Elisabeth Endres über Hitzestress und die emotionale Erfahrbarkeit von Stadtraum
Elisabeth Endres leitet das Institut für Bauklimatik und Energie der Architektur an der TU Braunschweig und gehört zu einer der vier Kurator*innen des Deutschen Pavillons auf der 19. Architekturbiennale in Venedig. Gemeinsam mit Studierenden zeigt sie, wie man Stadtklima plant, analysiert und körperlich erfahrbar macht.

Du kuratierst gemeinsam mit Nicola Borgmann, Gabriele G. Kiefer und Daniele Santucci den diesjährigen Deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig. Wie entstand das Team Stresstest?
EE: Die Zusammenarbeit begann bereits 2008 an der TU München, als Daniele Santucci und ich uns am Lehrstuhl von Gerhard Hausladen kennenlernten. Wir forschten und lehrten gemeinsam – das schweißt zusammen. Als der Aufruf zur Bewerbung für den diesjährigen deutschen Beitrag zur Architekturbiennale kam, haben wir kurzerhand entschieden: Wir machen mit! Innerhalb weniger Tage stand die erste Idee.
Unsere Verbindung liegt in einem gemeinsamen Thema: der Wärmephysiologie des Menschen. Daniele bringt das Stadtklima ein, ich den Fokus auf Raumklima und Low-Tech. Uns geht es darum, physikalische Prozesse erlebbar zu machen – nicht nur abstrakt über CO₂ zu sprechen, sondern den Hitzestress im Stadtraum konkret fühlbar zu machen und Betroffenheit auszulösen. Nach der erfolgreichen ersten Runde stießen Nicola Borgmann mit ihrer Expertise in Ausstellungsgestaltung und meine Kollegin Gabriele G. Kiefer, Landschaftsarchitektin, zum Team hinzu. So konnten wir die Themen ganzheitlich bearbeiten.

Wie hat eure Erfahrung aus der Lehre das Projekt beeinflusst?
EE: Enorm. Wir alle lehren an Hochschulen, und das prägt: Wir sind trainiert, Inhalte schnell zu erfassen, verständlich zu vermitteln und offen zu diskutieren. Diese Haltung hat uns als Team sehr geholfen. Außerdem sind wir es gewohnt, mit Entwürfen umzugehen, bei denen man sofort reagieren und Feedback geben muss. Das hat unsere Prozesse beschleunigt.

Und Studierende waren auch direkt an der Gestaltung des Deutschen Pavillons beteiligt?
EE: Ja, auf vielfältige Weise. In Braunschweig hat Gabriele G. Kiefer mit ihren Studierenden Ideen für den Destress-Raum mit drei Hainbuchen entwickelt. Besonders stolz sind wir auf das Klima-Relief mit 25.000 Stäben. Die Idee dafür entstand am Institut und wurde von Studierenden weiterentwickelt, in Handarbeit umgesetzt und schlussendlich nach Venedig transportiert. Auch die Projektvorschläge wurden teilweise von Studierenden kuratiert. Einige dieser Arbeiten sind im Film zu sehen. Zudem übernehmen Studierende aus Braunschweig und Aachen die Aufsicht im Pavillon. Das Interesse war so groß, dass wir mehr Bewerbungen hatten als Zeitfenster.

Was wollt ihr mit dem Pavillon bewirken? Was sollen die Besucher*innen mitnehmen?
EE: Wir wünschen uns, dass Besucher*innen den Stadtraum bewusster wahrnehmen. Sie sollen nicht nur sehen, sondern auch spüren, was dort passiert. Wenn jemand nach dem Besuch anders durch die Stadt geht, sich fragt, warum es hier kühler ist als dort – dann haben wir etwas erreicht. Es geht darum, physikalisches Wissen emotional zugänglich zu machen.
Ein technischer Plan zeigt oft nur Linien. Aber eine Baumwurzel ist mehr als ein Strich. Der Boden, das Mikroklima, der Schatten, all das muss mitgedacht werden. Es reicht nicht, nur über CO₂ zu sprechen. Die Realität in unseren Städten sieht so aus: Hitze ist längst ein ernsthaftes Problem.

War das Thema Stadtklima für dich ein neues?
EE: Ganz im Gegenteil. Wir beschäftigen uns schon lange damit. Auch in Braunschweig, etwa bei Wettbewerben. In unseren Designstudios arbeiten wir meist im Bestand. Dabei prüfen wir stets, mit welchen Maßnahmen sich das gefühlte Klima verbessern lässt. Gemeinsam mit Daniele Santucci haben wir bereits 2020/21 klimatische Stadtspaziergänge angeboten und damit das Thema im Lehrplan der TU München abgedeckt. Mithilfe von Simulationen sowie Stadtspaziergängen zeigten wir, wie sich verschiedene Oberflächen bei Wärme anfühlen – ein Stein, eine grüne Fläche, ein schattiger Platz.
Der öffentliche Raum gehört uns allen. Doch besonders private Gebäude prägen ihn. Und oft schenken wir ihm zu wenig Beachtung. Genau deshalb sollten wir ihn besser verstehen und bewusster gestalten.