Für den Erhalt und eine nachhaltige Stadtentwicklung: Einige Fragen an das Raumforschungskollektiv „ufo ufo"

Jeanne Astrup-Chauvaux, Sebastian Díaz de León, Lena Löhnert und Florine Schüschke haben sich während ihres Architekturstudiums an der UdK Berlin kennengelernt. Seit 2022 setzen sie sich als Kollektiv „ufo ufo“ für eine soziale und nachhaltige Stadtentwicklung ein. Zu ihren Projekten gehören die Ausstellung „Visiting: Baller“ und die Protestaktion „ABRISSSTOP“.

Wer steht hinter ufo ufo und wie seid ihr aufgebaut? Wie kam es zur Gründung des Kollektivs und was war dabei eure Motivation?

Wir sind ein vierköpfiges Raumforschungskollektiv aus Berlin und haben uns im Architekturstudium kennengelernt. Konfrontiert mit einer profit- und wachstumsorientierten Stadtentwicklung, begaben wir uns bereits während des Studiums auf die Suche nach Orten und Gebäuden, die Beispiele für andersartige Stadtentwicklung sind und sich den heute unausweichlichen Fragen nach einer sozialen und klimagerechten Stadt stellen. Als Kollektiv versuchen wir unhierarchisch zu arbeiten. Das bedeutet für uns, unsere eigenen Rollen in Projekten immer wieder zu hinterfragen, keine eingefahrene Rollenverteilung zuzulassen und alle Entscheidungen gemeinschaftlich zu treffen.

Wofür steht „ufo“ und wofür setzt ihr euch ein? 

„ufo“ steht für „urban fragment observatory“. In unserer Arbeit suchen wir nach Räumen, die unterschiedliche Lebensweisen ermöglichen; Räume, die nicht standardisiert und dennoch bezahlbar sind. Unser Kollektiv dokumentiert diese Fragmente der Stadt, Orte oder Situationen, die unbemerkt bleiben und die durch unsere Arbeit neu im Licht stehen. Wir schauen dabei auf diese Orte immer aus der Perspektive der Bewohner*innen und Nutzer*innen, also nicht abstrakt von oben wie sonst häufig in der Architektur. Mit dieser Aufmerksamkeit möchten wir einen Ausweg aus der Monotonie unserer gebauten Umgebung aufzeigen.︎ Wir arbeiten multimedial: mit Text, Film, Grafik und Performance im öffentlichen Raum. Es ist für uns eine Möglichkeit, über Stadtpolitik und Architektur auf eine Art zu sprechen, die Zugänge zu diesen zum Teil sehr komplexen Themen schafft, auch für Menschen, die nicht aus der Fachwelt kommen.

Ihr fordert den Erhalt von fünf Gebäuden in der Kurfürstenstraße in Berlin, darunter das bekannte LSD-Haus. Wieso gerade diese Gebäude?

Die Menge an Gebäuden, die in dem Gebiet um die Kurfürstenstraße abgerissen werden sollen, ist erschütternd. Sechs Gebäude sind bedroht. Es handelt sich bei all diesen Gebäuden um Strukturen, die in den 60er und 70er Jahren gebaut wurden, einer Zeitepoche, deren baulichem Erbe heute die Lobby fehlt. Sie sollen jetzt durch profitablere Neubauten ersetzt werden. Dazu kommt, dass es sich um Gewerbebauten handelt. Hier gibt es also keine aktive Bewohner*innenschaft, die sich für den Erhalt einsetzen kann. Neben der nicht vertretbaren Ressourcenverschwendung und Emissionssteigerung, die durch die Abrisse entstehen, führen die Neubauvorhaben auch zur Verdrängung von marginalisierten Gruppen im Kiez. Wenn ein Haus abgerissen und neu gebaut wird, sind die Mieten im Neubau fast immer teurer. In den letzten Jahren sind die Mieten in der Kurfürstenstraße um ca. 25 Prozent gestiegen. Immobilienfirmen sind zwar gesetzlich verpflichtet, abgerissene Wohnflächen durch Neubauten mit begrenzten Mieten zu ersetzen, tatsächlich wird dieses Gesetz in vielen Fällen aber nicht eingehalten. Das heißt: Mit jedem Haus, das abgerissen wird, verliert Berlin günstigen Wohn- und Gewerberaum. Die sozialen Strukturen im Kiez sind gefährdet. Deutschland muss sich dringend einen anderen Umgang mit Bestandsgebäuden angewöhnen und sowohl aus sozialen als auch aus Umweltgründen Abrisse erschweren und verbieten!

In einer Ausstellung und einer Publikation habt ihr euch dem Werk von Inken und Hinrich Baller gewidmet. Welche Bedeutung haben diese Wohnarchitekturen der 70er und 80er Jahre für euch?

Wir betrachten die Gebäude von innen und sehen die Filigranität, die räumliche Durchlässigkeit und Offenheit, die Integration von Gemeinschaftsflächen in die Wohngebäude sowie die ungewöhnlichen Grundrisslösungen der Wohnungen. Es sind Elemente, die eine hohe Lebensqualität ausmachen und dennoch in Gebäuden umgesetzt wurden, die im engen Rahmen des sozialen Wohnungsbaus entstanden sind. Dieser Blick auf das Werk von Inken Baller und Hinrich Baller hat uns in der Rezeption und im Diskurs über die Berliner Architektur gefehlt. Diese Lücke wollten wir mit der Ausstellung und Publikation schließen. Viele der Aspekte in ihrer Architektur können Vorbilder sein für das, was heute gebaut wird.

Welche Tendenzen seht ihr zukünftig in eurer Arbeit? Wo soll es hingehen?

Wir wollen weiterhin urbane Räume künstlerisch erforschen, vor allem jene der momentan zum Teil sehr gefährdeten Nachkriegsarchitektur der 60er bis 80er Jahre. In Berlin wollen wir durch unsere Arbeit auch weiterhin einen Beitrag dazu leisten, dass diese Architekturen erhalten bleiben. Das bedeutet auch, deren Potenziale sichtbar zu machen. Zurzeit arbeiten wir an einem Kurzfilm über die Gebäude von Renée Gailhoustet und Jean Renaudie in Ivry-sur-Seine nahe Paris. Das sind ebenfalls herausragende Beispiele für eine zukunftsfähige Stadt mit riesigen gartenähnlichen Terrassen an allen Wohnungen und auf den Dächern, obwohl auch diese Strukturen im sozialen Wohnungsbau entstanden sind. In Zusammenarbeit mit den Bewohner*innen sind drei Geschichten entstanden, die wir im öffentlichen Raum zeigen werden. Architektur und Stadt vor Ort und in Austausch mit den Nutzer*innen zu erforschen, physisch zu erleben und für andere nachvollziehbar zu machen, ist für uns der Ausgangspunkt unserer Arbeitsmethode, die wir „Visiting“ nennen. Für uns steht vor allem eine Frage im Mittelpunkt unserer Arbeit: Wie können wir die Architekturpraxis radikal verändern, um den Herausforderungen unserer Zeit und der Zukunft in richtiger Weise begegnen zu können? Mit unserer künstlerischen Praxis wollen wir die konkreten Möglichkeiten von Veränderungen darstellen und bewusst machen. Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein. Dafür müssen wir jetzt klimagerecht bauen. Das bedeutet: Häuser erhalten, sanieren, energetisch verbessern, aufstocken, anbauen, Gärten vorsehen, Balkone anhängen, die Potenziale des Bestands ausnutzen und anders bauen, als es im großen Stil momentan passiert.