Arbeiten mit dem, was da ist: Ein paar Fragen an Jan Kampshoff
Noch während seines Studiums an der münster school of architecture gründete Jan Kampshoff das Atelier modulorbeat. Seit Oktober 2017 lehrt und forscht er als Gastprofessor an der TU Berlin. Gemeinsam mit baunetz CAMPUS organisiert Prof. Kampshoff die Sommerschule „Bestand der Dinge“. Wir führten ein Gespräch über die Bedeutung und den Wert des Vorgefundenen in der Architektur(lehre).
Sie lehren mit dem FG DE/CO an der TU Berlin. Wie beschreiben Sie die Schwerpunkte Ihrer Lehre?
Das Institut für Architektur an der TU Berlin hat sich kürzlich klar zur Bauwende im Sinne einer sozialen, ökonomischen und ökologischen Transformation der Architekturproduktion bekannt. Vereinfacht ausgedrückt streben wir danach, kommenden Generationen einen lustvollen Zugang zu Architektur und Planung zu ermöglichen, der nicht zur weiteren Zerstörung des Planeten beiträgt. In meinem Fachgebiet DE/CO liegt dabei der Fokus unserer Lehre und Forschung auf der Entwicklung zeitgenössischer Entwurfs- und Konstruktionsmethoden, die die planetaren Grenzen und die Endlichkeit der Ressourcen anerkennen. Für uns sind Entwerfen und Konstruieren offene Formen des Forschens, die eigenständige Wissenskulturen generieren. Wir suchen nach leistungsfähigen Praktiken, Strategien, Methoden und Darstellungsformen, die den komplexen Anforderungen und dem Wunsch nach einer gesellschaftlichen Bedeutung der Architekturproduktion gerecht werden können. Aus diesem Grund entwickeln wir kooperative Lernformate, fördern eine kritische Diskurskultur und beschäftigen uns mit Fragestellungen rund um geteilte Autorenschaften und Open-Source-Prozesse in der Gestaltung.
Sie sind Teil des Ausstellungs- und Publikationsprojektes „Sorge um den Bestand. Zehn Strategien für die Architektur“. Welche Notwendigkeit und Motivation stecken hinter dem Projekt?
„Sorge um den Bestand“ war eine außergewöhnliche Einladung vom BDA Bund Deutscher Architektinnen und Architekten, sich auf mehreren Ebenen mit dem Bestand auseinanderzusetzen. Es handelte sich um ein Bekenntnis zur Fürsorge für den Gebäudebestand, für gewachsene soziale Strukturen und für die Bewahrung der Erde. Gleichzeitig ging es um die Zukunftsfähigkeit der Architekturdisziplin in einer Welt voller Krisen. Tatsächlich sind wir als Bauindustrie für den Verbrauch von 90 % der mineralischen Rohstoffe, die Entstehung von 55 % der Abfälle und 40 % der CO₂-Emissionen mitverantwortlich. Angesichts dieser Tatsache ist es absolut gerechtfertigt, große Sorge um den Bestand zu haben.
Mit der von mir gemeinsam mit Architektin Katja Fischer von der IBA Thüringen entwickelten Strategie „Aufbruch ins Bestehende“ rufen wir zu einer reduktiven Vorgehensweise auf. Durch kreatives Interagieren und Weiternutzen des Bestehenden schaffen wir Architekt*innen gesellschaftliche Zukunftsräume: „Was wäre, wenn wir akzeptierten, dass die Welt längst gebaut ist? Alles schon da ist – ausreichend Gebautes und differenzierte Raumangebote in Form von verarbeitetem Material, gebundener Energie und gelebter Kulturgeschichte. Und wir lediglich lernen müssten, mit dieser Ressource seriös und zugleich kreativ umzugehen? Eine reduktive Strategie. Eine Strategie der Transformation.“
In unserer gemeinsamen Sommerschule behandeln wir mit „Bestand der Dinge“ die Themen des Vorhandenen und dessen methodische Vermittlung. Was sind Ihre Erwartungen in dieser Woche?
Wenn wir es ernst meinen mit der Bauwende, müssen sich unsere Methoden und Arbeitsweisen in Architektur und Planung radikal verändern. Wir brauchen neue Zugänge und Sichtweisen auf unsere gebaute Umwelt und Strategien, wie wir mit dem umgehen, was da ist. Mit Studio Genua, Margit Sichrovsky von LXSY Architekten und Diana Lucas-Drogan haben wir exzellente Positionen gefunden, die den Teilnehmer*innen Einblicke in eine zeitgemäße, kritische Auseinandersetzung mit dem Bestehenden bieten werden. Die Schwerpunkte sind dabei ganz bewusst unterschiedlich ausgewählt: von Nutzungsszenarien und Partizipationsprozessen über das Thema Ressource, Material und Zirkularität bis hin zu Methoden des Mappings. Für mich ist die Sommerschule aber vor allem ein Verhandlungsraum: Wie verändern sich Praxis und Lehre, und wie schaffen wir neue offene Transferformate zwischen Studium und Arbeitswelt vor dem Hintergrund der Bauwende?
Weshalb brauchen wir genau diese Formate im Umgang mit dem Bestehenden?
Das Format der Sommerschule bietet eine großartige Gelegenheit, Veränderungsprozesse anzuregen und zu beschleunigen. Frei von vorgegebenen Curricula und festgelegten Semestertaktungen innerhalb der Universitäten ermöglicht die Sommerschule einen besonderen Freiraum für Experimente und den Austausch neuer Ideen. Das Ziel besteht darin, Studierende von verschiedenen Architekturfakultäten zusammenzubringen, damit sie ihre gemeinsamen Erfahrungen und Diskurse in ihre lokalen Hochschulen einbringen können.
Welche Aspekte sind ausschlaggebend im Architekturstudium heutzutage?
In den letzten zwei Jahren haben wir uns am Fachgebiet DE/CO intensiv mit der Frage beschäftigt, wie eine zukunftsfähige Entwurfslehre im ersten Studienjahr und in freien Abschlussarbeiten gestaltet werden kann. Dabei spielt der Umgang mit dem Vorhandenen eine zentrale Rolle. Wir haben zahlreiche Inhalte überdacht und uns auf die Suche nach neuen Methoden und Standards in der Entwurfslehre begeben. Mit der Einführung der „Freien Klasse“ haben wir einen Raum geschaffen, der als Resonanzraum für freie Projektideen und Abschlussarbeiten im architektonischen Transformationskosmos dient.
Unser Ausgangspunkt ist stets das „sich Verfügbarmachen“ des Vorhandenen und das Erlangen einer „Handlungsfähigkeit“ in komplexen Kontexten. Aus unserer Sicht sollte eine zukünftige Lehre das Konzept des „Tabula Rasa“ ausschließen, ästhetische Konzepte des Unvollkommenen und der Collage vermitteln sowie die Aspekte der architektonischen Care-Arbeit stärken. Zudem ist es von Beginn an wichtig, die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft zu vermitteln. Das Lernen beginnt daher bereits mit dem verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen beim Modellbau im Studio.
Vor allem ist es unser Ziel, die Studierenden zu einer kritischen Diskurskultur zu befähigen und überflüssige Hierarchiestrukturen der „klassischen“ Architekturlehre zugunsten agiler Lern-, Lehr- und Arbeitsstrukturen zu überwinden.