Vom Toaster zum Gebäude: Ein Lehrkonzept über Reparatur, Upcycling und Instandhaltung
Seit 2015 setzen sich Prof. Silke Langenbergs Studierende kreativ mit der Reparatur von Alltagsobjekten auseinander. Die Lehrmethode ermöglicht eine schnelle Übertragung auf die Architektur – aktuell entwickelt sich das Konzept hin zu einem systemischen Lösungsansatz für den Erhalt des Bestands.
Konsumwahn, technologische Komplexität und geplante Obsoleszenz haben die Kultur des Erhaltens verändert zu einer Kultur der Entsorgung und des schnellen Ersetzens. Die Kunst des Reparierens eines Objektes – und sei es noch so insignifikant – hat unsere heutige Gesellschaft fast gänzlich verlernt. Als Reaktion darauf hat Prof. Silke Langenberg an der Hochschule München und später an der ETH Zürich ein Lehrformat eingeführt, das Architektur- und Designstudierenden die wertschätzende Auseinandersetzung mit einem defekten Gegenstand ermöglicht. Darauf baut ein ambitioniertes, transdisziplinäres Lehr- und Forschungsvorhaben auf, das systemische Ansätze für die Instandhaltung von Bestandsbauten erforscht. Vor dem Hintergrund der Klimabelastung und Ressourcenknappheit, die das Bauwesen verursacht, ist die Herangehensweise hochaktuell und treffend.
Alltagsobjekte in einem neuen Licht
Die Idee eines Reparaturschwerpunktes in der Lehre entstand an der Intersektion der zwei Interessensfelder von Prof. Langenberg – Denkmalpflege und digitale Fabrikation. Im Jahr 2015 startete sie das Seminar, in dem handwerkliche und digitale Fertigungsmethoden aufeinandertrafen und Alltagsgegenstände als Vehikel für einen Bewusstseinswandel in Bezug auf die Gestaltung und Instandhaltung von Gebäuden dienten.
Kaputte Uhren, Lampen, Toaster oder Stühle – solch unprätentiöse Objekte ermöglichten das kreative Reparaturkonzept und sicherten den Lerneffekt. Die Studierenden mussten die Aufgabe mit handwerklichem Geschick, konstruktivem Verständnis, kreativem Denken, aber auch mit einer Zukunftsvision angehen. Denn auch bei einer Reparatur müssen die Rückbaubarkeit der Bestandteile und die Anpassung auf eine zukünftige Nutzung berücksichtigt werden.
Was passiert, wenn kein Ersatzteil verfügbar ist? Um die Funktionsfähigkeit des ausgewählten Gegenstands wiederherzustellen, mussten die Kursteilnehmenden maßgeschneiderte Teile anfertigen. Dafür besorgte Prof. Langenberg im Rahmen ihrer Professur für Bauen im Bestand, Denkmalpflege und Bauaufnahme sogar den ersten 3D-Drucker an der Hochschule München.
Upgrade für eine Verlängerung der Nutzung
Was als Reparaturvorhaben startete, entwickelte sich im Lehransatz schnell zum konstruktiven, gestalterischen und materiellen Ertüchtigen. In der Auseinandersetzung mit jedem einzelnen Untersuchungsgegenstand haben die kreativ-lösungsorientierten Studierenden Schwachstellen optimiert, die Nutzung verbessert, die Lebensdauer des Objektes verlängert und im besten Fall dessen Wert gesteigert – ergo, es fand ein Upgrade statt.
Bald ging das Konzept auch in die Breite: Weitere Designfakultäten in Deutschland und in der Schweiz haben inzwischen das Lehrformat übernommen und angepasst. An der Bauhaus-Universität Weimar haben Studierende den Kurs sogar eigenständig eingeführt und abgehalten. Zwei Publikationen, „Reparatur: Anstiftung zum Denken und Machen“ und „UPGRADE: Making Things Better“, dokumentieren die Entwicklung und Ergebnisse des Lehrformats.
Transfer in die Architektur
Die Frage liegt auf der Hand: Welche Anwendung findet die Reparaturlehre von Kleinobjekten in der Architektur? Anhand der Uhr oder des Stuhls lässt sich die Bedeutung der Reparaturfähigkeit auch auf Neu- und Bestandsbauten übertragen. Die Erkenntnis, dass jedes Bauteil irgendwann repariert werden muss, setzt einen Paradigmenwechsel in der Planung voraus, über den sich die Seminarteilnehmenden schon im Studium bewusstwerden. Das im Kurs vermittelte Grundprinzip, von etwas Bestehendem die Lebensdauer zu verlängern und für die kommende Generation funktionsfähig zu machen, lässt sich auf das Bauen im Bestand anwenden.
Prof. Silke Langenberg hat an der Professur für Konstruktionserbe und Denkmalpflege am Departement Architektur der ETH Zürich das Lehrformat kontinuierlich weiterentwickelt, auf den Gebäudemaßstab übertragen und zu einem Forschungsschwerpunkt ausgebaut.
Ausblick: Vor Ort bleiben
Als Antwort auf den „Second-Hand-Trend“ der Wiederverwendung von Bauteilen betont Prof. Langenberg, dass Reparatur- und Aufwertungsmaßnahmen vor Ort zusätzlich wesentliche Ressourcen sparen können. Dies vermittelt sie u. a. in dem aktuellen DesignBuild-Wahlfach „Repair: Keep in Place“, das Studierenden die Arbeit direkt am Bauwerk ermöglicht und dadurch eine hohe Bewusstseinsbildung für nachhaltiges Denken und Handeln verspricht.
Ab Frühjahr 2024 startet an der Professur für Konstruktionserbe und Denkmalpflege auch das neue CAS Weiterbildungsprogramm „ReMain (Repair and Maintenece)“ in Kooperation mit dem Departement Maschinenbau und Verfahrenstechnik der ETH Zürich. Wie bauen Denkmalpflege und Maschinenbau inhaltlich aufeinander auf? Der Fokus liegt auf Serienproduktion und industrialisierten Lösungen – der Aufbau dieser Expertise, über die das Maschinenwesen verfügt, ist für die Instandsetzung neuer Denkmäler unerlässlich geworden. Zunehmend rücken Gebäude aus den 1970er- oder 1980er-Jahren ins Visier der Denkmalpflege, deren Bauweise sich mit Manufakturarbeit nicht nachbilden lässt. Das Erforschen serieller und digitaler Fabrikationstechniken für die Bewahrung dieser Architekturen ist das Ziel von Prof. Silke Langenberg. Damit einher geht ein Shift in der Denkweise: von Einzelfalllösungen hin zu systemischen Ansätzen.