Ein paar Fragen an: Jakob Wirth

Jakob Wirth agiert als Künstler, Aktivist und Soziologe. Er ist Teil mehrerer Kollektive, Mitinitiator des solidarischen Projektraums des Make Up e.V. in Berlin-Wedding und neben seiner künstlerischen Arbeit an verschiedenen Interventionen im Stadtraum in der Lehre tätig, in der er Disziplinen der Kunst, Urbanistik, Architektur und Soziologie zusammenführt. Wir haben ihm ein paar Fragen zu seiner Arbeit im Kollektiv und den damit einhergehenden Lehrmethoden gestellt.

Wie beschreibst du deine Praxis?

Jakob Wirth: Ich gestalte eine künstlerische Praxis, die aktiv in die Gesellschaft eingreift und untersuche, wie weit diese in die Realität intervenieren kann, ohne ihre künstlerische Freiheit zu verlieren oder zwingend politisch zu werden. Mich interessieren dabei Interventionen, die ihr eigenes Publikum suchen, indem in Kontexte intervenieren, die bereits existieren. So wie beispielsweise Kunstprojekten „Penthaus à la Parasit“ oder „Brutalistic Airbnb“. Ich inserierte dort und kam dadurch mit Nutzer*innen der Plattformen in Kontakt. Dabei  entfremde ich das System des Immobilienmarktes durch die Vermischung von Fiktion und Realität und versuchte mit der Intervention, zum Beispiel die Logik des Immobilienmarktes zu spiegeln. So arbeite ich stets im öffentlichen Raum, um direkt mit anderen Akteur*innen der Stadt in Kontakt zu treten. Neben meiner Arbeit im öffentlichen Raum, bin ich außerdem Teil unterschiedlicher Kollektive, wie Die Blaue Blume e.V. oder Operation Himmelblick, wo wir in Zusammenarbeit mit Nachbarschaften versuchen, Plattformen für nachbarschaftliche Beteiligung – im kulturellen, wie gestalterischen sowie politischem Sinne – möglich zu machen. Kollektive Arbeit ist somit einer der Grundpfeiler meiner Praxis. Als Drittes versuche ich meine künstlerische, wie kollektive Arbeit mit Lehre und Forschung zu verbinden. Daher bin ich an unterschiedlichen Hochschulen tätig und trage die Fragen, die sich aus meiner Praxis ergeben, in die Universitäten.

Du vereinst in deiner Arbeit verschiedene Disziplinen – wie kam es dazu, und was unterstützt dabei deine künstlerische Arbeit?

Jakob Wirth: Generell gibt es viele Dinge, die mich begeistern. Studiert habe ich verschiedene Master-Studiengänge: Soziologie an der Humboldt Universität Berlin, Spatial Strategies an der Kunsthochschule Berlin Weißensee, und Public Art an der Bauhaus Universität Weimar. Ich versuche stets, die Bereiche Kunst, Stadtsoziologie und Raum zusammenzudenken und daraus eine künstlerisch-politische Praxis zu entwickeln. Dies entstand vor allem durch meine aktivistische Erfahrung in der „Recht auf Stadt“-Szene. Dadurch erlebte ich, was alles mit künstlerischen Methoden im politischen Kampf möglich ist und vor allem, wie Menschen adressiert werden können, die nicht bereits der gleichen politischen Überzeugung sind. Neben der interdisziplinären Arbeitsweise wurde für mich auch das kollektive Arbeiten immer wichtiger, da dies eine resiliente Form des Arbeitens darstellt, auch in einer deregulierten Kunstwelt.

Wie kann solch eine kollektive Arbeit realisiert werden, und weshalb brauchen wir sie?

Jakob Wirth: Vielleicht sollten wir uns darüber unterhalten, wie Künstler*innen und Aktivist*innen, sich organisieren und Kollektivarbeit schaffen können, nicht nur um gemeinsame Projekte zu realisieren, sondern auch um voneinander zu lernen und sich gegenseitig unterstützen zu können. Es ist wichtig alternative Strukturen zu schaffen, um sich miteinander entwickeln zu können und ebenso über alltägliche Themen wie Finanzierung und Steuern auszutauschen. Durch Zusammenarbeit entstehen so neue Möglichkeiten und Kollaborationen auf verschiedenen Ebenen. Es geht um alternative Formen der Kunst-Produktion und darum, sich von der Abhängigkeit der Kunstinstitutionen und externer Bewertungen zu lösen. Denn meiner Erfahrung nach sind für mich nur dadurch radikale politische Positionen auch auf Dauer haltbar, sofern sie vom Kollektiv gestützt sind.

Wie fusioniert die kollektive bzw. praxisorientierte Arbeit mit deiner akademischen?

Jakob Wirth: Kollektives Arbeiten führt für mich zu einer anderen Art der Auseinandersetzung mit dem Material, mit dem ich umgehe. Dadurch bin ich, wenn ich innerhalb der Universität tätig bin, gleichzeitig in der Realität tätig - und nicht nur auf theoretischer Ebene. Ein Beispiel hierfür ist das Seminar „Site-Specific Post-Colonial Practice“, bei dem es um die Auseinandersetzungen im öffentlichen Raum ging und das in Kooperation mit der TU Berlin, HU Berlin und der UdK Berlin stattfand. Hierbei ging es darum, sich den kolonialen und postkolonialen Strukturen bewusst zu werden und kleine Interventionen zu entwickeln, die schließlich im öffentlichen Raum stattgefunden haben. Hierbei führt kollektive Arbeit und ein, gegenseitiges Feedback und Unterstützung zu Interventionen im öffentlichen Raum. Dies schafft eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis. Für mich selbst ist es wichtig, einen Ausgleich zu finden, da ich mich ohne die Verbindung zur Lehre hauptsächlich auf die Praxis konzentriere und die Lehre mich immer wieder zwingt in die beobachtende Position zu wechseln.

Was ist für dich an Lehre interessant? Und wie verschränken sich hier Disziplinen wie Kunst, Urbanismus und Architektur?

Jakob Wirth: Die Teilnahme an Seminaren hilft mir, mich weiterzuentwickeln und wie bereits erwähnt, tiefer in die Thematik einzutauchen. Dabei hoffe ich, dass meine Praxiserfahrung wiederum für die Studierenden interessant ist und sie die Nähe zur Praxis und die Begeisterung, die daraus resultiert, inspiriert.
Aber letztendlich hängt es von der intrinsischen Motivation der Studierenden ab, ob sie von dem, was die Lehrenden anbieten, angezogen werden. Manche der Teilnehmer*innen sind mittlerweile selbst in den Kollektiven aktiv, von denen ich ebenfalls Teil bin. Was die Verschränkung der Disziplinen betrifft: Das kommt automatisch durch das Aktivwerden im öffentlichen Raum – Denn sobald du im öffentlichen Raum agierst, bist du bereits interdisziplinär.

Wo lehrst du und welche Methoden möchtest du noch in die Lehre einbringen?

Jakob Wirth: Ich lehre ab und an in Weimar und an einer Kunstschule in Dänemark. Diesen Sommer werde ich in Zürich sein. Zudem gestalten wir unsere Lehre auch oft im Duo. Dabei nutzen wir Methoden, die Theorie und Praxis verbinden. Außerdem sind die ersten 15 Minuten eines Seminars sehr entscheidend, wie der ganze Kurs laufen wird und wie engagiert die Studierenden dabei sein werden. So lege ich sehr viel Wert auf den Beginn und starte stets mit einer performativen, unerwarteten Situation. Wie zum Beispiel, indem ich die erste halbe Stunde nicht spreche und das Seminar stumm leite. Andere Methoden, die ich nutze, kommen aus dem Theaterbereich oder den Performance-Studies. Wichtig ist für mich, generell immer zu versuchen Wissen physisch zu machen und daher nicht nur Theorie oder reine Praxis zu unterrichten. Es geht darum, genau im „Dazwischen“ zu sein und den Körper dabei immer miteinzubinden – ob durch Musik und Tanz, Improvisation, Performance, körperliche Sinne oder Emotionen.