Natürlich, künstlich, kollektiv im Arsenale: Best of Biennale Teil 1

Die größte Biennale aller Zeiten – Mit diesem Versprechen eröffnete am Wochenende die 19. Architekturausstellung in Venedig, kuratiert von Carlo Ratti. CAMPUS war dabei und gibt einen Überblick. Hier kommt Teil 1: drei Highlights der Hauptausstellung im Arsenale.

Der Titel Intelligens. Natural. Artificial. Collective kündigte bereits ein ambitioniertes kuratorisches Konzept an, das den Spagat zwischen Bewährtem und noch zu Entdeckendem wagte. Die Ausstellung in der Seilerei des Arsenals in Venedig legt den Finger in die Wunde und stellt sich mitten in den Sturm globaler Krisen. Eine kühne Vorstellung, dass Architektur allein alles lösen kann. Doch Carlo Ratti zeigt, dass sein Verständnis von Architektur besonders umfangreich sei. 

Die überwältigend dichte Ausstellung destilliert Rattis Themen in drei Bereiche – Natural Intelligence, Artificial Intelligence, Collective Intelligence. Ein Intro und ein Out-Raum rahmen sie ein. Unsere drei Highlights:

Ein erhitzter Start

Der Einstieg – von dem sonnigen, angenehm frischen Außenraum betritt der*die Besucher*in einen dunklen Raum. Dröhnen erfüllt die Luft, Hitze drückt, Wasser steht hüfthoch. Zwei Projekte simulieren unisono eine dystopische Realität – eine eindrucksvolle, immersive Erfahrung: Die Wasserinstallation The Third Paradise Perspective zeigt mit 70 Zentimeter hohen Becken Venedigs Meeresspiegel im Jahr 2100. Das von der Fondazione Pistoletto Cittadellarte unterstützte Werk versetzt das Publikum in ein dramatisches Zukunftsszenario.

Mit einer Batterie von räumlich inszenierten Klimaanlagen deutet dagegen das Projekt Terms and Conditions auf die Auswirkung dieser Technologie auf den Außenraum hin. Gleichzeitig macht die Installation auf sich verschärfende globale Ungleichheiten aufmerksam und formuliert die Fragen: Wer darf sich wohlfühlen, wie lange und zu welchem Preis? Die künstlerische Intervention basiert auf einer soliden wissenschaftlichen Grundlage, die unter anderem von einem Team des Klimaingenieurbüros Transsolar, der Technischen Universität München und der ETH Zürich erarbeitet wurde. Eine überwältigende und zugleich ernüchternde Erfahrung, die alle Sinne anspricht. 

Handwerk zwischen Tradition und Innovation

Nach dem Vorbeigehen an sprechenden und musizierenden Robotern, Sensoren, smarten Materialien und komplexen Strukturen, die das Zusammenspiel von natürlicher und künstlicher Intelligenz erkunden, erwartet die Besucher*innen im dritten Themenraum ein überraschender Publikumsmagnet: Ein parallelogrammförmiger Holzrahmen, an dem zwei bhutanesische Handwerker und ein agiler Einarmroboter gemeinsam komplexe Reliefs schnitzen. Das Projekt Ancient Future: Bridging Bhutan’s Tradition and Innovation zeigt in Echtzeit, wie sich traditionelle Handwerkkunst mithilfe hochmoderner Technologie weiterentwickeln kann. Die 3,5 Meter langen Balken werden Teil der Tragstruktur des künftigen Flughafens in Gelephu. 

Diese lebendige Installation konzipierten Bjarke Ingels Group, die das Flughafenprojekt verantworten, gemeinsam mit Fotografen Laurian Ghinițoiu und Künstler Arata Mori, die den begleitenden Dokumentarfilm erstellten.

Kaffee aus dem Kanal

Wer sich nach dem Ausstellungsbesuch nach einem Espresso sehnt, sollte zum Canal Café gehen. Die mit dem Goldenen Löwen preisgekrönte Installation verwandelt das grünlich-trübe Kanalwasser vor den Augen der Besucher*innen in Trinkwasser. Die Struktur, entworfen von Diller Scofidio + Renfro, macht den Prozess sichtbar: Ein Biofiltrationssystem entfernt Schlamm und Giftstoffe, während im natürlichen Membranbioreaktor Pflanzen und Bakterien das Wasser reinigen. Am anderen Ende tropft das Wasser in die Kaffeemaschine – und verspricht den besten Espresso auf dem Gelände. 

Canal Café entstand aus der Zusammenarbeit des amerikanischen Architekturbüros mit den Wassersystemexperten von Natural Systems Utilities, dem italienischen Umwelt- und Wassertechnologieunternehmen Sodai, Kurator Aaron Betsky sowie dem italienischen Sternekoch Davide Oldani. Ein interdisziplinäres Team, das ein prägnantes Thema in ein kulinarisches Erlebnis verwandeln möchte.

In vielen diesen Erlebnissen spielten digitale Tools und insbesondere KI stetig begleitend eine Rolle. Eine prototypische Software names ARCHIS zeigt sich dabei als Biennale-Begleiter, der eine individuell zugeschnittene Besuchserfahrung versprechen kann. Ferner ergänzt eine von KI erstellte Zusammenfassung jede Projektbeschreibung der Ausstellung.

Insgesamt beeindruckte der Besuch der Ausstellung im Arsenale nicht nur durch die Vielzahl an Reizen, sondern machte auch etwas skeptisch. Die offene Frage: Ist das noch Architektur, darf nun die jede*r Besucher*in für sich beantworten.