Christoph May gegen toxische Maskulinität: Warum braucht es ein „Detox Masculinity Institute“?
Ein Interview, das Gendern fast überflüssig macht: Als Mitgründer des Instituts für Kritische Männlichkeitsforschung analysiert Christoph May unsere patriarchale Gesellschaft und bringt Feminismus an den Mann.

Auch Männer üben Kritik – vehement, laut und überzeugend. Christoph May ist Männerforscher, Berater und Dozent. Mit seinen Fortbildungen tourt er durch Universitäten und Institutionen und steht auf Bühnen, aktuell auch im Rahmen des WIA Festivals. Denn bekannterweise betrifft das Gendergefälle auch die Architekturbranche.
Was ist in deinen Augen toxische Männlichkeit?
CM: Von der Polizei bis zur Bundeswehr, von der FIFA bis zum DAX – überall dort, wo Männer unter sich bleiben, entstehen toxische Monokulturen. Diese wirken wie Gift: für Geschlechtervielfalt, soziale Beziehungen, kulturellen Reichtum und diverse Erzählungen. Toxische Männlichkeit zeigt sich in Phänomenen wie Misogynie, also Frauenhass und -feindlichkeit, Femiziden und Sexismus. Gewalt ist überwiegend männlich geprägt, unsere Gefängnisse sind vor allem mit Männern belegt. Hates Speech – Hass im Internet und auf Social Media – stammt meist von Männern. Dazu kommen toxische Abwehrstrategien wie Mansplaining, Hepeating, Catcalling, Gaslighting, Whataboutism, Derailing, „Not All Men“-Argumente, Empathielosigkeit oder Weaponized Incompetence – die Liste ist lang.
Der Begriff „toxische Männlichkeit“ hat sich etabliert, um diese Phänomene zu benennen und zu kritisieren. Die meisten Menschen verstehen intuitiv, was gemeint ist, auch wenn sie es nicht exakt definieren können. Wichtig ist, dass der Begriff im internationalen Mainstream und im Alltag präsent ist und ständig neu gefüllt wird. Seit der #MeToo-Debatte 2017 sind Männerrunden nicht mehr verborgen. Männliche Machtdynamiken, Femizide, Misogynie und Sexismus werden offengelegt und als männliche Gewalt erkannt und benannt. Die Kritik an Männlichkeit hat an Tempo gewonnen und fordert Männer stärker in die Verantwortung. Was wir jetzt noch bräuchten, wäre eine Art Monopolkommission für männliche Monokulturen – ein „Lobbywatch“ für männerbündische Gewalt. Oder besser: ein Bundeskartellamt gegen patriarchalen Machtmissbrauch.

Was treibt dich an, die traditionelle Männerrolle zu hinterfragen?
CM: Ich bedauere, dass ich die ersten 30 Jahre meines Lebens in männlich dominierten Umfeldern sozialisiert wurde. Heute bin ich dankbar, diese kulturelle Armut hinter mir gelassen zu haben. Wie gern wäre ich in einer diversen, fairen Welt aufgewachsen. Zum Glück habe ich noch Jahrzehnte vor mir, um queere und weibliche Perspektiven zu entdecken und zu supporten. Das ist meine größte Motivation.
Der aktuell internationale Rechtsruck zeigt, dass Chauvinismus, Machotum und Frauenverachtung längst kein Problem alter weißer Cis-Männer mehr sind. Auch junge Männer greifen zunehmend auf traditionelle Werte zurück.

Und was ist daraus entstanden?
CM: 2016 gründeten wir mit der Schriftstellerin Marie Louise May das Institut für Kritische Männlichkeitsforschung, um vor allem weiße Cis-Männer in die Verantwortung und Kritik zu nehmen. Unsere Vorträge, Workshops und Seminare richten sich an Männer aller Altersgruppen und gesellschaftlichen Bereiche. In den letzten 15 Jahren haben wir drei Schwerpunkte entwickelt:
- Erstens: Männerbünde. Hier analysieren wir Macht-, Gewalt- und Missbrauchskulturen sowie Schweige- und Blockademechanismen. Die zentrale Frage lautet: Wie können Männer männliche Monokulturen erkennen und aufbrechen? Unternehmen und Institutionen, die ihre Strukturen verändern wollen, suchen hier unsere Unterstützung.
- Zweitens: Männerfantasien. Dabei geht es um männlich dominierte Repräsentationsmacht – also um Männerbilder und Erzählmuster in Literatur, Film, Musik, Sport und Social Media. Wir fragen: Wie können wir unseren Medienkonsum auf queere und weibliche Produktionen umstellen? Hier arbeiten wir oft mit Schauspielschulen und Theaterakademien.
- Drittens: Kritische Männlichkeit. Wir diskutieren die Lebensrealität der Teilnehmer*innen – Job, Familie, Freundschaften, Sport. Was können Männer tun, um sich 24/7 selbstkritisch und feministisch zu verhalten? Wie können wir uns für queere und weibliche Menschen und Rechte engagieren? Wir bieten feministische Paarberatungen, Sensibility Checks und ein Aussteigerprogramm für toxische Männlichkeit an.
Patriarchatskritik ist immer auch Demokratiearbeit. Wir müssen wieder über Faschismus und Männlichkeit sprechen, ist ja alles gut erforscht. Rechte und konservative Männlichkeiten sind die größte Bedrohung für Europa und die Welt. Wir haben ein globales Männlichkeitsproblem. Wer das nicht erkennt, ist Teil des Problems. Schweigen bedeutet Zustimmung.

Welche Berührungspunkte hast du mit der akademischen Architekturwelt und welche Rolle spielt feministische Architektur in deiner Forschung?
CM: Wir arbeiten oft mit Architekt*innen und Stadtplaner*innen, die von einer männlich dominierten Branche berichten, die sich nur träge verändert. Die Zahlen sprechen für sich: 42 Prozent der Architekturstudierenden sind männlich, aber 70 Prozent der Berufstätigen und 90 Prozent der Führungskräfte. Deutlicher kann man wohl nicht zeigen, wie strukturelle Gewalt funktioniert.
Es ist die Aufgabe der Männer, dieses Machtgefälle aufzubrechen – nicht die der Frauen oder queeren Menschen! Doch können männliche Architekten glaubwürdig gegen Machtmissbrauch kämpfen, während sie vom System profitieren? Diese Frage möchte ich am Donnerstag im Kesselhaus diskutieren. Ich wurde eingeladen, um die Perspektive der kritischen Männlichkeitsforschung einzubringen und den Fokus auf patriarchale Strukturen und die Verantwortung der Männer zu lenken. Ich will Männer auffordern, sich am feministischen Diskurs zu beteiligen und sich mit ihren Kolleg*innen zu verbünden – für gleiche Bezahlung, Gleichstellung, Diversität und eine Arbeitskultur auf Augenhöhe.

Wie reagieren die Zuhörer*innen deiner Programme?
Ich arbeite kritisch, aber unterhaltsam. Mit Humor lässt sich auch scharfe Kritik vermitteln. Statt von Frauenquoten sprechen wir von Männerlimits – das sorgt für Diskussionen. Oder wir zählen den Männeranteil, um zu zeigen: Wir sind zu viele, wir sind das Problem. Ich nutze Bilder, Memes und Musik, um niedrigschwellig ins Gespräch zu kommen.
Wir fragen: Was ist toxische Männlichkeit? Bin ich selbst toxisch? Bin ich ein guter Partner, Vater, Freund? Wie männlich sind meine Musik, Filme, mein Social Media? Wie männlich mein Job, meine Beziehungen, mein Sex? Ist mein Blick auf die Welt wirklich frei?
Ich bin oft überrascht, wer uns anfragt: der Katholische Arbeitnehmerverband, die Berliner Feuerwehr, der MSV Duisburg. Das Patriarchat ist überall, und die Kritik daran erreicht sogar Junge Liberale, die Polizei, Jobcenter und die Chefetagen von Banken und Unternehmen.