Die Zukunft der Denkmalpflege: Ein Gespräch mit Prof. Silke Langenberg

Mit einer klaren und visionären Haltung hat sich Prof. Silke Langenberg auf dem Gebiet Konstruktionserbe und Denkmalpflege etabliert. Sie forscht und lehrt an der ETH Zürich. Wir führten ein ausführliches Gespräch mit ihr über aktuelle und künftige Trends in der Denkmalpflege, die Herausforderungen der Disziplin und die Kultur der Reparatur.

Welche zukünftigen Herausforderungen und Entwicklungen prognostizieren Sie für die Disziplin der Denkmalpflege?

Die Denkmalpflege sieht sich aktuell mit verschiedenen „systemimmanenten Konflikten“ konfrontiert – einerseits als Institution selbst, andererseits im Hinblick auf Erhaltungskonzepte für flexible, also auf Veränderung angelegte Objekte. Bei der Inventarisierung und Ausweisung von Schutzobjekten hat die institutionelle Denkmalpflege früher ausgewählt, was besonderen Schutz und Pflege braucht, der Rest des Bestandes wurde einfach umgebaut, erweitert und an neuere Bedingungen angepasst. Aktuell scheint es leider so, dass alles, was die Denkmalpflege nicht schützt, abgebrochen wird. Das ist problematisch für eine Institution, deren grundsätzliches Interesse die langfristige Erhaltung von Kulturgut ist. Sie befindet sich hier also in einem Zwiespalt: Auch wenn es aus ihrer Sicht keinen Grund für den Abbruch eines Gebäudes gibt, kann sie es nur erhalten, wenn es die gesetzlichen Schutzkriterien erfüllt. Dazu zählen beispielsweise historischer, künstlerischer, städtebaulicher, wissenschaftlicher oder gesellschaftlicher Wert. Nachhaltigkeit gehört leider nicht dazu!

Bezüglich des Umgangs mit jüngeren Schutzobjekten befindet sich die Denkmalpflege ebenfalls immer häufiger in einem „Konflikt“, da sie unter Umständen zwischen Erhaltung von Originalsubstanz und dem vielen Objekten innewohnenden Konzept der Anpassungsfähigkeit abwägen muss. Denn die Unterschutzstellung kann den Umbau eines ursprünglich flexibel geplanten Gebäudes be- oder sogar verhindern.

Wenn wir dieses Dilemma weiterdenken und aktuelle Projekte im Bereich des „zirkulären Bauens“ in den Blick nehmen, stellen wir fest, dass hier noch einiges auf die Denkmalpflege zukommt: Wie kann und soll sie Bauten schützen, wenn diese dafür geplant und konstruiert wurden, vollständig in ihre Einzelteile zerlegt zu werden, um in den baulichen Kreislauf zurückzufließen? Für das Inventar bleiben dann nur Dokumentationen und digitale QR-Codes auf im Bestand neu verbauten Spolien. Vielleicht müssen wir hier zukünftig über den „Transformationswert“ eines Objektes diskutieren.

Ich bin mir sicher, dass es noch viele weitere Herausforderungen geben wird, beispielsweise im Umgang mit digital fabrizierten Bauten oder auch bei der Konservierung neuerer Materialentwicklungen. Es wird uns im Fachgebiet der Denkmalpflege sicher nicht langweilig werden in den kommenden Jahren.

Die Kultur der Reparatur ist in Ihrer Lehre und Forschung vordergründig. Wie unterrichtet man eine Praxis des Reparierens und des Wiederverwendens? 

In der Denkmalpflege ist die Reparatur ein übliches und vergleichsweise wenig umstrittenes Konzept, um Originalsubstanz möglichst langfristig zu erhalten. Die Studierenden entwickeln bei uns im Rahmen einer Lehrveranstaltung Konzepte für die Reparatur eines Objektes und setzen sie anschließend selber um. Dabei lernen sie einerseits die Unterschiede zwischen Konservierung, Restaurierung und Rekonstruktion kennen, andererseits merken sie, wie schwierig es ist, etwas zu reparieren, das dafür nicht vorgesehen ist. Der Transfer dieser Erkenntnis in die Architektur, auch in Projekte, die neu geplant werden, ist mein eigentliches Anliegen. Denn die Reparaturfähigkeit muss wieder ein wesentliches Prinzip der Architektur werden. Die Studierenden erwerben also Wissen um denkmalpflegerische Konzepte und Prinzipien, aber auch handwerkliche Fähigkeiten, Konstruktionswissen und das kritische Hinterfragen der gängigen Architekturpraxis. 

Mittlerweile haben wir den Kurs weiterentwickelt und reparieren nicht nur Mobiliar und Alltagsgegenstände, sondern tatsächlich Gebäude – in der aktuellen Seminarwoche beispielsweise mehrere Zimmer und Bauteile des historischen Hotels Schatzalp in Davos. In der Forschung entwickeln wir u. a. Reparaturkonzepte für jüngere, industriell hergestellte Bauten. Ein Doktorand arbeitet gerade an der Herstellung von Ersatzteilen für Hightech-Fassaden der 1980er und 90er Jahre und nutzt dazu digitale Fabrikationstechniken. Wir kollaborieren hier mit meinen Kollegen aus dem Institut für Technologie in der Architektur, aber auch aus der Fakultät Maschinenbau und Verfahrenstechnik der ETH Zürich. Grund für diese Forschungsarbeit ist die Tatsache, dass viel zu häufig ganze Fassaden ausgetauscht werden, nur weil einzelne Bauteile oder Konstruktionspunkte versagen. 

Darüber hinaus möchten wir mittelfristig verstärkt auch systemische Reparaturkonzepte entwickeln, die nicht nur ökologische und baukulturelle, sondern auch ökonomische Kriterien berücksichtigen. Im kommenden Frühjahr starten wir hierzu gemeinsam mit der Fakultät Maschinenbau und Verfahrenstechnik auch unseren neuen Zertifikatskurs „Repair and Mainetance“.

Welches Potenzial, welche Bedeutung und Dringlichkeit hat die Reparaturfähigkeit der Bauteile in der alltäglichen Architekturpraxis?

Um der anhaltenden Verschwendung von materiellen Ressourcen und Energie entgegenzuwirken, muss der existierende Bestand besser gepflegt, gewartet und wenn nötig instand gesetzt werden, anstatt am vorherrschenden Prinzip des vollständigen Austausches von Bauteilen beziehungsweise des Abbruchs ganzer Bauten festzuhalten. Das erfordert zwar einen erhöhten Planungsaufwand und kurzfristig vielleicht sogar höhere Investitionskosten, langfristig betrachtet zahlt es sich aber aus. Aus ökologischer Sicht besteht hier eine gewisse Dringlichkeit! 

In nur einer Generation scheinen wir verlernt zu haben, dass man Dinge pflegt und repariert, anstatt sie einfach wegzuwerfen. Nicht ohne Grund scheint das Thema der Reparatur grad allgegenwärtig. Immer mehr Publikationen und auch Ausstellungen tragen das Thema in die Öffentlichkeit, aktuell z. B. in Berlin „TheGreat Repair“. In Zürich wurde die Ausstellung „Repair Revolution!“ gerade erst beendet. Als ich meinen Reparaturkurs 2014 gestartet habe, war das noch nicht so. Damals boten vor allem Fablabs Repair-Cafés an und dort wurden mithilfe digitaler Fabrikationstechniken Ersatzteile hergestellt. Es ist zu hoffen, dass der aktuelle Trend anhält und sich auch in der Architekturpraxis niederschlägt.

Ich habe da eine gewisse Hoffnung aufgrund des Engagements unserer Architekturstudierenden, der nächsten Generation von Architektinnen und Architekten. An der ETH interessieren und beschäftigen sich mittlerweile mehr mit dem Bestand als mit Neubauten. Das ist sehr erfreulich!

Beruht die Denkmalpflege auf Transdisziplinarität? 

Ich persönlich glaube seit meinem Studium in Dortmund fest an transdisziplinäre Zusammenarbeit. Dort wurden und werden Studierende der Fachrichtungen Architektur und Bauingenieurwesen gemeinsam ausgebildet. Bis heute arbeite ich extrem gern mit Ingenieur*innen zusammen – sowohl in der Praxis, als auch in Forschung und Lehre. Grundlage dafür aber natürlich, dass man die Kompetenzen der anderen Disziplin zu schätzen weiß und sich mit gegenseitigem Respekt begegnet.

Die transdisziplinäre Zusammenarbeit ist immer dann besonders wichtig, wenn man ganzheitliche Lösungen entwickeln will und sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen erfüllen muss. Nehmen wir doch nur die Nachhaltigkeit als Beispiel: Im Bereich der Architektur sind soziale, ökologische, ökonomische und baukulturelle Kriterien in Einklang zu bringen. Das ist sicher leichter, wenn Fachleute der unterschiedlichen Disziplinen konstruktiv zusammenarbeiten.

In meiner täglichen Arbeit ist besonders die Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Institut für Technologie in der Architektur inspirierend. Die Zugehörigkeit meiner Professur zu diesem Institut (neben der klassischen Assoziierung am Institut für Denkmalpflege und Konstruktionsgeschichte) ist meines Wissens bislang einzigartig. Wir entwickeln gemeinsam neue Ideen aus sehr unterschiedlichen Blickrichtungen. So ist an der ETH vor Jahren auch die ursprüngliche Idee zum Reparaturkurs entstanden: Es ging einerseits um die Nutzung digitaler Fabrikationstechniken für die Reparatur von Objekten, andererseits um die Reparaturfähigkeit digital fabrizierter Bauten selbst. Daran arbeiten wir auch jetzt noch gemeinsam.

Welcher ist Ihr aktueller Forschungsschwerpunkt? Welche neuen Forschungsfelder möchten Sie in Zukunft angehen?

Einen aktuellen Forschungsschwerpunkt gibt es eigentlich nicht, sondern mehrere. Das Thema der Reparatur wird uns sicher noch eine Weile beschäftigen. Das ist aber natürlich auch ein klassisches Gebiet der Denkmalpflege – es geht um Erhaltung. Genauso wird die kontinuierliche Fortschreibung des Inventars ein Thema bleiben – nach den großen Beständen der 1960er und 70er Jahren inklusive vieler Systembauten kommen nun halt die Bauten der Postmoderne und der Hightech-Ära an die Reihe. Zu beiden haben wir gemeinsam mit der Bauhaus-Universität Weimar gerade zwei Konferenzen durchgeführt und arbeiten aktuell an der Publikation, die im kommenden Jahr in zwei Bänden im Birkhäuser Verlag erscheinen wird. Folgen wird dann die digitale Architektur. Dazu beginnen wir gerade unser neues, national gefördertes Forschungsprojekt „Digital Construction Archive“. Dabei geht es nicht nur um den Aufbau eines digital verfügbaren Archivs, sondern viel mehr inhaltlich um die langfristige Archivierung „digitaler Konstruktionen“, damit wir einigen Jahren überhaupt noch wissen, wie sie geplant und vor allem gebaut wurden.

Zuletzt muss ich aber noch ein ganz anderes Projekt erwähnen, das mir derzeit tatsächlich besonders am Herzen liegt. Es ist entstanden aus Anlass des bevorstehenden 50. Jubiläums des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975, das seinerzeit unter dem Titel „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“ stand. In Anbetracht einer zunehmend diversen Gesellschaft haben wir uns gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen von ICOMOS gefragt, wer mit „unser“ überhaupt gemeint ist. Das vom Schweizerischen Bundesamt für Kultur geförderte Ausstellungsprojekt trägt nun den Titel „Eine Zukunft für wessen Vergangenheit? Das Erbe von Randgruppen, Minderheiten und Menschen ohne Lobby“.