Seit 2006 ist Philipp Oswalt Professor für Architekturtheorie und Entwerfen an der Universität Kassel. Er ist unter anderem ein wichtiger Akteur in der Rekonstruktionsdebatte und steht mit seinen diesbezüglichen Ansichten häufig in der Öffentlichkeit. Wir haben ihm einige Fragen gestellt.
Auf welche Aspekte legen Sie in Ihrer Lehre besonderen Wert? Wie beeinflussen sich in Ihrem Fall Lehre und Praxis?
Ich lege Wert darauf, dass die Studierenden eine eigene Haltung entwickeln, die sie begründen können – sei es beim Entwerfen oder beim Verfassen eines Textes. Meiner Ansicht nach geht es im Entwurfsprozess darum, Werteentscheidungen zu treffen, die oft keine Frage von richtig oder falsch sind oder von Optimierungen. Mir ist es wichtig, dass sich die Studierenden auf Basis von Variantenbildung über die Gestaltungsoptionen und Entscheidungsspielräume bewusst werden, und dass sie dann anhand der von ihnen selbst entwickelten Kriterien Entscheidung treffen, die sie auch begründen können.
Dies ist nicht nur in eine fachinterne Frage, sondern auch eine gesellschaftliche. Nicht selten widmen wir uns mit den Projekten umstrittenen Fragen – seien es die Städtischen Bühnen in Frankfurt, die Garnisonkirche in Potsdam oder der Molkenmarkt in Berlin. In Zusammenarbeit mit den Studierenden entwickeln Alternativentwürfe, um neue Ideen in die öffentliche Debatte zu bringen und uns so da einzumischen.
Sie werden häufig mit dem Thema der (historischen) Rekonstruktion in Verbindung gebracht. Was ist Ihre Haltung dazu?
Rekonstruktionen gibt es fast so lange, wie gebaut wird. Was zu diskutieren ist, ist wie wir rekonstruieren wollen. Das passiert leider fast nie. Seit einigen Jahrzehnten sind wir mit einer Orthodoxie des Rekonstruierens konfrontiert, die nur das fotorealistische Reproduzieren akzeptiert und dies als identitätsstiftend versteht. Eine solche Art der Rekonstruktion kritisiere ich. Außerdem wehre ich mich auch gegen das Geschichtsverständnis, das damit verbunden ist.
Als Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau setzten Sie sich für den Wiederaufbau zweier kriegszerstörter Meisterhäuser von Walter Gropius sowie der Trinkhalle von Ludwig Mies van der Rohe in ihrer ursprünglichen Kubatur ein. Warum befürworten Sie in diesem Fall diese Art der Rekonstruktion?
Nun, hier entwickelten die Architekten ein Konzept der Unschärfe, eine Art der Abstraktion. Der Nachbau war einerseits präzise, aber zugleich in der Auslassung von Details und manch innerer Bauteile zugleich eine zeitgenössische Interpretation und Aneignung. Genau eine solche doppelte Lesbarkeit finde ich sehr spannend und dem Sachverhalt angemessen. Es ist in Dessau wesentlich, dass man auch sofort sieht, dass da etwas Verlorenes nachgebildet ist, und es hier eine Fehlstelle gibt, weil die viel über die Geschichte des Bauhauses und Deutschlands sagt.
In Zusammenhang mit der Debatte zur Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses sprechen Sie davon, dass das Schloss in erster Linie der Erzeugung neuer Bilder dienen soll. Was meinen Sie damit?
Die heutigen Rekonstruktionen sind eine mediale Architektur. Sie werden aus dem Medium der Fotografie entwickelt, und sie dienen vor allem dazu, wieder neue technische Bilder – Fotos und Bilder – zu erzeugen. Das Humboldtforum ist im Sinne von Robert Venturi und Denise Scott Brown ein dekorierter Schuppen.