Flachdächer nutzbar machen – das hat sich der Stadtgewitter e.V. vorgenommen und nimmt dazu die vielen Plattenbauten Berlins in den Fokus. Unter dem Titel Operation Himmelblick erschließt der Verein ein Dach unweit des Alexanderplatzes gemeinsam mit der Hausgemeinschaft und der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Mitte. Studierende der Humboldt-Universität, der Universität der Künste und der Technischen Universität Berlin helfen mit und untersuchen den Prozess in einem zweisemestrigen Seminar.
Operation Himmelblick
Als 2019 eine Gruppe von Berliner Künstler*innen und Architekt*innen den Verein Stadtgewitter gründeten, begaben sie sich auf die Suche nach Dachflächen in Innenstädten, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Insbesondere Plattenbauten stehen in ihrem Fokus: Sie sind überall in Berlin zu finden und ähnlich in ihrer Beschaffenheit. Sollte also eines der Dächer erschlossen werden, könnte es als Modell für viele weitere dienen. Die „Operation Himmelblick“ war geboren.
Absturzgefahr, Statik und technische Dachaufbauten – einige Skepsis begegnete dem Verein zunächst, als er auf die Hausgemeinschaft eines Plattenbaus an der Leipziger Straße und seine Eigentümerin, die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM), zuging. Das typische Kiezleben ist hier, an der mehrspurigen, lärmenden Straße nicht zu finden. Jedoch gibt es über den 14 Wohngeschossen eine großzügige Dachfläche, die die rund 200 Bewohner*innen gemeinschaftlich, ökologisch und vor allem nicht-kommerziell nutzen könnten: zum Spielen, zum Speisen, zum Gärtnern. Wie das Treiben auf der Dachterrasse aussehen könnte, zeigt ein Prototyp, der seit dem Sommer 2021 im Innenhof des Gebäudekomplexes steht.
Forschungsseminar „Stadt vom Dach aus denken"
Die Idee wird konkret: Über zwei Semester hinweg soll auf dem Plattenbaudach als Teil der „Operation Himmelblick“ eine Terrasse entstehen – mithelfen sollen neben den Bewohner*innen auch Studierende. Sie begleiten das Pilotprojekt im Rahmen des Forschungsseminars „Stadt vom Dach aus denken“, das Jakob Wirth betreut. Der wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) forscht schon lange zu Stadträumen und ist Mitglied des Vereins Stadtgewitter. Angeschlossen haben sich das Fachgebiet für Städtebau und Urbanisierung der Technischen Universität und das Studio Raumproduktion der Universität der Künste. Kontakte zu den beiden Professuren knüpfte Jakob Wirth, während er ein studentisches Forschungstutorium vorbereitete, ein „X-Tutorium“, ausgeschrieben von der Berlin University Alliance.
Interaktiv und Interdisziplinär
In Kontakt mit den Bewohner*innen treten und etwas über die Strukturen, Probleme und Bedürfnisse der Hausgemeinschaft lernen – darum geht es im Kern des Seminars. Im Sommersemester 2022 dokumentierten die Studierenden die Ausgangslage vor Ort. Sie verschaffen sich gemeinsam einen Überblick über verschiedene Strategien und Perspektiven des Forschungsdesigns. Begleitend stellen ihnen Expert*innen aus Theorie und Praxis sozialwissenschaftliche, genauso wie künstlerisch-architektonische Herangehensweisen vor.
Im Anschluss gehen die Studierenden im Tandem oder Team mit einer selbst entwickelten Fragestellung und Methodik ins Feld. Rund um den Prototypen im Innenhof der Wohnanlage werden sie versuchen, die Hausgemeinschaft zu mobilisieren und für die gemeinschaftliche und gemeinwohlorientierte Dachnutzung vorzubereiten.
Im Wintersemester 2022/23 sollen dann die Terrassenmodule für die Dachfläche gebaut werden, die auch schon beim Prototypen zu sehen sind. Um zu überprüfen, was sich getan hat durch die Erschließung der Dachfläche, führen die Studierenden eine weitere Erhebung durch. Abschließend sollen die gesammelten Erkenntnisse in einer Publikation zusammengefasst werden.
Bauend Kontakte knüpfen
Um etwas über die Menschen im und um das Haus zu erfahren, verlassen die Studierenden den Seminarraum und gehen nach draußen. Vor Ort, in den Räumen der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM), im Hof des Plattenbaus und auf seinem Dach wird diskutiert, befragt und beobachtet.
Die Studierenden sind außerdem willkommen mit Hand anzulegen, wenn über den Sommer hinweg auf dem Plattenbaudach gebaut wird. Zwischen Sägen, Schraubern und Farbeimern können sie dabei ins Gespräch kommen mit Leuten aus dem Haus und so als „teilnehmende Beobachter*innen“ weitere Kenntnisse für die Auswertung im Wintersemester zu sammeln. Gleichzeitig haben sie Gelegenheit die Organisation der Aktivitäten rund ums Dach zu unterstützen – wichtige Erfahrungen können dabei gesammelt werden für eine zukünftige Planungspraxis.
Ein Beitrag zur Überzeugungsarbeit
Sind Projekte wie dieses nützlich, um weitere Sozialwohnungsbauten zu transformieren? Welche Effekte haben sie auf die Hausgemeinschaften? Geben sie neue Impulse, Dachflächen zu nutzen? Das sollen die Studierenden am Ende der zwei Semester beantworten. Interessieren werden die Ergebnisse sicherlich Stephan Lang von der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Mitte, dem das Gebäude in der Leipziger Straße gehört. Er möchte die Evaluierung des Pilotprojekts abwarten, bevor er und seine Kolleg*innen entscheiden, ob sich solche Projekte auch für andere Häuser eignen könnte.