Mit dem Handwerk studieren und forschen: ein paar Fragen an Wolfgang Schwarzmann

Dr. Wolfgang Schwarzmann ist Post-Doc an der Universität Liechtenstein und forscht zur Digitalisierung im Handwerk, computergestützter Fabrikation im Holzbau sowie der Verbindung von Tradition und Technologie. Seine Lehre richtet sich sowohl an Architekturstudierende als auch Handwerker*innen in Ausbildung. Was eine praxisorientierte Forschung und Lehre bedeutet, hat er uns erläutert.

Können Sie uns die Schwerpunkte Ihrer Forschung und Lehre erläutern?

Wolfgang Schwarzmann: An der Universität arbeite ich sowohl in Forschung als auch Lehre im Themenbereich ‚Handwerk‘. Meine Doktorarbeit, die ich im Frühjahr 2023 erfolgreich verteidigt habe, untersuchte die Handwerksprozesse von Zimmerleuten und den Einfluss neuer Technologien wie Abbundroboter auf ihre täglichen Aufgaben. Ich war beeindruckt von der facettenreichen und breiten Aufstellung des Handwerks von Zimmerleuten. Dabei interessierte mich, ob die Handwerkenden noch als ‚Handwerkende‘ oder eher als ‚Computerwerkende‘ angesehen werden können. 

Mein eigener handwerklicher Hintergrund beeinflusst auch meine Art, Studierende zu begleiten. Am liebsten führe ich sie direkt in Handwerksbetriebe, auf Baustellen oder in Planungsbüros, um zu zeigen, wo später ihre Kompetenzen gebraucht werden und wie wichtig sorgfältige Planung ist. Für mich ist der direkte Bezug zu den später gebauten Bauwerken von großer Bedeutung. Ihre Entscheidungen haben einen direkten Einfluss auf die Qualität, Lebensdauer und Nutzung eines Bauwerks sowie auf das Wohlbefinden seiner Nutzer*innen.

Sie arbeiten mit Studierenden und mit Handwerker*innen in Ausbildung. Welchen Ansatz verfolgen Sie dabei?

Wolfgang Schwarzmann: Gerade heute, zwischen KI-Diskussionen und Automatisierungsdebatten, halte ich Kreativität für eine absolut zentrale Kompetenz. Es spielt für mich kaum eine Rolle, ob jemand eine Handwerkslehre absolviert oder ein Studium abgeschlossen hat. Entscheidend ist, dass junge Menschen innovative Lösungen entwickeln können, die nicht in Lehrbüchern stehen, sei es in der Spenglerarbeit oder im Architekturstudium. Ich ermutige Studierende und junge Handwerkende immer, nach unkonventionellen Lösungen zu suchen. In meiner Lehre stelle ich deshalb bewusst offene Fragen, um die Lernenden aus ihrer gewohnten Umgebung herauszufordern. Entscheidend ist die Fähigkeit, Aufgaben zu lösen, die bisher noch nicht existieren – eine Kompetenz, die in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen wird.

Welchen Methoden vermitteln Sie den Architekturstudierenden?

Wolfgang Schwarzmann: Neben Tischkritiken und Betriebsbesichtigungen werden im Semesterplan auch ‚Hands-on‘-Projekte durchgeführt. Diese reichen von kurzen ‚Sprint‘-Übungen mit Holzstäben bis hin zu mehrwöchigen Handwerksprozessen. Ein herausragendes Projekt war das ‚BaseCamp‘, bei dem ein ehemaliger See-Fracht-Container zu einer mobilen Veranstaltungsbühne umgestaltet wurde. Gemeinsam mit den Studierenden entstand ein Veranstaltungsraum von rund 100 m2. Solche Prozesse zeigen den Studierenden, dass sie mit entsprechendem Werkzeug Erstaunliches leisten können, und machen gleichzeitig den Aufwand deutlich, der für Bauprojekte erforderlich ist. Ein weiteres Projekt war das Tee-Haus in Feldkirch, bei dem die Studierenden ebenfalls an der Gestaltung und Entwicklung der Architektur beteiligt waren. Dieser Pavillon wird noch immer bei Veranstaltungen in der Stadt genutzt.

Wie arbeiten Sie im Gegensatz dazu mit den Auszubildenden im Handwerk zusammen? 

Wolfgang Schwarzmann: Besonders spannend war der Arbeitsprozess mit den Lehrlingen am Werkraum Häuschen. Hier konnten wir uns abseits der Norm mit neuen und unkonventionellen Ideen befassen. Es entstanden kreative Lösungen wie eine Fassade mit 200 Jahre alten Dachschindeln oder hochklappbare Möbel. Ich hoffe, dass die Auszubildenden von diesen unkonventionellen Lösungen inspiriert wurden und dass dies eine bereichernde Wirkung auf ihre spätere berufliche Tätigkeit hatte. 

Für mich ist entscheidend, dass sie lernen, mit neuen Herausforderungen wie Rohstoffknappheit, Klimakrise und zirkulären Bauprozessen kreativ und offen umzugehen. Unabhängig davon, ob sie Häuser am Computer planen oder tatsächlich bauen, sollten sie für die zukünftigen Anforderungen gut ausgestattet sein.

„Eine große Herausforderung unserer Zeit ist es nämlich, dass wir heute junge Handwerkende und Planende für einen Beruf ausbilden, dessen zukünftige Herausforderungen wir so noch gar nicht kennen.“ Dr. Wolfgang Schwarzmann

Weshalb ist die konkrete Umsetzung von Projekten an den Universitäten so wichtig für die Architekturausbildung? Und andersrum: Weshalb müssen Handwerker*innen mehr in die Entwurfsplanung und Forschung eingebunden werden?

Wolfgang Schwarzmann: In meiner Ausbildung habe ich sowohl im Handwerk als auch auf der Baustelle gearbeitet. Diese ganzheitliche Haltung zum Handwerk prägt meine Wahrnehmung der verschiedenen Berufe. Für mich sind Architekturstudierende und Handwerkende in Ausbildung unter einem Dach vereint, mit unterschiedlichen Schwerpunkten im Bauablauf, den Materialien und dem Fachwissen. Ich bemühe mich, beiden Seiten gegenseitiges Verständnis zu vermitteln. Handwerkende sollen die ästhetischen Aspekte eines Bauwerks erkennen und Planende sollen baubare Lösungen entwickeln. In meiner Arbeit mit Lehrlingen und Studierenden baue ich eine starke Brücke zwischen beiden Disziplinen und mache sie mit den Kompetenzen der anderen Seite vertraut.

Bei einer Firstfeier hielt ich eine Ansprache, um mich als Architekt bei den Handwerkenden zu bedanken. Ich betonte, dass unsere Pläne und Ideen erst durch ihre Umsetzung einen Nutzen erhalten. Mehr und mehr merke ich, dass ich niemals alle Facetten der Arbeit eines erfahrenen Zimmerers oder einer erstklassigen Zimmerin verstehe. Gerade wegen der eingeschränkten Dokumentierbarkeit dieser Prozesse ist die tiefe Einbindung der Handwerkenden in die Forschungsprozesse enorm wichtig. Mit ihrer täglichen Arbeit, mit ihrem Fachwissen über einen Baustoff, zu einem Material und den damit verbundenen Arbeitsschritten sind sie die Expert*innen der eigenen Disziplin. Diese Expertise stellt für mich den zentralen Aspekt einer guten Forschungsarbeit dar. An einer Universität gibt es diesen einzigartigen Möglichkeitsraum, in dem genau solche Brücken zwischen Handwerkenden, Planenden und Studierenden in der Architektur aufgespannt, diskutiert und erklärt werden können.