#MentalHealth: Arbeitsbedingungen ausgestellt - im „The Office for a Non-Precarious Future“

Auf der Architekturbiennale 2023 in Venedig thematisiert und visualisiert der Tschechische Pavillon Unsicherheiten und problematische Arbeitsbedingungen in der Welt der Architektur. Die interaktive Ausstellung präsentiert gesammelte Zahlen und Erhebungen.

Unsere Reihe #MentalHealth widmet sich der psychischen Gesundheit in der Architekturausbildung und -praxis. Dazu möchten wir euch – begleitend zum Studium und Berufseinstieg – Projekte, Erfahrungen, Haltungen, Erhebungen, Möglichkeiten und Programme demonstrieren, die sich auf unterschiedlichen Ebenen mit den immerwährenden Bedingungen der planerischen Disziplin befassen.

Das Tagesgeschäft der Architektur unterliegt vielen Parametern – von wirtschaftlichen Veränderungen bis hin zur ökologischen Bauwende. Den in diesem Feld praktizierenden Architekt*innen fehlt es jedoch oft an Handlungsspielraum und Instrumenten, um einen wirklichen Wandel in Gesellschaft und Ökologie herbeizuführen. Wie sollen wir jedoch genau diese tragenden Veränderungen herbeiführen, wenn wir uns selbst keine angemessenen Arbeitsbedingungen schaffen können? Im Kontext des Architekturberufs stellt das Projekt „The Office for a Non-Precarious Future“ dazu die folgende Schlüsselfrage: Können junge Architekt*innen, die unter prekären Bedingungen arbeiten, eine bessere Welt schaffen? Die Kurator*innen Eliška Havla Pomyjová, David Neuhäusl und Jan Netušil sowie Ausstellungskomissarin Helena Huber-Doudová – präsentieren im Arsenale dabei nicht nur die aktuelle Situation, sondern suchen auch nach neuen Lösungen. Das Projekt wird organisiert und betreut von der Nationalgalerie Prag mit Unterstützung des Ministeriums für Kultur der Tschechischen Republik sowie der Europäischen Union.

Erschreckende Zahlen

Das Ausstellungsprojekt in Venedig basiert auf dem Forschungsbericht „Working Conditions of Young Architects“. Dieser Bericht wurde im Jahr 2020 in der Tschechischen Republik durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass fast die Hälfte der jungen Architekt*innen als Freiberufler *innen für einen einzigen Auftragnehmer tätig sind, ohne dabei jegliche Beschäftigungsleistungen wie Krankenversicherung oder Sozialversicherung zu erhalten. Diese hohe Prozentzahl geht einher mit weiteren problematischen Indikatoren: 62 % der jungen Architekt*innen arbeiten mehr als acht Stunden pro Tag, einschließlich regelmäßiger oder gelegentlicher Arbeit an Wochenenden (66 %). Des Weiteren haben 32 % der berufseinsteigenden Beschäftigten im Architekturbüro kein regelmäßiges oder festes vertragliches Einkommen.

Interaktiv durch das „Büro einer nicht-prekären Zukunft“

Die alarmierenden Ergebnisse der Studie werfen ein Licht auf die Arbeitsbedingungen und verdeutlichen die Herausforderungen, mit denen insbesondere junge Architekturschaffende konfrontiert sind. Um diese Problematik zu visualisieren, wurde das „Büro für eine nicht prekäre Zukunft“ im Arsenale – sowie als Vorschau in den Giardini – eingerichtet und ist metaphorisch in zwei Teile aufgeteilt: in die Form einer Fabrik und die eines Labors.

Die „Factory“ soll hierbei das dystopische Umfeld und den aktuellen Zustand des Berufsstandes widerspiegeln, basierend auf vorhandenen Untersuchungen. Hier sind die Arbeitsplätze segmentiert, weiße Monitore und eine vorgefertigte Architektur lassen klare Aufgaben und Hierarchien erkennen. Eine animierte Infografik, Daten und Diagramme veranschaulichen die komplexen Arbeitsbedingungen der Architekt*innen in der Tschechischen Republik. Das „Laboratory“ darf hingegen als experimenteller Raum für Zusammenarbeit, Gespräche und tatsächliche Arbeit von den Besucher*innen und Teilnehmenden betrachtet werden. Interessierte können hier spekulative, kollektive Konzepte entwickeln. Schreibtische, Staffeleien und ein interaktiver Bildschirm bieten Informationen, Werkzeuge und Best-Practice-Beispiele. Die Ausstellung ist als Work-in-Progress konzipiert und soll nicht nur an die aktuelle Situation erinnern, sondern auch eine internationale Diskussion anregen. Besucher*innen sollen so auf verschiedenen Ebenen der Ausstellung in die Suche nach Lösungen einbezogen werden.

Residencies zur Vermittlung

Im Rahmen des Ausstellungsprojektes startete die tschechische Nationalgalerie zudem ein Residenzprogramm für die angehende Generation der Architekt*innen, kreative Teams und Student*innen, um ebenfalls im „Office for a Non-Precarious Future“ präsent zu sein und zu arbeiten. Dieses sollte es jungen Künstler*innen ermöglichen, das oft vernachlässigte Thema der
prekären Arbeitsbedingungen innerhalb der Plattform Biennale reflektieren zu können. Dadurch erhalten sie zudem die Chance auf ein internationales Feedback. Die durchgeführten Residencies werden hierbei zum Bestandteil der Ausstellung. Eingeladene junge Akteur*innen und Kollektive, haben jeweils drei bis fünf Tage im „Laboratory“ gearbeitet, um gemeinsam Formen der architektonischen Praxis und der Lebens- und Arbeitsweise in einer nachhaltigen, nicht prekären Weise zu formulieren. Die jeweiligen Workshopvorschläge wurden im Rahmen einer eingeladenen Ausschreibung und des anschließenden Netzwerktreffens in der Nationalgalerie Prag im Februar 2023 ausgewählt.

Inhaltlich reichten die Programme hierbei von der Beschäftigung mit Fokus auf Arbeitsroutinen, Einstellungsthemen bis hin zu alternativen Berufszweigen. Unter dem Projekttitel „Hey architects hows it goin? Yea“ beispielsweise, werden Memes auf Instagram gepostet, die die aktuellen Probleme und mögliche Zukunftsszenarien der architektonischen Profession humorvoll darstellen und gleichzeitig eine Diskussion über Architektur und Arbeitsbedingungen anstoßen sollen. Cosa.cz hingegen, hat zwei Songs produziert, die den Arbeitsalltag von Architekt*innen durch Textcollagen aus E-Mails und Dialogen darstellen und in Rap-Form subversive Botschaften über Prekarisierung, Chauvinismus und andere Probleme des Berufs vermitteln. Das Projekt „Hiring!“ des Collaborative Collective (collcoll) beinhaltet fiktive Interviews mit Architekt*innen auf der Biennale, um das Konzept einer (nicht)hierarchischen Plattform zu erklären und potenziellen neuen Mitgliedern die Integration in die kollektive Struktur näherzubringen.

Erhebungen von Studierenden, für Studierende

Teil der Ausstellung war zudem auch eine integrierte Umfrage unter dem Titel „Stop Clicking, Start Sleeping“, initiiert von ein Kollektiv Architekturstudierender der Fakultät für Architektur und der Fakultät für Bauingenieurswesen an der Tschechischen Technischen Universität Prag. Die Gruppe tauschte sich über bestimmte Probleme während des Studiums aus, untersuchte die psychische Gesundheit und den Lebensstil von Studierenden. Sie formulierten grundlegende Fragen und starteten dazu eine Online-Umfrage sowie einen Instagram-Account.