Verbunden mit der freien Kunst: Thomas Kröger über die Lehre in der Baukunstklasse
Seit 2019 ist Thomas Kröger Professor an der Kunstakademie Düsseldorf und leitet dort gemeinsam mit Rektorin Prof. Donnatella Fioretti und Prof. Inge Vinck die Klasse Baukunst. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was das Studieren von Architektur an der Akademie ausmacht.
Was macht das Lernen von Architektur an der Kunstakademie aus – und wie unterscheidet sie sich zur Universität? Wie setzt sich die Lehre zusammen?
Thomas Kröger: Das Lernen an der Kunstakademie ist von der Größe der Klasse geprägt. Auf jede lehrende Person kommen ca. 15 Studierende. Das bringt eine intensive entwurfliche Auseinandersetzung und die Möglichkeit der Profilbildung der individuellen Stärke der Studierenden mit sich. Eine außergewöhnliche Ausbildung, die in dieser Form nur an der Kunstakademie Düsseldorf möglich ist. Um in der Baukunstklasse zu studieren, bildet ein abgeschlossenes Bachelorstudium die Vorraussetzung. Das Studium wird als äquivalent zum Master von der Architektenkammer NRW anerkannt.
Das Profil der Studierenden, die in der Baukunst ausgebildet werden, ist kompromisslos humanistisch. Neben der Entwurfsklasse schaffen die kunstbezogenen Wissenschaften, wie die kunstphilosophischen Reflexionen zur Architektur bei Prof. Ludger Schwarte, die Betrachtung der Soziologie der Künste und der ästhetischen Theorie bei Prof. Nina Zahner und die Architekturtheorie und -geschichte bei Jun. Prof. Cornelia Escher das Fundament. Lehrstuhlübergreifend werden Fragestellungen semesterweise thematisch abgestimmt und vertieft. Darüber hinaus finden auch in der Kunstgeschichte und Kunstwissenschaft Diskurse mit Prof.in Martina Dobbe statt.
Schwerpunkt der Ausbildung ist eine künstlerische, gestalterische, theoretische, aber auch handwerkliche Kompetenz. Das Arbeiten in der Klasse Baukunst wird vom großen Angebot der 13 künstlerisch-technischen Werkstätten begleitet, die von Künstlern geführt werden. Sie begleiten die Studierenden mit einem ästhetischen Verständnis zu der gewünschten Arbeit und dem technischen Know-how.
Die Nähe zu den Kunstklassen und die wechselseitige Gastsituation von Kunststudierenden in der Baukunst und vice versa, bringt eine neue, obsessive Betrachtung und Diskussion um Ästhetik im Verhältnis zur Gegenwarts- und Zukunftsfrage zur Architektur mit sich. Die Baukunst genießt seit nahezu 250 Jahren eine geistige und räumliche Verbundenheit mit den Klassen der Freien Künste. Das interdisziplinäre Arbeiten in kleinen Runden ist ungemein erfrischend und herausfordernd, da die Betrachtungsstandpunkte vehement unterschiedlich sein können.
Begleitend zu den Semesterarbeiten laden wir Experten zum diskursiven Austausch hinzu. Die Runden finden online oder in Präsenz statt. Hier geht es um Architektursoziologie, um Tragwerk, um Handwerk, um Engineering, um Bauerfahrung, etc. Wir suchen nach Fragen und Annäherungen an die komplexen architektonischen Aufgaben, die sich für unsere Gesellschaft als relevant erweisen.
Wie lässt sich die Struktur und die Inhalte der Lehre der Baukunstklasse beschreiben?
Thomas Kröger: Wir, die Lehrenden, diskutieren am Ende eines Semesters die möglichen Themen für das kommende Semester. Exkursionen ergänzen die thematische Auseinandersetzung und ermöglichen das Entdecken des unmittelbaren Umfeldes mit den gemachten Erfahrungen aus der Ferne. Mal arbeiten wir vereint an einem Thema, und mal bieten wir unterschiedliche Themen pro Klasse an. Wir arbeiten seit 2021in dieser Konstellation zusammen und haben gemeinsam mit den Studierenden der Klasse ein gut funktionierendes Programm entwickelt: Die ersten beiden Semester sind für Neuzugänge in der Baukunst thematisch durch die Lehrenden vorgegeben. Das hilft, eine Phase der Orientierung und Evaluierung der unterschiedlichen Vorbildungen und Kenntnisse der Studierenden zu erarbeiten und zu vermitteln. Danach sind eigene Fragestellungen und Vertiefungen von freien Entwurfsprojekten in Abstimmung mit einer lehrenden Person möglich. Es kann aber auch empfohlen werden, weiterhin an den gegebenen und in größerer Runde diskutierten Themen zu partizipieren.
Zusätzlich biete ich Jahresprojekte an. Hier liegt insbesondere mein Interesse, 1 zu 1 zu arbeiten. Während der Pandemie habe ich mit Studierenden der Baukunst ein Stadtteilprojekt in Düsseldorf Gerresheim begleitet, das unter anderem mit dem Bau des Pavillons ‚A Circus‘ einen Placemaker zur Diskussion der Potentiale und Defizite in der Entwicklung des öffentlichen Raumes bot. Er wurde einen Monat divers bespielt, um schließlich erneut vor der Kunstakademie aufgebaut zu werden und die Ergebnisse der Öffentlichkeit während des Rundgangs zu präsentieren.
Dieses Semester begleite ich die Studierenden bei einem Projekt für eine gesellschaftliche Minderheit in Westafrika. Die Aktivisten wandten sich über einen an der Kunstakademie unterrichtenden Künstler an die Baukunst mit der Bitte um entwurfliche Unterstützung für ein Shelter-Projekt, das aufgrund der gefährdeten Situation der Minderheit im Lande notwendig wird. Zusammen mit den Bauherren haben wir eine sensible und doch selbstbewusste Lösung erarbeitet, die im kommenden Semester detailliert und durch vor Ort Beteiligte umgesetzt werden soll.
Gibt es Wünsche an die Akademie und an die Architekturlehre im Generellen? Welche Methoden und Themen sollten zukünftig vermittelt werden?
Thomas Kröger: Die Studierenden sind aufgerufen, sich innovativ und kompetent ein generalistisches Verständnis des Planens und Bauens anzueignen, um die zukünftigen Aufgaben und vielen Beteiligten führen und integrieren zu können. Die ureigene Rolle des Entwerfens auf den Gebieten des Gebäudeentwurfs, des Städtebaus, des kontextuellen Umgangs auf dem Land und in der Stadt, des nachhaltigen Denkens sowie des ästhetischen Anspruchs soll in der Baukunstklasse an diversen Typologien geübt und gestärkt werden. Hier sehe ich unsere verantwortliche Rolle, die individuellen Stärken der einzelnen zu erkennen und zu fördern.
Den Blick in die Zukunft möchte ich mit dem Schlussgedanken aus dem Essay 'Was ist Baukunst?‘ von Ludger Schwarte richten:
„[…] Aus meiner Sicht ist Architektur die ontologische Kunst par excellence; sie bringt Welten hervor und prägt die Entscheidung darüber, ob etwas werden soll oder wo es Bestand haben kann. Von ihr hängt ab, was etwas ist, wie etwas existieren kann und was als Grundlage dieses Seinkönnens zählt. Architektur zieht auch die Grenze zum Nichts, zum Unmöglichen, zum bloßen Schein. Die Qualifizierung von etwas als dieses, hier und jetzt, vor den Sinnen Stehendes wird von den architektonischen Parametern der Präsenz und der Wirkung bedingt und diese wiederum hängen von der Wahrnehmbarkeit ab, von der Erfahrbarkeit, die etwas gewinnt, von Bedingungen des Erscheinens und Existierens, die ergründet werden müssen. Dass etwas möglich wird oder denkbar erscheint, ist abhängig von der Gestaltung des Raumes, in dem überhaupt etwas erscheinen oder erspürt werden kann. Entsprechend wäre die Aufgabe der Baukunst, der Unvorstellbarkeit der Zukunft, den verschiedenen Modalitäten des Auftretens von Ereignissen und damit der Möglichkeit von Selbstbestimmung einen Raum und eine Zeit zu geben. […]“