Adaptive kinetische Architektursysteme verstehen: ein paar Fragen an Maria Matheou

Strukturelles und architektonisches Design, kinetische Architektur, adaptive Strukturen und Hüllen, Automatisierungssysteme, Designmethoden und digitale Werkzeuge – die Forschungsfelder von Jun. Prof. Maria Matheou am Institut für Leichtbau und Entwerfen (ILEK) der Universität Stuttgart sind mannigfaltig. Wir sprechen mit ihr über die Bedeutung adaptiver kinetischer Architektursysteme in der Lehre, Forschung und im Bauwesen.

Können Sie uns den Schwerpunkt Ihrer Forschung am ILEK der Universität Stuttgart näher erläutern?

Meine Forschungs- und Lehrtätigkeit konzentriert sich auf adaptive kinetische Architektursysteme und deren dynamische Synergie in Umwelt und Gesellschaft. „Die einzige Konstante im Leben ist der Wandel“, sagte der griechische Philosoph Heraklit. Das ist richtig, denn die menschliche Zivilisation ist eine treibende Kraft für Veränderung, Fortschritt und Verbesserung. Alles ist in ständiger Entwicklung und Wechselwirkung und wird als dynamisch, organisch und flexibel definiert. Es ist von entscheidender Bedeutung, eine Architektur zu entwerfen, die in der Lage ist, sich an die wechselnden Bedürfnisse der Nutzer*innen zu adaptieren. Frei Otto, ein Pionier auf diesem Gebiet, entwickelte bereits in den 1960er-Jahren innovative Konzepte für leichte, anpassungsfähige Strukturen.

Die Schaffung adaptiver kinetischer Strukturen und Fassaden bedarf eines interdisziplinären Designansatzes. Ziel unseres Sonderforschungsbereichs 1244 (SFB 1244) ist es, den Energieverbrauch, die Kosten und die Masse zu minimieren, auf Umwelt- und Funktionsänderungen zu reagieren, die Interaktion zwischen Nutzenden, Struktur und Fassade zu verbessern und zu einer insgesamt nachhaltigen Entwicklung beizutragen.

Welche Aspekte adaptiver Fassaden untersuchen Sie und warum?

Bei der Gestaltung eines Fassadensystems sind eine effektive Verschattung und Tageslichtnutzung entscheidend für die Verbesserung der Energieeffizienz und damit für die Verringerung der Umweltbelastung. Adaptive kinetische Fassaden, die bewegliche Komponenten oder Mechanismen enthalten und ihre Form, Position oder Transparenz dynamisch anpassen können, sind ein Schlüsselelement der nachhaltigen Gebäudeplanung und können erheblich zum Energiebudget (Betriebskosten) und zu den Komfortfaktoren eines Gebäudes beitragen. 

Im Rahmen des SFB 1244 wurde eine adaptive kinetische Haut (Teilprojekt A07) vorgeschlagen, um die Tageslichtverhältnisse in Innenräumen zu optimieren und den solaren Wärmegewinn wie auch unerwünschte Sonneneinstrahlung im städtischen Kontext zu verringern. Dadurch wird die überschüssige Sonnenstrahlung in die Atmosphäre reflektiert und somit der urbane Wärmeinseleffekt verringert. Das wiederum verbessert das Stadtklima und die Energieeffizienz des Gebäudes. 

Wie können wir uns Ihre Lehrmethode vorstellen?

In meinen Designstudios erwerben die Studierenden Fachwissen in allen Phasen des Projektes. Sie werden mit der Designlogik interaktiver und adaptiver Systeme in Bezug auf Funktionalität, Materialität, Ästhetik, strukturelle Kinematik, 3D-Druck-Prototypen und eingebettete Antriebssysteme vertraut gemacht. Ein integriertes architektonisches Designstudio hat zum Ziel, den Student*innen das Entwurfsdenken als Rahmen zu vermitteln. Die Studierenden arbeiten an Projekten, die ich gemeinsam mit meinen Kolleg*innen aus dem Bauingenieurwesen und der Steuerungstechnik betreue. 

Zu Beginn eines jeden Designstudios erhalten alle Student*innen eine Einführung in die Studiokultur. Dabei geht es vor allem darum, die Teilnehmenden zur Zusammenarbeit zu ermutigen, ihnen zu helfen, Probleme zu verstehen und zu lösen und Ideen auszutauschen. In der Praxis arbeiten Architekt*innen in der Regel auch nicht allein. 

Das aktive Lernen stellt die Grundlage meiner Pädagogik dar, die Design-Thinking-Methode ist das Instrument dafür. Ich achte immer darauf, dass meine Entwurfsstudios und Seminare mehrere Lernmodalitäten beinhalten, interaktiv und partizipativ sind und die individuellen Fähigkeiten der Studierenden hervorheben. 

Wie werden die technischen Anforderungen an adaptive Systeme in den Studierendenentwürfen umgesetzt?

In den Designstudios vermittle ich zunächst technologisches und wissenschaftliches Wissen, um ein Paket nachhaltiger Lösungen zu schnüren, mit dem die Teilnehmenden im zweiten Schritt eine anpassungsfähige und interaktive Architektur entwerfen können. Dennoch kann es eine Herausforderung sein, Student*innen kinetische Architektur zu vermitteln. Der technologische Fortschritt beeindruckt sie oft so, dass sie den Zweck und die Gründe für die Einbeziehung dynamischer Elemente nicht mehr hinterfragen. 

Die Studierenden können die Leistung statischer und adaptiver Fassaden unter Verwendung der Software Climate Studio (Rhino/GH-Plug-in) vergleichen. Indem sie geometrische Parameter wie Form, Anordnung und Größe verändern, erhalten sie ein besseres Verständnis für die kinetischen Eigenschaften. Parameter wie Standort, HVAC (Heizung, Belüftung und Klimatisierung), Gebäudenutzung, Beleuchtung, Schall und Ästhetik werden zu Gestaltungsfaktoren. Im nächsten Schritt integrieren sie adaptive Systeme in ihre Entwürfe. Die Student*innen entwickeln den Prototyp einer modular-adaptiven Fassade, die gemeinsam mit Elektro- und Steuerungsingenieur*innen angepasst wird.

Wie sehen Sie die Zukunft adaptiver kinetischer Fassaden?

Adaptive kinetische Fassaden werden in Zukunft eine Schlüsselrolle spielen, wenn es um die Beziehung zwischen Innen- und Außenräumen, den Nutzer*innenkomfort und die Leistungsoptimierung eines Gebäudes geht. Dafür ist ein ganzheitlicher Gestaltungsansatz, der die Anerkennung von Tageslicht als „erneuerbare Energiequelle“ einschließt, entscheidend. 

Im Rahmen des Architekturstudiums sollte die Beziehung zwischen Lehre und Forschung weiterhin stark gefördert werden, um praxisbezogene (Entwurfs-)Forschung zu betreiben. Wir müssen in interdisziplinären Teams viele Aspekte betrachten – vom Komfort über die Energieeffizienz bis hin zur Nachhaltigkeit aus struktureller, funktionaler, ästhetischer und ökologischer Sicht. Nur so können wir Fortschritte bei adaptiven kinetischen Fassaden erzielen.

Parametrische Entwurfswerkzeuge sowie Sensoren, Steuerungs- und Kontrollsysteme bieten ein effektives Werkzeug zur Verbesserung der Gebäudeleistung. Technologische Innovationen ermöglichen es der adaptiven kinetischen Hülle, dynamisch auf wechselnde Wetterbedingungen zu reagieren und die Bedürfnisse der Nutzer*innen zu erfüllen. Dennoch stellen die kritischen Fragen der Wartungskosten und der Erschwinglichkeit nach wie vor Herausforderungen dar, denen man sich während des Entwurfsprozesses stellen muss und die derzeit als Hindernis für eine weite Verbreitung dieses Ansatzes gelten.