Seegras, Schilf, Kork: Studio und Ausstellung zu pflanzenbasierten Konstruktionen

Wie können Materiallieferketten einer postfossilen Bauindustrie aussehen, und welche Rolle spielen dabei Kulturpflanzen? Diesen Fragen ist ein Studio an der ETH Zürich nachgegangen. Die Ergebnisse sind derzeit in einer Ausstellung zu sehen.

Dämmung aus Stroh und Seegras, Mauerwerk aus Kork und ein Tragwerk aus Schilfrohrbündeln – Im vergangenen Herbstsemester entwickelten Studierende an der ETH Zürich Prototypen aus Pflanzenbaustoffen. Geleitet wurde das Studio von dem Londoner Büro Material Cultures, das sich für eine postfossile, ressourcenschonende und CO₂-neutrale Baukultur starkmacht.


Mit Pflanzen bauen

Das Team hinter Material Cultures plädiert für ein radikales Umdenken in der Bauwirtschaft. In ihrer Arbeit geht es ihnen darum, die Prozesse hinter den Werkstoffen und Materiallieferketten zu verstehen und zu prüfen. Denn auch hinter pflanzlichen Baustoffen wie Stroh, Seegras und Schilfrohr stecken komplexe Ökosysteme und Produktionsverfahren. Demnach ist allein der Umstieg von fossilen Baumaterialien auf Pflanzenbaustoffe nicht ausreichend. Vielmehr braucht es Kenntnis der dahinterstehenden Zusammenhänge, wenn man diese Ressourcen nachhaltig einsetzen möchte.

Diesen Ansatz vermittelt das Team auch in seiner Lehre im Rahmen der Gastdozentur an der ETH Zürich. Ehe es an die Entwicklung der Prototypen ging, waren die Studierenden dazu angehalten, industrielle Herstellungsprozesse und Lieferketten zu untersuchen. Anschließend wurden die Teilnehmenden in acht Gruppen aufgeteilt, die sich jeweils mit einem pflanzlichen Werkstoff beschäftigten. Die Recherchen im Entwurfsstudio waren jeweils an eine Ökoregion gekoppelt, deren Eigenschaften die Studierenden analysieren sollten.


1:1 Prototypen

Auf Grundlage ihrer Recherchen zu den einzelnen Materialien sollten die Studierenden Mock-Ups von detaillierten Wand- und Deckenaufbauten entwickeln. Eine Gruppe beschäftigte sich beispielsweise mit den Einsatzmöglichkeiten von Rohrkolben. Die Pflanze lässt sich in einer sogenannten Paludikultur anbauen. Dabei handelt es sich um ein Verfahren zur nassen Bewirtschaftung von Mooren mit Torferhalt. Die strukturellen Eigenschaften der Sumpfpflanze, deren Blätter aus Stütz- und Schwammgewebe bestehen, bergen als Baustoff ein bisher unausgeschöpftes Potenzial. Die Studierenden haben aus dem Material unter anderem Gewölbekappen gefertigt. Außerdem entwickelten sie eine Dämmung aus gehäckselten Rohrkolben. Die anderen Gruppen beschäftigten sich mit Seegras, Kork, Eukalyptus, Eichenholz, Waldkiefer, Stroh und Reet.


Ausstellung im ETH Material Hub

Die fast schon skulptural anmutenden Prototypen werden vom 17. April bis 17. Juni 2024 in einer Ausstellung im ETH Material Hub gezeigt. Zentrum der Ausstellung bilden die acht Mock-​ups im Maßstab 1:1, welche die Grundlagenforschung, Materialexperimente und konstruktiven Studien des Studios zusammenführen. Darüber hinaus sind in der Schau die Ausgangsmaterialien zu sehen, mit denen die Studierenden gearbeitet haben.