Ausstieg im Kreuzberger Getümmel am Südstern, zehn Minuten in Richtung Tempelhofer Feld, an der Seite ein kaum auffälliges Schild mit Pfeil zur „Floating“. Gehe ich ein paar Schritte weiter, finde ich mich auf einem Zugangsturm, gar Aussichtsturm aus Stahltreppen wieder, der plötzlich einen weiten Blick auf Stege, Beete, Schilf, kleine Holz-, Reetbauten und Pavillon-Dächer aus Kunststoffblasen eröffnet. Personen bauen Installationen auf, flechten, pflanzen Bäume und tragen Dinge hin und her. Das Treiben und die Sprache der Architektur und des Ortes lassen bereits die offene und alternative Struktur dieses Projektes erahnen. 2018 ist hier, initiiert von raumlaborberlin, inmitten eines Regenwasserrückhaltebeckens die Floating entstanden, ein (wiederkehrend) temporäres, innerstädtisches Offshore-Labor für Visionen urbaner Praxis, das zum gemeinsamen Lernen und Vernetzen einladen soll.
Im Zuge der Begründung der baulichen Struktur ist der Floating e.V. entstanden, der die Wasserinfrastruktur als kulturellen und sozialpolitischen Ort reaktiviert. Mit unterschiedlichen Partner*innen, Universitäten und Akteur*innen entwickelt der Verein wiederkehrende Programme für das Projekt und ergründet stetig, wie auf dem saisonalen Gelände mit Nachbar*innen, Freiwilligen und Gästen im Einklang mit Flora und Fauna gearbeitet werden kann. Wir haben mit Kristin Lazarova und Antonia Schlaich gesprochen, die uns als organisierende und in den Prozessen beteiligte Personen das Konzept und die von außen zunächst undurchsichtige Infrastruktur dieses besonderen Lernortes nähergebracht haben. Kristin Lazarova koordiniert seit Mai 2022 das „Learnscape“-Programm, dass es Studierenden-Gruppen möglich macht, mit oder ohne Lehrpersonen verschiedenste Lernveranstaltungen an der Floating zu organisieren und Praktiken des co-, un- & relearning kennen zu lernen. Antonia Schlaich hat u.a. als freie Mitarbeiterin bei raumlaborberlin ebenfalls im Vorjahr am Programm mitgewirkt und ist derzeit weiterhin organisierend für die Floating im Einsatz.
Wie würdest Du die „Floating“ und ihr Konzept beschreiben? Wie können wir uns die Infrastruktur dieses besonderen Ortes hier vorstellen?
Kristin Lazarova: Bei der Frage könnte man bereits beim Namen beginnen „Floating Universtiy“. Das Wort University wurde gestrichen – aus rechtlichen Gründen, aber auch, um neue Möglichkeiten und Praktiken jenseits institutionalisierter Wissensproduktion abzubilden. Die Floating ist ständig im Wandeln und im Werden, das durch die menschlichen und nicht menschlichen Akteur*innen, die den Ort formen, entsteht. Im Kern wird hier gemeinsam gelernt. Und zwar praxisnah und praxisorientiert, spielerisch und experimentell, indem sich alle Beteiligten mit verschiedenen Themen auseinandersetzen, die direkt mit dem Areal verbunden sind. Das betrifft zum einen den Begriff der Naturkultur und die Verschmelzung von dieser Dualität. Andererseits geht es hier um die Transformationen von Räumen in der Stadt, um Multikodierung von Flächen, um urbane Praxis, Klimaschutz, Biodiversität, Boden, Ressourcenknappheit, Wassermanagement etc. Das Gelände ist eigentlich ein Regenwasser Rückhaltebecken, mit dem die Floating koexistiert und diesen Raum als Lernplattform nutzt, ohne die ursprüngliche Funktion der Infrastruktur zu verhindern. Zudem ist der Ort auch offen für verschiedene Programmierungen: Es gibt eine Basis-Infrastruktur, und es gibt Personen, die dann teilweise Programme selbst organisieren oder Menschen dabei helfen, sich einzubringen und Teil des Netzwerks zu werden.
Antonia Schlaich: Für mich hat die Floating eine stark sinnliche Intention. Durch die alternative und vor allem temporäre Architektur will sie zeigen, was in der Stadt noch so möglich ist. In vielen Programmen wird in Möglichkeitsfeld geboten, bei denen Gruppen einfach herkommen, diese Strukturen nutzen, sogar zum Teil selbst erweitern und sich generell von diesem Ort inspirieren lassen können. Wie baut man einen Raum auf, der für die Gemeinschaft, also für das Zusammentreffen von verschiedenen Personen konzipiert ist? Wir versuchen es durch Konzepte wie der offenen Küche im Mittelpunkt des Geländes und haben das Gefühl, dass es funktioniert. Interessanterweise läuft man oft unbewusst an diesem Ort inmitten von Kleingärten, Friedhof und Sportplätzen vorbei. Sogar Leuten aus der Nachbarschaft kennen dieses Projekt meist nicht. Sowas ist irgendwie selten in der Stadt – so ein Ort, bei dem sich die Natur ziemlich viel zurück erobern kann.
Es versammeln sich verschiedenste Formate, Lehr- und Lerninhalte in der Floating. Wie würdet ihr die Struktur beschreiben, und was sind essenzielle Unterschiede zu einer Universität und ihrer institutionellen Lehre?
Kristin Lazarova: Die Floating ist räumlich ganz anders als Lerninstitutionen. Zum einem schon alleine, weil man draußen ist und nicht in einem vom Wetter geschützten Raum. Im Juli ist es viel zu heiß, und im November kann man eigentlich kaum noch dort sein. Durch die offene Struktur ist es zum anderen aber auch ein Ort, der einlädt, sich spielerisch mit ihm auseinanderzusetzen und zu interagieren. Weiterhin wünschen wir uns, dass die Nutzer*innen, verschiedenste Lerngruppen etwa, sich in Eigenorganisation um sich selbst und den Ort kümmern. Der Verein kümmert sich zum Beispiel nicht um die Verpflegung der Gäste auf dem Gelände. Das heißt natürlich, dass dadurch auch neue und unerwartete Situationen entstehen. Ganz anders, als wenn man an der Uni ist und einfach zur Kantine geht. Den Leuten macht es hier Spaß, gemeinsam zu kochen oder sich darum zu kümmern, dass alle gute Laune haben. Dieser „Care-Aspekt“ steht plötzlich im Vordergrund, der vielleicht in einem institutionellen Raum und Rahmen nicht so präsent wäre.
Anders als bei der parallelen Raumanordnung an der Uni, lässt die räumliche Situation der Floating den direkten Kontakt zu anderen Gruppen oder gleichzeitig stattfindenden Veranstaltungen zu - wir hören, sehen, spüren, riechen, was um uns herum passiert. Damit ist die Situation viel niederschwelliger. Alle Beteiligten sind zudem auch schneller mit anderen Lehrmethoden konfrontiert. Dieses Phänomen beschreiben wir auch als „cross pollination“, was so viel bedeutet, dass über sich natürlich kreuzende Wege Blüten bestäubt werden. Das passiert hier auch mit den Lerngruppen, die gleichzeitig vor Ort sind. Dadurch kommen schnell unterschiedliche Disziplinen zusammen wie beispielsweise Akteur*innen aus der Nachhaltigkeitsforschung mit anderen aus Tanz und Bewegung oder der Anthropologie und Stadt-Geografie. Das eröffnet verschiedene neue Perspektiven, die Gemeinsamkeiten haben.
Antonia Schlaich: Für die Städtebau- und Architekturlehre ist das hier natürlich besonders. In der Uni sind die Leute immer an einem gewohnten Ort, entweder in einem Hörsaal oder in einem Studio, wo man sich dann hinsetzt und zuhört. Hier wird man aber schnell mit eingebunden, muss den Küchendienst machen und unterhält sich. Was macht ihr eigentlich gerade da drüben? Darf ich auch mithelfen? Das ist eigentlich genau das Schöne daran, und ich glaube, das hilft dem Lernen und Verstehen von Architektur.
Wie beeinflusst dieses alternative Konzept der Floating die Lehre?
Kristin Lazarova: Hier wird auch aus der Praxis heraus gelernt und gelehrt. Im Gegensatz zum rein akademischen Bereich findet an der Floating das Lernen auf so viele verschiedene Art und Weisen statt. Zum Beispiel gibt es Gruppen, die sich mit Kompost auseinandersetzen. Da kommen Expert*innen zum Einsatz, die nicht im institutionellen Rahmen lehren, sondern ihr Praxiswissen in Form von Workshops weitergeben. Es wird nicht erst gelernt und dann praktiziert, sondern man lernt durch das Machen. Dadurch wird der konventionelle akademische Weg umgedreht. Durch die intuitive Eigeninitiative wird erst im Nachhinein versucht, Schlussfolgerungen zu ziehen. Diese Herangehensweise ist sehr spannend.
Wie geht es weiter? Was habt ihr vor, und wie lässt sich mit dieser temporären, sich wandelnden Struktur für die Zukunft planen?
Kristin Lazarova: Wie es weitergehen kann, ist einerseits sehr komplex und gleichzeitig noch unklar. Es ist letztlich eine politische Frage. Die Fläche gehört dem Land, verwaltet von der Tempelhof-Projekt GmbH und ist gleichzeitig der einzige Projektbestandteil des Tempelhofer Flughafens, der sich im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg befindet. So gibt es verschiedenste Perspektiven auf den Ebenen des Bezirks, Senats und aus den zuständigen Fachämtern Umwelt, Sport und Stadtentwicklung, auf die zukünftige Entwicklung der Fläche. Jedoch werden auch das Potenzial und die Wirkung dieses informellen Campus auf die Stadt bemerkt. Dadurch, dass Flächen in Berlin immer knapper und Räume für alles gebraucht werden, geraten auch hier gewisse Nutzungsansprüche in Konkurrenz miteinander. Es werden sowohl Grünräume, Sportflächen als auch graue Infrastrukturen wie solch ein Regenwasserrückhaltebecken gebraucht, aber auch offene und selbstorganisierte Experimentierräume - Freiräume im weitesten Sinne - und da muss man in Zukunft sehen, wie solche Flächen multicodiert funktionieren, und wie solche Nutzungen im besten Fall koexistieren können.
Das Learnscapes-Programm selbst entwickelt sich auch von Jahr zu Jahr weiter. Im Sommer haben wir noch einmal das Netzwerk an Lernenden, Studierenden und Lehrenden im Rahmen des LearnPeaks-Symposiums zusammengebracht, um gemeinsam die Erfahrungen vor Ort zu reflektieren und uns über experimentelle Praktiken des Lernens, aber auch über Zukunftsperspektiven auszutauschen. Wie gelingt nicht hierarchische Selbstorganisation in einer Lerngruppe? Was braucht es an Institutionen und an Transformationen, bzw. was kann man von der Floating lernen und wieder an die Uni zurückbringen? Und was genau bräuchte es für eine Floating „Community of Practice“? Was ich hierbei sehr spannend fand, ist, dass die Teilnehmer*innen die Notwendigkeit solcher Transformations- und Lernorte betonen und sich auch gewünscht haben, eine Art „Assembly“ zu organisieren. Dort könnte sich das Netzwerk, das Akteur*innen und Institutionen aus Berlin, Europa und weltweit durch die Floating und das Programm verknüpft, etwa einmal im Jahr treffen und gemeinsam die Floating Learnscapes weiter formen. Es ist noch einmal sichtbar geworden, welche Bedeutung die Floating für die städtische und gesellschaftliche Transformation hat und haben kann, für Personen mit und ohne akademischen Hintergrund, aus der Nachbarschaft oder aus anderen Ländern, für Lernende und Praktiker*innen, Menschen und Nicht-Menschen, Jung und Alt, als Ort des Austauschs und des gemeinsamen Lernens.