Architektur ist Arbeit: Das Kollektiv Netherlands Angry Architects kämpft gegen prekäre Bedingungen

Wie macht man die gravierenden Probleme in der Architekturarbeit sichtbar? Dieser Frage widmet sich die niederländische Gruppe NAA! – und zwar laut, solidarisch und kollektiv. Mit Aufklärung und internationaler Vernetzung fordern sie strukturelle Veränderung in unserem Berufsfeld.

Im niederländischen Architektursektor formiert sich Widerstand: Seit 2022 setzt sich das Kollektiv Netherlands Angry Architects (NAA!) für bessere Arbeitsbedingungen ein – vor allem für junge, internationale Architekturschaffende. Die Gruppe macht auf Missstände wie unbezahlte Überstunden, ausbeuterische Praktika oder diskriminierende Lohnstrukturen aufmerksam. Über digitale Plattformen, Vorträge und Aktionen lenkt NAA! den Blick auf systemische Probleme in einer Branche, die Arbeitsrealitäten oft romantisiere oder ignoriere. Ihr Ziel: Wissen teilen, Solidarität fördern und gemeinsames Handeln ermöglichen. Als Fellows 2024 stehen sie in enger Zusammenarbeit mit dem LINA-Netzwerk.

Warum wir wütende Architekt*innen brauchen

Die Gründung von NAA! wurzelt in persönlichen Erfahrungen und strukturellen Problemen des Berufs. Das Kollektiv berichtet von unbezahlten oder symbolisch vergüteten Praktika, Arbeitsverträgen unterhalb des Mindestlohns und einem Klima der Angst vor Repressalien – besonders bei befristeten Stellen. Internationale Arbeitskräfte trifft es überproportional. Obwohl in den Niederlanden Tarifverträge im Architekturbereich existieren, würden sie oft missachtet werden. Betroffene wüssten zudem häufig nicht, wie sie sich wehren können oder haben nicht die Mittel dazu. Auch Hochschulen wirft das Kollektiv eine mangelnde Verantwortung vor, da sie Studierende häufig in prekäre Bürosituationen entlassen, ohne jegliche strukturelle Unterstützung. 

NAA! benennt ein grundlegendes Haltungsproblem in der Branche: eine mangelnde „Klassensensibilität“. Leistung in der Architektur würde demnach oft als Berufung verstanden, nicht als Lohnarbeit – was kollektive Organisation erschwert. Es gilt, dieses Narrativ zu durchbrechen. Für sie ist Wut über Ungerechtigkeit kein Makel, sondern ein legitimer Antrieb für Wandel. 

Der Name „NAA!“ – inspiriert vom englischen Slang „nah“ – steht für die bewusste Ablehnung unfairer Arbeitsbedingungen. Was als Protest begann, wuchs zu einem Zusammenschluss internationaler Architekturschaffender, organisiert in einem kleinen, anonym bleibenden Kernteam und unterstützt von einem weitreichenderen Netzwerk. Sie arbeiten unabhängig von klassischen Bürostrukturen – eine bewusste Entscheidung, die Raum für freie Kritik schaffen soll.

Zwischen Hotline und Hörsaal

Ob niedrigschwelliges Mentoring oder künstlerische Interventionen – NAA! möchte aufklären. Statt juristischer Beratung vermitteln sie beispielsweise arbeitsrechtliche Grundlagen und diskutieren diese anonymisiert in der Öffentlichkeit. Ein zentrales Projekt, die „Building Workers Hotline“, entstand im Rahmen des LINA-Netzwerks. Die Audioinstallation, u. a. gezeigt in Prag und Lissabon, lässt Bauarbeiter*innen und Architekturschaffende aus verschiedenen Ländern über ihre Arbeitsrealitäten sprechen. Die Parallelen – ob in Portugal, Tschechien oder den Niederlanden – verdeutlichen die strukturelle Dimension prekärer Arbeit. 

Die Hotline beleuchtet besonders die oft unsichtbare Kommunikation zwischen Baustelle und Büro – ein Spannungsfeld, das selten öffentlich diskutiert wird.  Daneben baut NAA! aktuell ein Bildungsformat an niederländischen Universitäten auf. Unter dem Titel „Know Your Worth“ werden Workshops und Vorträge organisiert, um Studierende frühzeitig für Rechte und Handlungsspielräume im Berufsalltag zu sensibilisieren.

Ziel: Sich selbst überflüssig machen

Für die Zukunft verfolgt NAA! einen doppelten Ansatz: Sie wollen die direkte Unterstützung für Architekturschaffende ausbauen – durch Wissensvermittlung, rechtliche Orientierung und den Aufbau von Gemeinschaft. Gleichzeitig arbeiten sie daran, ihre Themen langfristig im Bildungssystem und in der Branche zu verankern. Ihr Ziel ist klar: Architektur soll als Arbeitsfeld mit realen sozialen Bedingungen verstanden werden – nicht als idealisierte Berufung. 

Im Austausch mit Gruppen u. a. aus Deutschland, der Schweiz, Polen und darüber hinaus will das Kollektiv gemeinsame Strategien entwickeln. Ihr langfristiger Wunsch ist radikal einfach: überflüssig werden. Erst, wenn architektonische Arbeit als das anerkannt wird, was sie ist – Arbeit – wäre eine Organisation wie NAA! nicht mehr nötig.