Urban Habitat: Künstlerische Forschung in Berlin-Kreuzberg

Die Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg und ihre Umgebung diente interdisziplinären und internationalen Kunststudierenden als Ausgangspunkt für eine kreative Auseinandersetzung mit urbanen Lebensräumen.

Insgesamt 13 Künstler*innen und Filmemacher*innen untersuchen das Umfeld einer bedeutenden Straße in Berlin-Kreuzberg. Dazu schickten sie kleine Audio-Rekorder durch die Wohnungen der Anwohner*innen, plakatierten Fassaden-Collagen oder misteten urbane Ställe aus. Die daraus entstandenen multimedialen Arbeiten wurden im Rahmen des Seminars „Urban Habitat: künstlerische Feldforschung zu Lebensräumen auf der Oranienstraße“ unter der Leitung von Lilli Kuschel an der Universität der Künste Berlin im Studiengang Kunst und Medien konzipiert. Alle Projekte wurden im Februar 2024 zudem in Kooperation mit dem Projektraum SCOTTY in einer Ausstellung auf der Oranienstraße selbst gezeigt.

O-Straße verstehen

Nach dem Mauerfall wurde die Oranienstraße zum Zentrum des Häuserkampfes, migrantischer Protestbewegungen, der Subkultur und des Partylebens. Dank der politischen Arbeit der Hausbesetzer*innen wurde der Abriss ganzer Häuserblocks für den Bau einer Autobahn quer durch Kreuzberg verhindert. Heute ist die Straße zunehmend von Gentrifizierung bedroht. Die künstlerische Mitarbeiterin Lilli Kuschel, selbst in Kreuzberg geboren, verbindet mit der Oranienstraße Erinnerungen an ihre Jugend. Vor diesem Hintergrund hat sie die Teilnehmer*innen des Seminars auf eine Entdeckungsreise auf die Oranienstraße in Kreuzberg eingeladen, um in Verbindung mit den Recherchen vor Ort, eigene freie künstlerische Arbeiten in Auseinandersetzung mit der Straße zu verwirklichen.

NUN - urban stable von Thomas Guggenberger, Edlin Jap, Yuka Ichikawa, Terence Li, Yujin Song, Sidar Torunlu; 2 channel mixed-media installation, 14 min, color, German/English/Korean

Vielfältige Annäherung vor Ort

Die Teilnehmenden – stammend oder mit Hintergründen aus der Türkei, Japan, Brandenburg, Belarus, Argentinien, Österreich, Deutschland und Korea – haben sowohl alleine als auch in Gruppen gearbeitet, basierend auf ihren Interessen und den Seminarinteraktionen. Um den Ort von außen zu verstehen, erkundete die Gruppe in der ersten Seminaretappe intensiv den Kiez und tauschte sich bei Kiez-Spaziergängen untereinander sowie mit den Akteur*innen vor Ort über Geschichten aus der Nachbarschaft aus. Neben Treffen mit ansässigen Künstler*innen und Gastvorträgen zur Geschichte Kreuzbergs besuchten sie unter anderem das Kreuzberg-Friedrichshain Museum, das offene Archiv „Block 57“ und erkundeten die Hinterhöfe des Blocks. 

Home enough? Beril Güler, Paloma Schnitzer, Seawon Park

Von bewegten Bildern zu urbanen Bauernhöfen bis zur auditiven Alltagsdoku

In der zweiten Seminarphase konzentrierten sich die Teilnehmenden auf die Entwicklung ihrer eigenen künstlerischen Arbeiten, wobei sie die Straße und ihre Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln betrachteten. Ein Beispiel ist die Mixed Media Installation „Nun – Urban Stable“, die durch die Erfahrungen beim Filmen an bestimmten Orten – wie dem Kinderbauernhof in der Nähe der Oranienstraße – mit den Bewohner*innen entstand. Archivmaterial aus den 1980er-Jahren, bereitgestellt vom Bauernhof, wurde in Kontrast mit einem dokumentarisch-fiktionalen Film über eine junge koreanische Frau gesetzt, die ein Praktikum auf dem Bauernhof absolviert. Eine andere Videoarbeit mit dem Titel „Sturmlokal Wiener Garten“ erforscht die Nazi-Vergangenheit eines Lokals in der Wiener Straße 10, einem ehemals sogenannten „freien KZ“, in dem politische Feinde misshandelt wurden. Die Arbeit beleuchtet die Straßenkämpfe in den 1930er-Jahren zwischen Kommunisten und Nazis in Kreuzberg und zeigt den Eingang und den Garten des ehemaligen Nazi-Lokals, das heute ein türkisches Familienrestaurant ist.

Zusätzlich zu bewegten Bildern entstanden auch bildhafte Arbeiten und Soundkonzepte: Das Projekt „Inside/Outside“ kreierte mit „Audio-Motten“ – kleinen Audio-Rekordern – eine partizipative generative Soundarbeit. Die „Motten“ reisten von Küche zu Küche auf der Oranienstraße, indem sie von Nachbar*in zu Nachbar*in weitergereicht wurden, um Alltagsgeräusche im privaten Wohnbereich aufzuzeichnen. Weitere Künstler*innen erstellten vor Ort Collagen aus Fassaden oder führten intensive Gespräche mit ansässigen Akteurin*innen, die sie dokumentarisch skizzierten.

Sturmlokal Wiener Garten von Christian Limber