Peripheral Cartographies: Für eine alternative Kartenkunde

Zeichnung, Karte, Entwurf – In der Masterarbeit von Laura Hurley sind verschiedene Darstellungsmodi eng miteinander verwoben. Angesiedelt ist ihr Projekt auf einer kleinen Insel, unweit der irischen Küste.

Inishbofin ist eine 15 Quadratkilometer große Insel, neun Kilometer vor der westirischen Küste. Für ihre Masterarbeit an der School of Engineering and Architecture der University of Cork hat Laura Hurley eine alternative kartografische Praxis für dieses Gebiet entwickelt. Den Kern ihrer Arbeit bildet eine generative Zeichentechnik, aus der sie ihren Entwurf für eine neue Typologie, die die postkoloniale Neueinschreibung der Insel beherbergen soll, ableitet. Das Ergebnis sind eindrucksvolle großformatige Strichzeichnungen, die Laura Hurley als „Countermapping“ der Insel begreift. Für ihre Arbeit wurde sie unter anderem mit dem EUmies Award 2023 in der Kategorie Young Talent ausgezeichnet und hat sich damit einen Platz im LINA-Fellowship-Programm gesichert.

Nationale Identität stärken

Die Geschichte Irlands ist von Besatzungen durch andere Länder geprägt. So sah sich die Kultur und nationale Identität der Ir*innen immer wieder mit der Gefahr konfrontiert, eliminiert zu werden. Beispielsweise führte die britische Besatzung Irlands unter anderem dazu, dass ursprüngliche Ortsnamen, die oftmals der Topografie oder der Landschaft entlehnt waren, anglisiert wurden. Der sogenannte Ordnance Survey – eine ausführende Behörde der Regierung des Vereinigten Königreiches, deren Hauptaufgabe die nationale Landesvermessung Großbritanniens ist – habe in den 1830er-Jahren maßgeblich den zunehmenden Verlust kultureller Identität bestärkt, so Laura Hurley. Dies sei unter anderem dadurch geschehen, dass diese Behörde Irlands Landschaft als homogen und reizlos erfasste. In dem Projekt „Peripheral Cartographies“ werden diese Narrative entschieden abgelehnt und der Versuch unternommen, die Besonderheiten und die Wildheit der Landschaft auf Inishbofin hervorzuheben.

Kritische Kartografie

Landkarten sind neutrale Abbilder der Welt. Die Kritische Kartografie stellt diese These infrage und vertritt den Standpunkt, dass Karten immer auch Ausdruck sozialer Wirklichkeiten und politischer Machtstrukturen sind. Eine alternative Methodik zur traditionellen Kartografie ist das sogenannte Countermapping. Bei dieser Kartierungspraxis werden Wirklichkeiten abgebildet, die in die herkömmliche Kartierung keinen oder nur marginalen Einzug gehalten haben. Eines der Ziele dieser Praxis ist es, dominierende Machtstrukturen offenzulegen und kolonialisierte Territorien zurückzufordern. Laura Hurley begreift ihre Masterarbeit als eine Gegenposition zur etablieren kartografischen Praxis. Damit legt sie zum einen offen, wie problematisch die vermeintlich neutrale Reproduktion des vorherrschenden Narrativs ist und schlägt zum anderen eine alternative Kartierung Irlands vor. Ihre Entwurfsidee und Methode könnte auch in anderen Gebieten mit einem ähnlichen kulturellen Kontext  – in Irland oder Europa – angewandt werden.

Zeichnung als Medium

Das vorherrschende Medium in Laura Hurleys Arbeit ist die Handzeichnung. Investigativ nutzt sie eine generative Zeichenmethode zur Erkundung der Insel mit Stift und Papier. Die grafischen Qualitäten ihrer Zeichnungen sind inspiriert von der facettenreichen Insellandschaft. Ein weiterer wichtiger Ausgangspunkt für ihre Arbeit sind die hochgradig detaillierten Karten der Inseln Burren und Connemara sowie der Aran-Inseln von Tim Robinson aus den 1970er- bis 1990er-Jahren. Aus ihren Zeichnungen leitet Laura Hurley im nächsten Schritt ihren Entwurf ab. Dieser wiederum dient ihr als Grundlage für weitere Zeichnungen. Sie selbst bezeichnet ihre Zeichentechnik als einen Katalysator im Entwurfsprozess. 

Vom Abschluss über den EUmies Award zur LINA Konferenz

Mit ihrer Abschlussarbeit konnte Laura Hurley die Jury des EUmies Awards in der Kategorie Young Talent von sich überzeugen. Sie gehört zu den vier Gewinner*innen des Jahres 2023. Die Fundació Mies van der Rohe, die den Award alle zwei Jahre auslobt, ist Mitglied der Plattform LINA (Learning, Interacting and Networking in Architecture). Letztere hat sich zum Ziel gesetzt, aufstrebende Talente mit etablierten Institutionen wie der Fundació Mies van der Rohe zu vernetzen. Alle Gewinner*innen des Young Talent Awards erhielten automatisch die Möglichkeit, ihr Projekt auf der diesjährigen LINA-Konferenz in Kopenhagen zu präsentieren. Welche Kooperationen sich daraus ergeben werden, bleibt abzuwarten.