Editorial
Stroh, Reet, Hanf und Seegras feiern Comeback
Klingt nach dem besten Material der Welt? Jein – denn Gräser bringen als Baustoff auch Probleme mit sich. Zum einen sind sie nicht gleich zugänglich oder erfüllen anders als andere Materialien nicht jede Brandschutz-Norm. Stroh ist beispielsweise kostengünstig und vergleichsweise einfach zu bekommen, da es in der Landwirtschaft als Abfallprodukt anfällt. Bei Reet hingegen ist die lokale Beschaffung heute deutlich schwieriger. Lange Lieferketten und fehlendes handwerkliches Know-how führen zudem oftmals zu höheren Aufwänden auf der Baustelle.
Wie können wir kulturelles Wissen und Praktiken aus der Vergangenheit anwenden und gleichzeitig neue bauliche Lösungen mit Gräsern finden? Wo und wie können diese ökologischen Baustoffe in zeitgenössischen Projekte eingesetzt werden?
In dieser Ausgabe widmen wir uns aktuellen Praktiken, Studien und Anwendungsbeispielen dieser nachwachsenden Ressource. Susanne Brorson untersucht an einem Eigenheimtyp aus der DDR über mehrere Jahre die Fassadenbekleidung mit verschiedenen Pflanzenarten aus dem Ostseeraum. Welchen Beitrag Dämmen mit Stroh und Hanf zur Erreichung der schweizerischen Klimaziele leisten kann, zeigt ein Forschungsprojekt der ETH Zürich zu nachhaltigen Renovierungsstrategien. Das Kollektiv Frugal Bauen hingegen widmet sich einem vergessenen Baustoff aus dem Meer und testet die Einsatzmöglichkeiten von Seegras anhand eines Wohngebäudemodells. V.-Prof. Anke Wollbrink und ihre Studierenden an der Hochschule Darmstadt erproben, wie traditionelle Bauweisen mit Schilfgras in die heutige Bauindustrie integriert werden können, und entwickeln Fertigteile aus Reet.