungsspiel

In Zusammenarbeit mit Lidia Gasperoni vom FG Architekturtheorie fand die Projektintegrierte Veranstaltung (PiV) „Verhandlungssache: Bestand in Transformation“ statt. Dabei handelte es sich um eine performative Erforschung  größerer Zusammenhänge, die an Orten tiefgreifender Wandlungen gebündelt auftreten. Die Studierenden näherten sich den Fragen von Boden, Macht, Besitz und Transformation in Form eines kollektiven Rollenspieles. Rollen konnten menschliche oder nicht-menschliche Akteur*innen, Phänomene, Ressourcen oder auch Gefühle sein – wie etwa „Die Krise“ oder „Das Kapital“. Hierbei fand eine Anlehnung an das klassische Drama in Form von einem dreiaktigem Versuchsaufbau statt.

Gezielte Anstöße

Nach den Vorübungen erhielten Masterstudierenden die Aufgabe, temporäre Architekturen an verschiedenen Situationen um Morschenich-Alt herum zu entwickeln. Diese sollten sich am Gemeinwohl orientieren und Räume des Verhandelns und des Dialoges aufspannen. Die Bachelorteilnehmer*innen sollten die Ruine der abgebrannten Kirche im Dorfkern nach den oben genannten Gesichtspunkten bespielen. Die in den vorherigen Schritten gezeigten Potenziale interimistischer Interventionen wurden von den Studierenden nun an einem konkreten Ort angewandt und sowohl räumlich als auch institutionell gedacht.