Juli / August 2023
Das Maß der Dinge.
Ein Opern-Interim in den Fragmenten der NS-Kongresshalle Nürnberg.
Bauhaus-Universität Weimar
Master
02.11.2022
Entwerfen und komplexe Gebäudelehre | Prof. Dipl.-Ing. Jörg Springer
Kulturbauten
ArchiCAD 23 | Adobe Photoshop | Lightroom | InDesign
GRUNDLAGEN. | Das Nürnberger Staatstheater soll in den kommenden Jahren umfassend saniert werden, weshalb die Stadt nach einem Standort für einen Interimsbau sucht. Hierbei hat man auch das Gelände an der ehemaligen NS-Kongresshalle in den Blick genommen. Doch kann und sollte man an diesem Ort überhaupt bauen? Ist es grundsätzlich möglich, der nationalsozialistischen Machtarchitektur und der in ihr materialisierten Ideologie mit den Mitteln der Architektur eine Antwort entgegenzustellen? Welche Rolle kann und sollte ein Neubau an diesem Ort einnehmen? Und: Welche Bedeutung kommt dabei den Fragmenten der NS-Kongresshalle als Bestand zu?
HALTUNG. | Neubau und Bestand sind untrennbar miteinander verbunden -
jedoch sollte diese Abhängigkeit nicht mit Kausalität verwechselt werden.
Der Bestand ist nicht Grundlage, sondern vielmehr erklärtes Zielobjekt des Handelns. Seine architektonischen Wirkmechanismen werden dechiffriert und mit dem Opern-Interim präzise die sensibelsten Punkte besetzt.
OPERNINTERIM. | Der Interimsbau wird bewusst in die zentrale Achse des Monumentalbaus gerückt und im Scheitelpunkt des Halbrunds platziert. Mit stoischer Hartnäckigkeit setzt er sich als autonomer Parasit im unmittelbaren Spannungsfeld des Innenhofs fest. Eine Geste mit fordernder Präsenz, die selbstbewusst genug ist, das Bild des monumentalen, repetitiv gerasterten Halbrunds empfindlich zu stören. Aber auch ein Zeichen, das mit großer Gelassenheit jedes architektonische Aushandeln mit dem Bestand ablehnt. Keine noch so vage Triumphgeste, wie sie im Wettbewerb gerne als Lösung präsentiert wurde [und von bemerkenswerten Moralvorstellungen spricht]; aber auch keine unmittelbare Re-Aktion, wie von Günther Domenigs goldenem Splitter gezeigt - schließlich ist hier die Bauaufgabe eine ganz andere.
BESTAND. | Die strikte Trennung zwischen Interim und Kongresshalle wird auch auf der funktionalen Ebene weitergeführt. Der Bestand wird nicht durch eine repräsentative Nutzung legitimiert oder gar in die Inszenierung des Opernbesuchs eingebunden [-Publikumsverkehr findet nur im Neubau statt-]. Er ist lediglich Gehäuse für die dienenden Funktionen des Opernbetriebs. Alle im Bestand untergebrachten Nutzungen sind als funktionale Ausstülpungen des Interimbaus zu lesen, weshalb auch die angedachten baulichen Maßnahmen nicht über die minimal notwendige Ertüchtigung der Räume hinausgehen.
Text von Grit Farl.