Building in an Age of Discovery: Nikolaj Schultz über die Architekturdisziplin im Klimakampf

Nikolaj Schultz ist Soziologe und Assistenzprofessor an der Architekturschule Aarhus. Er betrachtet die existenziellen Prozesse, mit denen der Klimawandel uns Menschen konfrontiert. Wir sprachen mit ihm darüber, wie er in seiner Arbeit in den Dialog mit Architekturstudierenden tritt – und welche Rolle er dieser Generation von Architekt*innen in der ökologischen Krise zuspricht.

Du forschst an der Schnittstelle zwischen Soziologie, Philosophie und anderen Disziplinen – dabei aber stets mit Blick auf die ökologische Krise. In Aarhus arbeitest du mit Architekturstudierenden an der Fakultät für Architektur. Wie ist es dazu gekommen? Und wie siehst du deine Arbeit in Lehre und Forschung im Bereich der Architektur?

Nikolaj Schultz: Nun, wie du weißt, ließen sich Architekt*innen schon immer von Soziolog*innen und Philosoph*innen inspirieren, wenn es darum ging, die Gesellschaften zu verstehen, in denen und für die sie gebaut haben. Und heute, im Zeitalter des Anthropozäns, durchlaufen unsere Gesellschaften sicherlich eine Reihe intensiver sozialer und natürlicher Transformationen – etwas, das ich in den letzten zehn Jahren erforscht und eine Reihe theoretischer Werkzeuge entwickelt habe, um die Auswirkungen zu verstehen. Wie du andeutest: Diese soziologischen und existenziellen Beiträge sollen unser Verständnis vom kollektiven und individuellen menschlichen Zustand erweitern. Und das in einer Zeit, in der die Erde auf die Art und Weise reagiert, wie wir sie bewohnen – und nebenbei bemerkt, auch auf ihr bauen. Mit ihrem ambitionierten, neuen ökologischen Lehrplan ist es das, wofür mich die Architekturschule Aarhus engagiert hat: Ich soll den Studierenden zu einem besseren Verständnis der neuartigen sozialen und irdischen Prozesse verhelfen, mit denen sich Architektur heute konfrontiert sieht und in deren Kontext sie stattfindet. Eine interessante Aufgabe, nicht zuletzt deshalb, weil mir Architekt*innen als absolut entscheidend erscheinen, wenn es darum geht, uns dabei zu helfen, „auf der Erde zu landen“, um Bruno Latours Metapher zu verwenden.

Dein Buch „Landkrank“ erzählt von der Verantwortung, die wir im Anthropozän und in der Klimakrise tragen. Besonders angehende Architekt*innen setzen sich intensiv mit dieser Herausforderung auseinander und sehen sich selbst unter großem Druck, eine Bauwende zu ermöglichen. Wie sieht diese Vermittlung in deiner Lehre aus?

Nikolaj Schultz: Ich versuche, meinen Studierenden zu vermitteln, dass sich die Architektur in einer Situation befindet, die nicht nur schrecklich, sondern auch interessant ist. Architektur ist heute ein zweischneidiges Schwert – sie ist sowohl Teil des Problems als auch Teil der Lösung. Deshalb halte ich es für wichtig, zu kommunizieren, dass die Situation nicht nur von Herausforderungen und Verantwortung – um dein eigenes Wort aufzugreifen – sondern auch von großen Chancen geprägt ist. Denk mal darüber nach: Wir befinden uns heute in einem neuen „Zeitalter der Entdeckung“! Wir leben in einer neuen Epoche, in der wir die Erde wiederentdecken – diesmal nicht in der Ausdehnung, sondern in der Intensität. Wieder einmal ist sie „terra incognita“ – also unbekanntes Land! Und meiner Meinung nach bedeutet das, dass die Architekt*innen von heute und morgen nicht nur mit einer Reihe von Lasten konfrontiert sind, sondern auch mit einer unglaublichen Fülle an Möglichkeiten. Ich versuche, meinen Studierenden zu vermitteln, es so zu sehen: Es gibt kaum etwas Interessanteres, als Teil jener Architekt*innengeneration zu sein, die diese Disziplin neu erfindet und mit den Reaktionen der Erde versöhnen wird – und die lernen wird, wie man innerhalb der planetaren Grenzen zeichnet, entwirft und baut.

Welche Methoden und Formate nutzt du in deiner Lehre – etwa in Vorlesungen, Diskussionen oder vielleicht sogar im Entwurf? Wie nimmst du in dieser gemeinsamen Auseinandersetzung die Gefühle der Studierenden wahr – wie etwa eine gewisse Angst oder Überforderung – angesichts des Klimawandels?

Nikolaj Schultz: Na ja, ich könnte nicht mal ein Strichmännchen zeichnen, selbst wenn ich es versuchen würde – die Studierenden werden mich also kaum in ihren Ateliers antreffen! Ich halte hauptsächlich Vorlesungen und Seminare, in denen wir über diese Themen sprechen und darüber, wie sie den Studierenden helfen können, ihre Projekte einzuordnen. Außerdem betreue ich auch Studierende, deren Projekte theoretischer ausgerichtet sind. Und ich habe eine neue internationale Vortragsreihe an der Schule ins Leben gerufen – „Life Terrains“ –, die in den kommenden Jahren den sich verändernden Charakter unserer menschlichen und natürlichen Lebensräume in Zeiten des globalen Klimawandels untersuchen soll. In diesem Jahr hatten wir bereits Vorträge von Künstler*innen und Wissenschaftler*innen wie dem Maler George Rouy, den Historiker*innen und Theatermacher*innen Frédérique Aït-Touati und Duncan Evennou sowie dem Philosophen Emanuele Coccia. Im nächsten Jahr erwarten wir unter anderem Luisa Neubauer, den Architekten Martin Rauch und den Musiker Deego Connor von der Band Fontaines DC. Sie alle helfen uns dabei, einige der theoretischen, ästhetischen und politischen Dimensionen unserer Lebenslandschaften zu verstehen – inklusive der Frage, wie wir sie verteidigen, mit ihnen bauen, sie sichtbar machen und poetisch denken können. Ich finde, solche Formate sind wichtig, wenn wir die Möglichkeiten und Chancen dieses schwierigen Moments ergreifen wollen, von dem ich vorhin gesprochen habe.

Damit auch zum zweiten Teil deiner Frage: Du hast recht – Gefühle wie Angst, Überforderung oder Resignation sind spürbar.  Aber ehrlich gesagt hat es mich überrascht, wie stark, mutig und erfinderisch die Studierenden sind. Sie schaffen es, um mit Donna Haraway zu sprechen, „sich mit dem Ärger einzulassen“. Und sie beweisen – ganz im Sinne von Anna Tsings zentraler Erkenntnis –, dass Neugier der erste und wichtigste Schritt ist, um in dunklen Zeiten einen lebbaren Horizont zu entdecken. Ihnen wurde zweifellos eine ungerechte Verantwortung aufgebürdet – die vorherigen Generationen haben sie historisch ausgebeutet. Ich nenne das die geo-historischen Eliten und ihre organisierte Verantwortungslosigkeit. Doch mein Eindruck ist, dass sie trotz aller Verzweiflung bereit sind, diesen Herausforderungen direkt ins Gesicht zu blicken – und sich sowohl gedanklich als auch handelnd mit ihnen auseinanderzusetzen.

In deiner Publikation über eine „Ökologische Klasse“, sprichst du gemeinsam mit Bruno Latour über die Entstehung einer Klasse – du vergleichst dabei mit der Arbeiterklasse – , die für Veränderungen kämpfe, um den Klimawandel zu stoppen. Welche Rolle spielen Architekt*innen dabei?

Nikolaj Schultz: Ich würde sagen, dass Architekt*innen zu zentralen Akteur*innen im Kontext des neuen ökologischen Klassenkampfs geworden sind, den ich gemeinsam mit Bruno Latour theoretisiert habe. Wir haben argumentiert, dass sich eine neue Form geo-sozialer Konflikte abzeichnet. Die Menschen kämpfen  nicht mehr – wie im 19. und 20. Jahrhundert – darum, „die Produktionsmittel zu übernehmen“, sondern stellen sich gegen die Produktionsweisen selbst, um die Bedingungen irdischer Bewohnbarkeit zu sichern. Interessant ist, dass sich diese Kämpfe oft als Kontroversen entfalten, in denen zentrale Fragen stehen wie: Wie, was und für wen bauen wir? Und: Sollen wir überhaupt bauen? Einige Beispiele aus meinem eigenen Land: Sollen wir den Industriehafen der Stadt Aarhus ausbauen, um wirtschaftliches Wachstum zu schaffen? Oder sollen wir die künstliche Insel Lynetteholm in Kopenhagen errichten, um Arbeitsplätze, Wohnraum und Küstenschutz zu sichern – oder eben nicht, aufgrund der katastrophalen ökologischen Folgen dieser Projekte, wie es die Protestierenden behaupteten? Diese Beispiele zeigen: Um die Konflikte beim Bauen und in der Stadtentwicklung zu verstehen, müssen wir sie als neue Form geo-sozialer Auseinandersetzungen begreifen – Streitigkeiten darüber, wie wir bauen, wohnen, siedeln und unsere städtischen sowie ländlichen Räume gestalten. Was – wie ich eingangs sagte – bedeutet, dass ihr Architekt*innen im Zentrum dessen steht, was ich das neue „geo-soziale Schlachtfeld“ nenne.

Was würdest du dir in der Ausbildung in der Architektur wünschen – auch im Hinblick auf die notwendige Transformation unserer Disziplinen?

Nikolaj Schultz: Das bezieht sich auf eine eher normative Weise, deine vorherige Frage zu beantworten – nämlich darauf, dass man Architekt*innen als potenziell essenzielle Abteilung der neuen ökologischen Klasse verstehen kann. Nicht nur, weil ihr die Welt anders bauen müsst – sondern auch, und vielleicht noch wichtiger –, weil eure ästhetische Arbeit entscheidend ist, wenn wir Affekte und Zugehörigkeiten erzeugen wollen, die der ökologischen Krise gewachsen sind. Diese Krise ist vielleicht in erster Linie eine ästhetische Krise der Sensibilität und eine Krise der Vorstellungskraft. Es ist die Arbeit von Architekt*innen – eure Visionen, Formen, Zeichnungen, Illustrationen und eure Vorstellungskraft, die uns stets half, die Welt anders zu spüren, wahrzunehmen und neu zu denken. Das erscheint mir zentral, wenn wir eine zitternde Erde gemeinsam empfinden, fühlen und neu gestalten wollen.

Was verlangt das in Bezug auf die architektonische Ausbildung? Ich denke, dass Architekt*innen – ob sie Gebäude entwerfen, Städte planen oder Landschaften gestalten – heute die sozialen und natürlichen Prozesse besser verstehen müssen, einschließlich der Konflikte, die ich zuvor genannt habe und in deren Kontext sie arbeiten. Ganz konkret sollten grundlegende Kenntnisse der Erdsystemwissenschaften und des sozial-ökologischen Denkens heute Teil jedes Architekturcurriculums sein. Darüber hinaus sind alte Bildungswerte wie Demut, Neugier und kontinuierliche Reflexivität heute wichtiger denn je – wenn wir diese neuartige „terra incognita“ kennenlernen und mit dem neu ernannten „Arkitekton“ unserer Zeit verhandeln müssen: dem Erdsystem.

Das Interview in englischer Sprache wurde automatisch sowie redaktionell übersetzt und von BauNetz CAMPUS geprüft und bearbeitet.