Sorge und Aneignung: Lisa Zander über partizipatorische Raumpraxis
Sie ist Mitgründerin des Kollektivs Planbude und des Projektbüros, das partizipatorische Transformationsprozesse gestaltet. Im Gespräch erzählt Lisa uns, wie sie in ihrer Arbeit kollektive Teilhabe radikal ernst nimmt, wie sich das in ihrer Lehre widerspiegelt und wie ein Zimmer im öffentlichen Raum eine feministische Praxis sein kann.

Mit „Projektbüro“ arbeitet ihr an aktuellen Transformationsprozessen in Hamburg und anderen Städten. Warum dieser Büroname? Was zeichnet eure Praxis aus?
LZ: Wir verstehen uns als Zusammenschluss aus Architektur, Raumplanung, Design, aber auch Kunst. Unser Ziel ist es, gesellschaftliche Fragen anhand von baulichem und sozialem Bestand zu verhandeln. Das geschieht oft direkt vor Ort, im Dialog mit den Menschen, in Transformationsprozessen – sei es im städtebaulichen Maßstab oder in Mikroarchitekturen. Wir arbeiten besonders viel in Leistungsphase 0, also vor dem klassischen Planungsbeginn. Dabei entwerfen wir nicht allein aus der Disziplin heraus, sondern gemeinsam mit den Nutzer*innen.
Der Name „Projektbüro“ spiegelt genau diesen Gedanken: Architektur entsteht nicht im stillen Kämmerlein, sondern im Austausch, im konkreten Kontext. Für jedes Vorhaben bilden wir ein neues Projektbüro – etwa „Projektbüro Binhorner Platz“ oder „Projektbüro Ein Zimmer für dich“. Wir arbeiten immer im Verbund mit anderen Akteur*innen vor Ort. Der Begriff „Projektbüro“ bleibt bewusst zurückhaltend, damit andere Teil davon werden können.

Wie bindet ihr die Perspektiven der Menschen konkret in eure Prozesse ein?
LZ: Wir haben Methoden entwickelt, die sich bewährt haben. Ein Beispiel sind die „Raumreporte“: Spaziergänge mit Menschen durch ihren Alltag. Sie zeigen uns ihre Wege, Orte und Sichtweisen, die wir in Pläne übersetzen. Diese Pläne dienen als gemeinsame Sprache, mit der wir weiterarbeiten. Besonders wichtig ist uns, auch Kinder und Jugendliche als Expert*innen ernst zu nehmen. Es geht immer um eine gemeinsame Wissensproduktion. Und am Ende fließen die Erkenntnisse in baulicher Form zurück. Unsere Architektur entsteht aus dem Alltag heraus.

Du unterrichtest regelmäßig an Hochschulen. Wie beeinflusst die Praxis deine Lehre?
LZ: Sehr stark. Unsere Lehre beginnt nicht mit dem Entwurf, sondern mit der Frage: Welche gesellschaftliche Herausforderung bearbeiten wir hier? Letztes Semester haben wir mit der Technischen Universität Dortmund und der Manifesta an leerstehenden Kirchen im Ruhrgebiet gearbeitet. Der Kurs hieß „This is not a Church“. Zuerst stand eine lange Analysephase – etwa 25 Prozent des Semesters – im Fokus: Was ist da? Wer nutzt was? Erst danach beginnt die Entwurfsarbeit. Wir glauben: Die Aufgabe entsteht erst durch das Verständnis des Kontexts, nicht umgekehrt.

Und wie nah kommen die Studierenden an reale Transformationsprozesse heran?
LZ: Das klappt manchmal gut, manchmal weniger. In kleinen Gruppen binden wir Studierende direkt in reale Prozesse ein. Doch es gibt Grenzen – große Gruppen können bestehende Dynamiken überlagern. Wir schaffen daher Räume, die sich aneignen lassen, sogenannte Testräume. Dort zeigt sich, was funktioniert und was nicht. Studierende begleiten das manchmal, oft auch auf eigene Initiative. Klar ist: Die Auseinandersetzung mit der Realität bleibt zentral, um zu lernen, was es bedeutet, mit Raum zu arbeiten.

Feministische Perspektiven spielen in eurer Arbeit ebenfalls eine Rolle – wie im Projekt „Ein Zimmer für dich“. Was war euer Anliegen?
LZ: Das Projekt ist mir persönlich sehr wichtig. Im Bezirk Neu-Hohenschönhausen haben wir ein „Zimmer“ im öffentlichen Raum installiert – als Rückzugsort, Schwellenraum und Einladung. Die Frage war: Was passiert zwischen Wohnen und dem öffentlichen Raum? Wo findet Alltag statt, der weder ganz öffentlich noch ganz privat ist? Das Zimmer war ein Experiment: Menschen konnten es nutzen, sich einrichten, zurückziehen, etwas beitragen oder einfach da sein. Für uns hatte das eine klare feministische Dimension.
Weil: Es ging um das „Kümmern“ – das, was im Architekturprozess oft unsichtbar bleibt. Wer hält Räume instand, wer sorgt, wer bereitet vor? Solche Tätigkeiten haben in klassischen Planungslogiken keinen Raum. Wir wollten sie ins Zentrum stellen. Und indem wir diese Nutzung inszeniert haben, entstanden Begegnungen, Gespräche und echte Beziehungsarbeit mit der Nachbarschaft. Für uns war das auch eine Methode: Räume zu schaffen, in denen Menschen sichtbar werden, deren Perspektiven sonst übersehen würden.
Das ist für mich feministische Stadtplanung: nicht nur, wer plant, sondern wie und für wen wir Raum denken – jenseits binärer Zuschreibungen, jenseits rein funktionaler Logik. Wir geben dem Zwischenraum, der Sorge, der Aneignung einen Platz. Dort beginnt für uns Architektur.
