Focus

Artificial Anthropocene

Das kollektive Verhandeln einer künstlich intelligenten Realität

Editorial

Das kollektive Verhandeln einer künstlich intelligenten Realität

von Sorana Radulescu

Nennen wir sie einfach „Trainees“, denn wie Praktikant*innen müssen sie ausgebildet werden und lernen. Es ist noch nicht einmal zwei Jahre her, dass KI-Anwendungen aus unserem privaten und beruflichen Alltag nicht mehr wegzudenken sind. Mit dem Hype ging auch das kühne Versprechen nach einem Produktivitäts-Boost einher: Die tatkräftige Unterstützung der „Trainees“ sollte schnelleres, besseres, präziseres Arbeiten ermöglichen. Die Branche begegnete diesem Angebot mit Skepsis und Faszination zugleich, artikuliert in vereinfachten Fragen wie „Kann KI Architekt*innen ersetzen?“ oder „Können Architekturprojekte nun auf Knopfdruck entstehen?“ 

Der Entwicklungspfad eines technologischen Trends ist gewunden: Vom anfänglichen Höhepunkt der Erwartungen geht es steil abwärts zum Tief der Enttäuschungen, bevor die Anwendung eine stabile Ebene der Produktivität erreicht (laut der Hype-Cycle-Methodik). Eine Momentaufnahme würde vielleicht ergeben, dass wir uns aktuell im absteigenden Bereich der Kurve befinden – eine Phase der Nüchternheit und des kritischen Hinterfragens, in der es weniger um „Wow!“ und mehr um „How?“ geht. 

Genau hier setzt unsere aktuelle Ausgabe an und betrachtet das Spannungsverhältnis zwischen Mensch und Daten in einem Moment, in dem sich KI-Landschaften differenzieren, die Anwendungen zunehmend fachspezifisch werden und die „Trainees“ sich spezialisieren. Ist jedoch das Fundament, mit dem generative KIs arbeiten, ausreichend solide und unvoreingenommen? Mit der Herausforderung verzerrter Daten beschäftigen sich die ersten zwei Beiträge. Prof. Georg Vrachliotis leitet das Forschungsprojekt „Data Refinery“ an der TU Delft und setzt auf Minimalismus. Sandra Baggerman und Cas Esbach plädieren für das Generieren kulturell integrativer Datensätze durch kollaborative Methoden. In einer Realität, in der Daten zunehmend wichtiger sind, ist auch der Blick auf die Menschen, die sie steuern müssen, entscheidend. Generative KIs erfordern ein neues Verständnis von kollektivem Agieren. Über die Entwurfsarbeit mit intelligenten Tools und geteilte Autor*innenschaft forscht Marius Grootveld an der RWTH Aachen. Um den zwischenmenschlichen Dialog in partizipativen Stadtplanungsprozessen barrierefrei zu ermöglichen, entwickelte die Plattform UrbanistAI eine KI-basierte einheitliche Sprache.

Auch wenn die „Trainees“ bereits zahlreiche Aufgaben in immer komplexer werdenden Planungsabläufen übernehmen können – wie Dekarbonisierungsstrategien, Lebenszyklusanalysen oder Gebäudevermessungen – obliegt die Steuerung des Prozesses der menschlichen Intelligenz im kollaborativen Ansatz.

Datenraffinerie

Cleane Daten für eine offene Gesellschaft

Johannes Medebach

Daten sind das neue Baumaterial. Wer in der Architektur über KI spricht, spricht zwangsläufig auch über Daten – das Futter für die neuen Tools.  An der TU Delft beschäftigt sich die „Design Data and Society Group“ unter der Leitung von Prof. Georg Vrachliotis mit den kulturellen, sozialen und technischen Auswirkungen von künstlicher Intelligenz auf die Architektur und das Entwerfen. Wir berichteten bereits über das Forschungsunterfangen The New Open, das Szenarien für einen kollektiven Umgang mit offenen Daten in der Planung entwickelt. Daraus leitet sich das neu gestartete Projekt „Data Refinery“ ab. Gemeinsam mit Prof. Kees Kaan gehen Prof. Vrachliotis und sein interdisziplinäres Team der Frage nach, wie man architektonische Daten für eine weitere Verwendung und Verteilung in der Praxis reinigen kann.

Datenminimalismus

Der Grundgedanke hinter dem Projekt ist, nicht noch mehr Daten zu produzieren, sondern aus vorhandenen Datasets gezielte Informationen herauszudestillieren. Auch für das Entwerfen und Bauen in der Datengesellschaft bedarf es eines „Institutes für Leichtbau“ – so wie Frei Otto es vor 60 Jahren in Stuttgart für physische Konstruktionen etablierte. Möglichst wenig Datenmaterial, dafür hochqualitativ und intelligent eingesetzt.

Das Ziel der „Data Refinery“ besteht darin, Clean Data Assets – saubere Datensätze – zu erstellen. Doch was bedeutet das konkret? Das Team arbeitet eng mit Architekturbüros wie KAAN Architecten zusammen, um mit echten Daten praxisnah hantieren zu können. Wenn Büros, Archive oder andere Institutionen ihre Datensätze künftig untereinander teilen, um gemeinsam zu lernen und schneller nachhaltigere Entwürfe zu generieren, sollte auch nur Relevantes ausgetauscht werden. Weil jedoch Büros alle möglichen Formen von Daten produzieren, nicht nur architekturbezogene Informationen, versuchen die Forscher*innen einen Filterprozess zu etablieren – ein neuartiges Forschungsfeld für die Architektur.

Perlen auf der Kette

„Data Refinery“ ist ein Projekt der Grundlagenforschung, das KI als eine Frage von Architektur und Gesellschaft, nicht nur der Technologie versteht. Die denkbaren Anwendungsbereiche dieser datenbasierten Werkzeuge sind mannigfaltig – von Optimierungen im Bauprozess bis hin zur Katalogisierung neuer Materialien. Durch sogenanntes Deep Reading können die Tools beispielsweise mit der Zeit besser werden, gewisse Muster und Informationen in Grundrissen zu erkennen. Dabei handelt es sich um viele kleine Angriffspunkte, die in Zukunft in den größeren architektonischen Prozess einfließen. Prof. Vrachliotis beschreibt es so: Wenn man sich den Planungsverlauf als Perlenkette von einzelnen Schritten vorstellt, könnte künftig jede dritte Perle auf künstlicher Intelligenz basieren – eine integrative Kleinteiligkeit. Die Forscher*innen in Delft blicken optimistisch in die Zukunft der Architektur im Zeitalter der KI: Architekt*innen sind bestens ausgebildet, um mit Planungskompetenz und Kreativität auf Veränderungen zu reagieren.

Die Grenzen der Technologie

Im Gespräch mit Sandra Baggerman und Cas Esbach

Interview von Sorana Radulescu

Sandra Baggerman und Cas Esbach arbeiten an der Schnittstelle zwischen Technologie und architektonischen Entwurfsprozessen. Ihre Zusammenarbeit basiert auf Erfahrungen in internationalen Architekturbüros wie MVRDV und BIG (Bjarke Ingels Group) sowie im akademischen Bereich, unter anderem an der TU Delft. In Workshops und Sommerschulen schärfen sie das Bewusstsein für die Bedeutung kulturell integrativer Datensätze. Mit kollaborativen Methoden fördern sie umwelt- und kultursensible Entwürfe, die sowohl die architektonische Praxis als auch den gesellschaftlichen Fortschritt vorantreiben.

Wie wird eurer Erfahrung nach Künstliche Intelligenz (KI) am häufigsten im Architekturbüro eingesetzt?

Die Integration von KI in Architekturbüros befindet sich derzeit noch in der Entwicklung, wobei die Anwendungen in zwei Hauptbereiche unterteilt sind: Design-Input und Design-Output. Beim Design-Input generiert KI innovative Bilder, die kreatives Denken anregen, und hilft bei der Analyse von beispielsweise Programmbeschreibungen, Bauvorschriften und Bebauungsregeln, um fundierte Entwurfsschlussfolgerungen zu ziehen. Beim Design-Output zeichnet sich KI durch die Erstellung hochwertiger Bilder aus, die den Entwurf genau wiedergeben und zum Testen und Simulieren verschiedener Entwurfselemente dienen.

Was war euer erster Kontakt mit KI und wann habt ihr begonnen, die Risiken zu erkennen? 

Als die ersten KI-Bildgeneratoren aufkamen, war die Aufregung in der Community groß. Obwohl diese Tools anfangs weniger kontrollierbar waren als heute, testeten wir eifrig ihre Fähigkeiten. Zunächst waren bestimmte, sich wiederholende Kuriositäten wie unerwartete Wasserzeichen, Künstlersignaturen und Copy-Paste-Bäume amüsant. Diese Probleme gaben jedoch Anlass zu erheblicher Sorge. Es wurde deutlich, dass KI-Bildgeneratoren ihre Modelle oft ohne Genehmigung auf urheberrechtlich geschützten Bilddaten trainierten. So musste OpenAI kürzlich über 100.000 gestohlene Bücher aus seinen Trainingsdaten löschen. 

Was bedeutet das für die Architekturproduktion? Wo liegen da die technologischen Grenzen der KI? 

Die technologischen Grenzen der KI in der Architektur werden in erster Linie durch die Lernmodelle und Datensätze bestimmt. Die meisten KI-Tools nutzen maschinelles Lernen als heuristisch basiertes Modell, das auf Mustererkennung und Dateneingabe beruht, um Ergebnisse zu erzeugen. 

KI-Tools wie MidJourney und Stable Diffusion hängen stark von ihren Trainingsdaten ab. Wenn diese Datensätze voreingenommen oder begrenzt sind, spiegeln die Ergebnisse der KI diese Unzulänglichkeiten wider. Ein Tool, das nur auf Bildern moderner Architektur trainiert wurde, wird sich schwertun, Entwürfe zu erstellen, die weniger verbreitete architektonische Stile widerspiegeln wie etwa die farbenfrohen Kreationen von Freddy Mamani oder die kleinen Türme der Dogon-Stämme. Folglich können KI-Tools leicht Entwürfe erstellen, die an die Arbeit von Zaha Hadid oder Stefano Boeri erinnern, aber keine vielfältigeren und an den Kontext angepassteren Entwürfe generieren. Diese Voreingenommenheit kann zu einer Homogenisierung der architektonischen Stile führen und die Kreativität und Vielfalt der generierten Entwürfe einschränken.

Das ist ja ein Paradoxon, weil KI-Tools gerade etwas anderes versprechen, und zwar die Kreativität zu fördern.

KI-Tools in der Architektur untergraben in Wirklichkeit die Kreativität, ohne dass die Nutzer*innen es merken. Diese Werkzeuge vermitteln ein falsches Gefühl von Macht. Die Entwerfenden verbringen viel Zeit mit der Anpassung von Eingabeaufforderungen und Einstellungen, nur um am Ende Entwürfe zu erhalten, die bekannten architektonischen Werken des Mainstreams ähneln. Dabei liegt die eigentliche Gefahr in der Subtilität dieses Effekts. Die Entwerfer*innen glauben, ihre Kreativität auszuleben, doch sie sind unbewusst durch die begrenzten und verzerrten Trainingsdaten der KI eingeschränkt. 

Dieses Problem wird durch mangelnde Datenkenntnis der meisten Gestalter*innen noch verschärft. Mit zunehmender Integration von KI-Tools in den architektonischen Prozess besteht die Gefahr, dass sich diese Homogenisierung weiter ausbreitet und einzigartige kulturelle Kontexte und innovative Designlösungen in den Hintergrund treten.

Dieses Thema geht ihr in eurer Forschung an. Erzählt uns ein wenig mehr über eure Forschungsmethode und die erwarteten Ergebnisse. 

Als Reaktion auf die Voreingenommenheit aktueller KI-Bilderzeugungstools entwickeln Sandra Baggerman und ich einen gerechten und vielfältigen Datensatz, der von der Allgemeinheit bereitgestellt wird. Unsere Methode besteht darin, eine globale Gemeinschaft von Raumplaner*innen, Architekt*innen, Stadtplaner*innen und Öffentlichkeit zu bitten, Bilder beizusteuern, die ihre lokalen räumlichen Identitäten und architektonischen Interpretationen widerspiegeln. Jedes Bild wird mit mehreren informativen Tags versehen, die sowohl allgemeine architektonische Kategorien als auch spezifische kulturelle Bezüge erfassen. Zudem werden Kommentare ergänzt, die Auskunft über persönliche Vorlieben geben. Mit diesem mehrschichtigen Kennzeichnungssystem soll ein reichhaltiger, mehrdimensionaler Datensatz entstehen. 

Wie würde das konkret aussehen?

Unser erster Testfall, bei dem ein Low-Rank-Adaptionsmodell (LoRA) auf ein bestehendes Modell aufgesetzt wurde, zeigt diesen Unterschied. Indem wir das Wissen des Modells über ein sehr spezifisches Thema erweiterten, verwendeten wir dieselbe Aufforderung für das ursprüngliche und angepasste Modell. Die Ergebnisse waren sehr unterschiedlich. Das ursprüngliche Modell erzeugte ein allgemeines Design, während das angepasste Modell ein Bild erzeugte, in dem mehrere architektonische Stile und Konzepte miteinander verschmolzen: ein Dach im ostasiatischen Stil mit Tonziegeln, Industriepaneele an der Fassade, die an große Flughafen-Hangars erinnern und eine von Gerrit Rietveld inspirierte grafische Gestaltung. Selbst mit einer leichten Erweiterung der Trainingsdaten waren die Ergebnisse viel inspirierender und vielfältiger. Dieses Beispiel zeigt, wie unser Ansatz zur Beschriftung die Kreativität und den kulturellen Reichtum von KI-generierten Bildern verbessern kann.

Was wäre deiner Meinung nach der ideale Einsatz von KI in Architekturbüros? Wie sollten Planer*innen an KI herangehen? 

Die Zukunft der KI in der Architektur wird von einer durchdachten und informierten Führung bestimmt werden. Größere Unternehmen, die bei der Einführung von KI eine Vorreiterrolle spielen, stehen derzeit vor großen Herausforderungen, die oft durch ihre eigenen Probleme in der Öffentlichkeitsarbeit noch verschärft werden. So ist OpenAI beispielsweise immer wieder wegen Verstößen gegen das Urheberrecht in die Schlagzeilen geraten, und die Gemini-Integration von Google hat zu zahlreichen Ungenauigkeiten geführt, während der Gesetzgeber um die Schaffung geeigneter Vorschriften ringt. Trotz dieser Hürden bleibt die Tatsache bestehen, dass KI ein extrem leistungsfähiges Werkzeug ist, das das Potenzial hat, alle Bereiche zu revolutionieren, auch die Architektur.

Mit unserer Initiative wollen wir den Nutzer*innen die Kontrolle über KI-Tools zurückgeben, indem wir einen Datensatz entwickeln, der von allen erstellt wird, allen gehört und von allen verstanden wird. Dieser Ansatz stellt sicher, dass die von der KI erzeugten Ergebnisse vielfältig und repräsentativ für ein breites Spektrum an kulturellen und architektonischen Stilen sind. Auf diese Weise können wir die Voreingenommenheit der aktuellen KI-Modelle abmildern und eine gerechtere und innovativere Architekturlandschaft schaffen. Der bewusste und kooperative Umgang mit KI wird es Architekturbüros ermöglichen, das Potenzial dieser transformativen Technologie voll auszuschöpfen und gleichzeitig die Kontrolle zu behalten und eine ethische Nutzung sicherzustellen.

Das Interview in englischer Sprache wurde automatisch übersetzt und von baunetz CAMPUS redaktionell geprüft und bearbeitet.

Can We Dream of Electric Sheep?

Über generative Modelle als erweiterndes Entwurfswerkzeug

Katharina Lux

Wie lassen sich mit Künstlicher Intelligenz Räume neu erdenken, während die Textur des Ortes erhalten bleibt? Und wer ist dann Autor*in des neuen Entwurfs? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Marius Grootveld in seiner Forschungspraxis „Can We Dream of Electric Sheep?“. Gemeinsam mit seinen Studierenden am Lehrstuhl für Gebäudelehre und Grundlagen des Entwerfens der RWTH Aachen untersucht er, wie KI als Entwurfstool eingesetzt werden kann. Inspiriert von Philip K. Dicks bekanntem Roman „Do Androids Dream of Electric Sheep?“ stellt er sich die Forschungsfrage: Können Menschen wie Roboter denken?

KI als Werkzeug und Autor*in

Laut Grootveld verspricht KI eine neue Perspektive der post-wachstumsorientierten Gesellschaft, indem die Technologie globales Wissen mit individuellem Denken verbindet. Dabei zieht er die Methode des „Image Inpainting“ heran: Anstatt komplett neue Bilder zu schaffen, sei es für die KI einfacher, basierend auf vorhandenen Strukturen Bilder zu vervollständigen – ein Prinzip, das auch auf architektonische Konzepte angewendet werden könne. Durch die Verknüpfung von Inpainting-Techniken und historisch-architektonischen Praktiken ließen sich kreative Lösungen entwickeln, die eine kollektive Urheber*innenschaft fördern. KI agiere dabei, basierend auf den geteilten Datenmengen vieler Beiträger*innen, als sekundäre Autorin. Sie könne zwischen der ursprünglichen, unserer eigenen Urheberschaft sowie weiteren Quellen vermitteln und somit die Entwicklung von Ideen fördern, ohne ihre Authentizität zu beeinträchtigen. Die Technologie habe demnach das Potenzial, nachhaltig mit dem Bestand zu umzugehen, indem sie das Neue im Alten entdeckt und unsere Entwürfe mit den Gegebenheiten des Ortes in Einklang bringt.

Annäherung durch das Experiment

Diesen Ansatz haben Grootveld und seine Studierenden in den aufeinanderfolgenden Entwurfsstudios „Random Access Memories“ (2021-22), „Umbau um Umbau“ (2022-23) und „Electric Changes“ (2024-25) bearbeitet. Durch den Einsatz neuer Technologien konnten sie Fotos wie Skizzen bearbeiten und Designs jenseits ihrer Vorstellungen entwickeln. Die Studierenden erkundeten diese Ausgabe-Möglichkeiten, ohne das genaue Ergebnis im Voraus zu kennen. Erklärte Methode dieser Übungen war das Erzeugen einer Art „Delirium“, ähnlich dem „paranoiden kritischen Verfahren“, das eine Art Wahnsinn provoziert, bevor man Dinge erkennen kann.

Dem Entwurf waren kleine visuelle Experimente vorangestellt. Dabei hat in einer Arbeit beispielsweise eine KI die Muster bestehender Gebäude vervollständigt und unerwartete architektonische Lösungen gefunden. Ein weiteres Beispiel war die Neuinterpretation einer Innenansicht aus einem Gemälde von Pierre Bonnard mithilfe eines GauGAN-Generativmodells. Das Bild wurde in spezifischen HEX-Farben aufgeteilt, die jeweils zu einer vordefinierten Kategorie gehören.

Ein lückenloser Entwurf

Schließlich haben die Studierenden in ihren Entwurfskonzepten und -plänen auf einen gewissen Detailgrad verzichtet, oder bestimmte Teile vorerst nicht bearbeitet. Dies sollte dann die KI übernehmen und „befüllen“. Laut dem Lehrenden war es für die Studierenden zunächst es schwierig, die Kontrolle in ihrer Planung aufzugeben. Jedoch entwickelte sich schnell ein neuer Ansatz, der sich als natürlicher Prozess herauskristallisiert hat. 

Die Kommunikation zwischen den Studios und der Austausch von Erkenntnissen haben sich als äußerst wertvoll erwiesen. Durch die Zusammenarbeit können die Studierenden voneinander lernen und auf bereits gemachte Entdeckungen aufbauen. Dies führt zu einer Art Multi-Autor*innenschaft, bei der die Arbeiten früherer Studierender die nachfolgenden beeinflussen und zu einer kontinuierlichen Weiterentwicklung der Ideen führen.

Bilder statt Wörter

Ein neues Vokabular für partizipatorische Prozesse

Sorana Radulescu

Die globale Pandemie versetzte 2020 die Städte weltweit in Standby-Modus – ein geeigneter Moment, um die urbanen Entwicklungstrends bis dato zu hinterfragen. Zu dem Zeitpunkt stellte sich das Gründungsteam von UrbanistAI eine urbane Zukunft vor, die gemeinsam mit den Einwohner*innen gestaltet werden sollte, deren Lebensraum es zu verändern galt. Das KI-Technologieunternehmen Toretei und die Praxis für urbane Forschung SpitUnit entwickelten gemeinsam UrbanistAI als Instrument, das Verständnishürden abbauen und partizipatorische Prozesse neu gestalten soll. Denn oft scheitern Partizipationsprozesse, deren Erfolg von der Kommunikation zwischen den Beteiligten abhängt, an sprachlichen, kulturellen oder Erfahrungsbarrieren.

Bildbasierte Debatten – Eine neue Vision der kollektiv entwickelten Stadt 

Wenn Planende, Auftraggeber*innen, Behörden und Bevölkerung über ein Stadtentwicklungskonzept diskutieren, braucht es einen gemeinsamen Verständigungsrahmen. UrbanistAI bietet einen Methodenkasten, der KI-Technologien einsetzt, um analog geführte Debatten und Entscheidungsprozesse zu vereinfachen. Bilder können dabei die Grundlage eines kollektiven Vokabulars bilden und ein Umfeld schaffen, in dem sich Personen mit unterschiedlichsten Hintergründen barrierefrei austauschen können. UrbanistAI dient also dazu, eine gemeinsame Vision zu artikulieren und die Kommunikation zwischen den Beteiligten zu katalysieren, um Zukunftsszenarien selbst zu gestalten oder leichter zu verstehen.

Menschen im direkten Austausch unterstützen

Seit 2023 unterstützt UrbanistAI partizipatorische Transformationsprozesse weltweit. Zahlreiche Kooperationen mit namhaften Institutionen wie UNDP (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen), ACE (Architects Council of Europe), Stadtbehörden, Universitäten und Unternehmen bestätigen die Methode. Um diese weltweit anwenden zu können, schult das UrbanistAI-Team die lokalen Veranstalter*innen eines Partizipations-Workshops in Online-Sitzungen. Diese können dann den Methodenkasten erweitern und an ihre Bedürfnisse anpassen. Von Schulung über die Entwicklung urbaner Strategien und Ideenfindung bis hin zur Weiterbildung – die Einsatzmöglichkeiten des Tools sind vielfältig.

Die Nutzung scheint intuitiv zu sein. Die Teilnehmer*innen müssen nicht prompten können – KI-Technologien übersetzen die Keywords in einen Prompt, aus dem die Bilder generiert werden. Sogar Kinder können so ihre Visionen artikulieren. Die gemeinsam erstellten Bilder vermitteln Nutzungsfunktionen, bevorzugte Qualitäten, räumliche Aufteilungen usw. Sie sind keine Entwürfe, sondern ein visuelles Kommunikationsmittel für Ideen, mit denen die Planenden arbeiten können.  

UrbanistAI entstand lange, bevor generative KI-Tools wie Stable Diffusion und DALL-E in den Mainstream gerieten. Es nutzt KIs als Mittel zum Zweck, nicht als Allheilmittel, das auf Knopfdruck Lösungen liefert. 

Helsinki Summer Street Visionen

Wie lehrt man KI in der Architektur?

Die Gründungsmitglieder von UrbanistAI haben ein starkes Interesse an akademischer Forschung und Lehre. Damiano Cerrone wird ab dem Wintersemester 2024/25 an der Tallinn Technical University Architekturstudierenden beibringen, wie man KI-Technologien nutzt. Sein Lehransatz: KIs fungieren als Vermittlungsinstrument, nicht als Entwurfsmittel. Viel mehr als einzelne Entwurfs-Outputs zu generieren, können KIs dabei helfen, sinnvolle Gespräche zu führen, so Damiano. Um gemeinsam mit vielen anderen zu entwerfen, müsse man sich in erster Linie Kommunikationsskills aneignen. Was KI nicht ersetzen kann, ist die differenzierte Debatte und eine erfahrungsbasierte Meinungsbildung. Dafür bleibt auch in einer zunehmend digitalisierten und künstlich intelligenten Welt die Interaktion zwischen Menschen essenziell.