„Eine Visualisierung ermöglicht es uns, die Atmosphäre und Wirkung von Architektur vorwegzunehmen, auch wenn wir die Details noch nicht erkundet haben.“

Seit 2021 hat Prof. Alexander Bartscher die Professur für Architektonische Darstellung und Entwerfen (ADE) am FATUK inne. Dieser Lehr- und Forschungsbereich betrachtet Visualisierungen in einem gesellschaftskulturellen Kontext als Entwurfswerkzeug, Analysetool oder Mittel zur Selbstdarstellung. 

Prof. Bartscher, was ist der Schwerpunkt Ihres Lehrstuhls, und wie würden Sie Ihren Lehransatz definieren?

Fachbereiche für Architektonische Darstellung und Entwerfen gibt es in diesem Zuschnitt wie am FATUK nicht an vielen Universitäten. Dadurch haben wir die Möglichkeit, ein Feld auszumalen, das noch unscharf definiert ist. Was verstehen wir überhaupt unter architektonischer Darstellung und Entwerfen? Darunter fallen nicht nur Zeichnungen, Bilder und Modelle, sondern auch unsere Selbstdarstellung. Denn die Art und Weise, wie wir uns als Architekt*innen ausdrücken, eröffnet Assoziationsräume, die zu einer vielschichtigen Lesbarkeit der Projekte führen.

Wie vermitteln Sie den Studierenden diese Themen?

Im Grundkurs beginnen wir mit analogen Techniken und erreichen im vierten Semester fortgeschrittene digitale Visualisierungstechniken. Dabei wechseln wir zwischen vektor- und pixelbasierten Semestern. In der Lehre ist es uns wichtig, den Studierenden zu vermitteln, welche kulturellen und gesellschaftlichen Implikationen die Techniken zur architektonischen Darstellung haben. Außerdem betrachten wir das architektonische Bild als Ausdrucksmittel und als Werkzeug zur Analyse und zum Entwurf.

Inwieweit dient eine Visualisierung als Entwurfstool?

Ein Bild kann als synthetisierte Absichtserklärung eine hohe Argumentationskraft haben. Für eine bewusste Bildproduktion ist es wichtig, die Darstellungstechniken und die Entwurfsintention aufeinander abzustimmen. Wie können wir schnell zum Kern einer Aufgabe gelangen und die Wirkmächtigkeit des Architekturobjekts erzeugen? Eine Visualisierung ermöglicht es uns, die Atmosphäre und Wirkung von Architektur vorwegzunehmen, auch wenn wir die Details noch nicht erkundet haben.

Wir verknüpfen die Lehre mit konkreten Entwurfsaufgaben und fordern die Student*innen beispielsweise auf, mit einfachen Collagen und Skizzen eine architektonische These aufzustellen. Auch eine Skizze kann architektonisch gehaltvoll sein und die Nähe und Verhältnismäßigkeit von Baukörpern oder Landschaften verdeutlichen. Wir überprüfen diese Methoden regelmäßig mit neuen Techniken und Ausdrucksmitteln, denen die verschiedensten Anforderungen zugrunde liegen können.

Bezüglich neuer Techniken und Ausdrucksmittel – Welche Trends lassen sich zurzeit erkennen?

Die Renaissance des analog gesteuerten Bildes als Gegenentwicklung zum digital erzeugten Bild ist im akademischen Kontext sehr präsent: Studierende arbeiten mit Fotografien von großmaßstäblichen Modellen oder kinderbuchhaften Architekturdarstellungen. Es scheint eine Sehnsucht nach einer neuen Authentizität im Architekturbild zu sein – ein interessanter Punkt, den wir auch in der Lehre aufgreifen und untersuchen, wie diese Hybridisierung von analogen und digitalen Techniken stattfinden kann.

Im ersten Semester führen wir eine Übung durch, bei der die Studierenden den Prozess der Bilderstellung durch mehrere Filter durchlaufen, um am Ende zu einer authentischen Neuschöpfung zu gelangen. Die Teilnehmenden suchen Architekturdarstellungen in Büchern und zeichnen sie in der ersten Phase mit Mitteln der darstellenden Geometrie von Hand nach. Im Anschluss speisen sie die Bildartefakte in Midjourney oder in Stable Diffusion ein und erhalten neue Bildfolgen, die sie im letzten Schritt erneut händisch bearbeiten. Dadurch entsteht wieder ein Original.

Wie beeinflusst KI Ihre Lehre und den Prozess der Erstellung von Visualisierungen?

Was die KI-Technologien betrifft, gibt es eine gewisse Gleichzeitigkeit des Lernens und Lehrens. Unser Fachgebiet hat im Kontext der Fakultät eine Sonderstellung in diesem Bereich der generativen künstlichen Intelligenz. Wir stehen im Bereich der Bilderzeugung an vorderster Front und beschäftigen uns mit Themen, die in den nächsten Jahren viele weitere Domänen unserer Disziplin betreffen werden. Ich forsche seit 2020 an diesen Themen. Allerdings habe ich nicht erwartet, dass wir so früh damit arbeiten können. Diese rapide Entwicklung hat sowohl die Informatik-Expert*innen überrascht als auch uns Anwender*innen. Gerade die schnellen Veränderungen sind faszinierend, da wir in unserer Lehre eine Art Echtzeit-Dokumentation dieser fortschreitenden Technologien erstellen.

Vor fast drei Jahren haben wir mit spielerischen Annäherungen begonnen und mit NVIDIA Canvas künstliche Landschaften erzeugt, die auf Segmentation Maps basierten, nicht auf Text. Die Anwendungen wurden immer ernsthafter und die Bildwerkzeuge immer überzeugender. Im letzten Seminar dieses Jahr war es die Aufgabe der Studierenden, mit diesen Techniken fiktive Architekt*innenbiografien sowohl in Text- als auch in Bildform zu entwickeln. Daraus entstanden Bücher mit dem Lebenswerk einer fiktiven architekturschaffenden Persönlichkeit. Eine sehr unterhaltsame Übung, bei der wir erkundet haben, wie man diese Tools optimiert und domestiziert, damit Planende konsistent damit arbeiten können. Die Kunst besteht nicht darin, ein schönes Bild zu produzieren, sondern darin, auf Basis eines Prompts ein Exterieur mit einem Interieur in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen, ohne ein 3D-Modell oder einen Plan im Datensatz zu haben.

Im Zeitalter der KI – welchen Herausforderungen in der architektonischen Bildproduktion werden wir uns in Zukunft stellen müssen?

Technisch betrachtet wird es in absehbarer Zeit voraussichtlich zur Verknüpfung von 3D-Modellen oder Plansätzen mit Bildern kommen – Bilder, die hochgradig steuerbar sein werden. Herausfordernd ist eher die Frage, wie diese Bildzeuge, die eben unter anderen technischen Bedingungen entstehen, wahrgenommen werden, welche Sehgewohnheiten sich dafür entwickeln und wie sich das auf die Architekturrezeption auswirkt. Diese Themen sollten gesamtgesellschaftlich diskutiert werden. Welchem Bild kann man eigentlich noch vertrauen? Die Authentizität des Bildes wird immer fragiler, und das betrifft auch Architekturdarstellungen. Die fotorealistische Visualisierung ist gerade für Laien nicht mehr von einem realen Bild zu unterscheiden. Nun ist es jedoch so, dass diese Technologien, die bisher den Spezialist*innen vorbehalten waren, eine breite Anwendung finden, was potenziell zu einer Gleichheit des Bildes führen kann. Wie können wir also weiterhin Architekturdarstellungen erzeugen, die relevant sind, auch wenn technisch alles für alle gleichermaßen möglich ist? Daher ist es so wichtig, die kulturellen Hintergründe des Architekturschaffens und der -reproduktion in Bildform zu studieren und zu verstehen.