„All die unterschiedlichen Formate haben letztlich ein wichtiges Ziel: beschreiben lernen. Die Benennung, die Auswahl von Wörtern ist bereits ein Entwurf.“

Nach zahlreichen Gastprofessuren, unter anderem an der Universität KasselUniversität Siegen und zuletzt an der TU Dresden, hat das STUDIO KAWAHARA KRAUSE seine Entwurfslehre in der Ausstellung „Sammelsurium“ zusammengefasst. Wir sprachen mit Tatsuya Kawahara und Ellen Kristina Krause über die Entwicklung ihres Lehrkonzepts.

Sie haben an zahlreichen Hochschulen deutschlandweit unterrichtet. Wie würden Sie Ihren Lehransatz beschreiben?

Als entwurfsfokussiertes Architekturbüro haben wir bisher immer Entwerfen unterrichtet, bereits als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen in Hamburg und Hannover, dann in Vertretungs- beziehungsweise Gastprofessuren an den Universitäten in Siegen, Kassel und Dresden. 

Neben der klassischen Projektarbeit versuchen wir vermehrt, nicht nur durch Referenzarbeit in die Tiefe des Entwerfens einzutauchen. Exkurse in Literatur, Philosophie, Geschichte, Soziologie, Kunst und andere Disziplinen sollen unseren Studierenden die Möglichkeit geben, ihre Arbeit in einem erweiterten Kontext zu betrachten.

Welchen Schwerpunkt setzen Sie in der Lehre und welche Methoden wenden Sie/Ihre Studierenden an?

Neben der Projektarbeit als Hauptaufgabe gibt es in unseren Kursen immer mehrere, kürzere oder längere Nebenübungen. Das tiefgehende strukturelle Verständnis von Referenzprojekten lehren wir in Zeichenübungen, Kurzentwürfe vermitteln konzeptuelles Denken und Darstellen, gemeinsames Lesen und Diskutieren weitet den Horizont und schafft eine Wissensbasis, Sammeln von Referenzen lässt ein Entwurfsrepertoire entstehen, Exkursionen ermöglichen räumliche Erfahrung.

All die unterschiedlichen Formate haben letztlich ein wichtiges Ziel: beschreiben lernen. Die Benennung, die Auswahl von Wörtern ist bereits ein Entwurf. Die Beschreibung – mit unterschiedlichen Mitteln, sei es wörtlich, zeichnerisch oder über andere Formate – dessen, was da ist oder eventuell auch nicht da ist, bildet einen essenziellen Teil des architektonischen Entwerfens.

Arbeitserfahrung in Japan und Deutschland – Wie beeinflusst dieser Background Ihr Studio und Ihre akademische Tätigkeit?

Unsere internationalen Erfahrungen führen wohl vor allem zu der Einstellung, Dinge nicht einfach als gegeben hinzunehmen, sondern ihre Essenz zu hinterfragen. Uns interessiert, „wie die Dinge zusammenkommen“. Wir möchten das komplexe Geflecht der Gegebenheiten im klassischen Dreiklang von Typos, Topos und Tektonik ausloten – also Ort, Geschichte, Tradition, Soziologie, Zeitgeist, Klima, Konstruktion, usw. in ihren vielschichtigen Zusammenhängen und Bedeutungen lesen und interpretieren. Entwerfen bedeutet für uns, die Teile und das Ganze in ihrem jeweiligen Bezugssystem als auch ihren Beziehungen zueinander im Verhältnis zu Zeit und Ort zu sehen.

Wer inspiriert Sie besonders und dient als Vorbild für Ihre Lehrtätigkeit? Welche Referenzen geben Sie den Studierenden?

Wir lassen zwar an bekannten Gebäuden der jüngeren Architekturgeschichte räumlich-strukturelle Analysen durchführen und geben in der Entwurfskonsultation auch mal konkrete Projektbeispiele, versuchen aber vor allem, die Studierenden zur eigenen Suche nach Referenzen aus einem sehr weiten Spektrum, auch jenseits der Grenzen der Architektur zu befähigen. Die Arbeit mit dem, was wir „Sammelsurium“ nennen, ist ein Beispiel dafür.   

Ihre Ausstellung nennt sich „Sammelsurium“ – eine ungeordnete, unsystematische Sammlung. Welches Konzept liegt der Exposition zugrunde und inwieweit spiegelt sich darin Ihre Lehrtätigkeit wider?

Das Sammelsurium in der Ausstellung zeigt alles zugleich: den Input und den Output in unterschiedlichen Stadien des Entwurfsprozesses, Beobachtung und Herleitung, Referenz, Analyse und Extrakt, Interpretation und Narration. Es ist durchmischt und präsentiert kein Ergebnis, sondern einen Moment eines Prozesses. Zu sehen sind unter anderem Referenzprojekte, Texte, Kunst, Skizzen, zeichnerische Analysen, Modellfotos und Projekte der Studierenden. Jede*r liest es anders, verknüpft die Teile zu anderen Narrationen. Entwerfen ist nicht linear, es bewegt sich in alle Richtungen. 

Das Sammelsurium lässt sich von jedem Punkt aus unendlich fortsetzen. Alles gleichzeitig zu sehen, ist dabei ein wichtiges Momentum. Denn in seiner Masse und Gleichzeitigkeit fördert das Sammelsurium den Wechsel zwischen beiläufigem Sehen und fokussierter Betrachtung. Beides zusammen nährt die Inspiration und Entwurfsfähigkeit. Entwerfen hat viele unterschiedliche Aspekte, die zwischen rational, assoziativ, intuitiv, reflexiv, objektiv und persönlich oszillieren.

In unserer Lehre haben wir das Sammelsurium als Mittel entdeckt, in kurzer Zeit ein interpretierbares Repertoire als kollektive Arbeit zu erstellen. Neben der unmittelbaren Anwendbarkeit und umfassenden Weiterentwicklungsmöglichkeit versinnbildlicht das Sammelsurium somit zugleich das Eingebundensein, die Relation von einem zu allen und allem anderen, sowohl in Bezug auf das Format als auch den Inhalt.

Wie sollte sich Ihrer Meinung nach die universitäre Architekturlehre angesichts aktueller Herausforderungen weiterentwickeln?

Erst eine breite Wissensbasis ermöglicht den angemessenen Umgang mit nötigen Veränderungen und eine Einordnung in den Kontext. Die Schulung des Auges – im übertragenen Sinn – ist somit essenziell, ein Verständnis für die Vergangenheit als auch das Hier und Jetzt, das wiederum das Geschichtsverständnis prägt. Nach dem Philosophen Benedetto Croce ist Geschichte immer zeitgenössische Geschichte. Wir betrachten sie also aus dem Geflecht an Gegebenheiten heraus, in das wir eingebunden sind. Als Architekt*innen müssen wir die Eingebundenheit unserer Entwürfe auf allen Ebenen verstehen, um in den komplexen Anforderungen adäquate Antworten zu finden.