Partizipative Projektmethodik: Reallabor in der Favela do Haití

Studierende aus São Paulo nahmen sich im Rahmen eines Semesterprojekts vor, die soziale und gebaute Struktur einer Favela  nachhaltig zu verbessern.

Die Escola da Cidade in São Paulo, Brasilien, bietet Architekturstudierenden ein einzigartiges Lehrformat: Im neunten Semester, kurz vor der Diplomarbeit setzt sich die gesamte Studierendengruppe mit einem realen, gemeinnützigen Projekt auseinander. Seit letztem Jahr koordiniert Noelia Monteiro diesen komplexen Kurs, das sogenannte „Projeto único“, in dem sich aktuell etwa 50 Studierende mit der Favela do Haití beschäftigten.

Reale Herausforderung Stadt

Mit ihren 12 Millionen Einwohner*innen ist São Paulo eine Metropole voller Kontraste, die sich nicht nur auf gesellschaftlicher, sondern auch auf städtebaulicher Ebene manifestieren. Eine besondere soziale und urbane Struktur bilden dabei die Favelas – ungeplante, organisch gewachsene Siedlungen, die einen Kontrapunkt zur Top-Down-Stadtplanung setzen und die Stadtentwicklung vor explizite Herausforderungen stellen.

Die Escola da Cidade, was übersetzt „Schule der Stadt“ bedeutet, bereitet Generationen von Architekturstudierenden auf urbane Herausforderungen vor. Das Format des „Projeto único“ ermöglicht es ihnen, sich erstmals umfassend mit einer realen Aufgabenstellung auseinanderzusetzen. Innerhalb eines Semesters müssen sie den Ort und seine Gemeinschaft verstehen und mit Mitteln der Architektur auf deren neuralgischen Aspekte reagieren. Im Vergleich zur DesignBuild-Lehrmethode liegt hier der Fokus nicht auf einem einzigen Entwurf, den eine größere Studierendengruppe umsetzt, sondern auf der freien Wahl und der Sinnhaftigkeit der Interventionen.

Fallstudie Favela do Haití 

Unter der Betreuung von Carlos Augusto Ferrata, Pablo Emilio Hereñu und Noelia Monteiro widmeten sich die Studierenden im vergangenen Jahr der komplexen Struktur der Favela do Haití. Mit einem partizipativen Ansatz und im engen Dialog mit der örtlichen Gemeinschaft entwickelten sie eine beeindruckende Vielfalt an Interventionen und Entwürfen. Angefangen von Prototypen für Pflastersteine und Entwässerungssysteme bis hin zu punktuellen Eingriffen wie der Überdachung von Höfen und modularen Fassadenlösungen sowie neuen Wohnmodellen hatte das Projekt einen Reallabor-Charakter und umfasste alle Maßstäbe. Für Lehrende und Studierende stand nicht die Vergleichbarkeit der Projekte im Vordergrund, sondern der durch architektonische Mittel für die Favela geschaffene Mehrwert. 

Das all-in-one Projekt – Eine besondere Lehrmethode

Die Zusammenarbeit mit einer unbekannten Gemeinschaft, die spontane Planung für einen spezifischen Ort bis zur Realisierung von Prototypen – all dies innerhalb eines Semesters zu bewältigen, ist das ehrgeizige Ziel des „Projeto único“. Um diese Herausforderung erfolgreich zu meistern, kombinierte der Kurs theoretischen Unterricht mit praktischer Projektarbeit und integrierte zahlreiche Expert*innen, die mit ihrem Fachwissen zur schnellen Erfassung der Aufgabenstellung beitrugen. Im Rahmen des „Favela do Haiti“-Projekts erhielten die Studierenden Inputs zu verschiedenen Themenbereichen, darunter partizipative Ansätze und Prinzipien der öffentlichen Raumgestaltung, Typologien des sozialen Wohnungsbaus, konstruktive Details und die Nutzung von Abbruchmaterial für Prototypen.