Hacking the Eiermann: Zeitenwende für einen Klassiker

Mit einem Handgriff wollte Tim Schuetze die Eiermann-Ikone zu einem zeitgemäßen Arbeitstisch transformieren. Ein voller Erfolg: Nach einem Instagrampost folgt nun die Serienproduktion.

Sitzen allein ist schon lange keine Option mehr, zumindest nicht für unsere Rücken, die sich oft über die Eiermann-Tische der Redaktion beugen mussten. Zum Glück schaffen Stehtische jetzt Abhilfe. Allerdings sind die neuen Arbeitsplätze nicht mehr im archetypischen Design des Eiermanns, denn bisher bietet der Hersteller Richard Lampert keine höhenverstellbare Alternative an. Der Produktdesigner Tim Schuetze muss mit Sorge auf die zahlreichen Kreativstudios, Büros und Hochschulen geschaut haben, die bisher in einer zweckmäßigen Schlichtheit ausgestattet sind. Im Rahmen eines Uni-Projekts bei Prof. Holger Neumann und Julian Ribler an der Universität der Künste (UdK) entwickelte er im Wintersemester 2021/22 erste Entwürfe für ein höhenverstellbares Design. 

Erweitern statt Ersetzen 

Unter dem Titel „Motion Theory“ entwarfen die Studierenden am Institut für Produkt- und Prozessgestaltung bewegliche Möbel. In Zusammenarbeit mit dem Gleitlager-Hersteller igus entstanden Lampen, Tische und Sitzgelegenheiten. „Hacking the Eiermann“ sollte das Möbelstück mit einem Handgriff vom Sitz- zum Stehtisch verwandeln. Tim Schuetze legte Wert darauf, im Bestehenden zu denken und nach dem Ansatz „erweitern statt ersetzen“, alte Tische mit der neuen Funktion auszustatten. Mithilfe von additiven Fertigungstechniken entwickelte er ein System aus Riemen und Spindeln. Die Arbeitsplatte kann auf mechanische Weise stufenlos in die gewünschte Position gehoben werden. Das Lösen einer Bremse ermöglicht das Absenken. Da das Gewicht für den Entwurf relevant war, unterstützte der Hersteller Finsa das Projekt mit Leichtbauplatten.

Schnell entdeckt

Nach der Fertigstellung des Prototyps veröffentlichte Tim Schuetze ein Video auf Instagram. Zwei Tage später erhielt er eine persönliche Nachricht von Richard Lampert. Im Februar 2023 präsentierte er dem Hersteller sowohl eine mechanische als auch eine elektronische Variante, und bald darauf stand fest, dass die Entwürfe auf der Mailänder Möbelmesse 2023 gezeigt werden. Für Richard Lampert war dies eine passende Entwicklung für ein besonderes Jahr: Neben dem dreißigjährigen Jubiläum des Unternehmens feierten sie auch das siebzigjährige Bestehen des originalen Eiermann-Tischdesigns von Egon Eiermann aus dem Jahr 1953. Auch Tim Schuetzes Entwurf erhielt erneut Aufmerksamkeit. Bei dem Wettbewerb One and Twenty vom Deutschen Rat für Formgebung landete „Hacking the Eiermann“ unter den Gewinner*innenprojekten. Die rasante Entwicklung führte zu einem ungeplanten Urlaubssemester und die Verschiebung seines Masterabschlusses. Für die Praxiserfahrung und die Arbeit an einem realen Produkt nahm Tim Schuetze die Umstände gerne in Kauf. 

To be continued

Das Unternehmen Richard Lampert entschied sich vorerst für die Weiterentwicklung der elektronischen Version des höhenverstellbaren Tisches. Durch die hohe technische Komplexität und den größeren finanziellen Aufwand fiel das mechanische System vorerst aus dem Rennen. Eine Umfrage bestätigte diese Entscheidung und prognostizierte ein größeres Potenzial für den elektronischen Tisch. Die Entwicklung des dynamischen Eiermann-Gestells geht weiter, und wir können uns schon bald auf marktreife Exemplare freuen.