Focus@Campus

Architekturkommunikation

Zur Vermittlung unserer gebauten Umwelt

Editorial

Zur Vermittlung unserer gebauten Umwelt

von Sorana Radulescu

Die Kompetenz der Architekt*innen liegt in der Planung – diese Aussage ist zwar richtig, jedoch bei weitem nicht vollständig. Architektur ist eine Disziplin, in der die kommunikative Tätigkeit eine wesentliche Rolle spielt, die sogar einen großen Teil der Arbeitszeit in Anspruch nimmt und maßgeblich zum beruflichen Erfolg beiträgt.

Die Aufgabe der Architekturkommunikation liegt darin, Bewusstsein zu schaffen, aufzuklären und eine Haltung zu vermitteln. Sprache, Schrift, Bild und Plan – über diese Mittel verständigen wir uns, sei es innerhalb der eigenen disziplinären Blase oder darüber hinaus, im Austausch mit Laien. Artikel in Zeitschriften und auf Online-Portalen, Posts, Tweets und Stories in den sozialen Netzwerken, Vorträge auf Fachtagungen und Konferenzen, Interviews in Podcasts oder Videos, Wettbewerbseinreichungen, Workshops oder Ausstellungen – Die vielfältigen Vermittlungsformate zielen darauf ab, einem möglichst breiten Publikum architektonische Konzepte nahezubringen und verständlich zu machen. Die hohe gesellschaftliche Relevanz der Architektur und die Verantwortung, die die Baupraxis gegenüber der aktuellen Krisen zu tragen hat, erhöhen den Aufklärungsbedarf.



In dieser Ausgabe nähern wir uns dem breiten Aktionsfeld der Architekturkommunikation medien- und formatübergreifend an. Weil diese Kompetenz schon im Studium trainiert werden sollte, beleuchten die ersten zwei Artikel konkrete Lehransätze der Architekturvermittlung. Prof. Riklef Rambow unterrichtet am KIT die sprachliche, schriftliche und visuelle Kommunikation von Architektur. Die Sprache als Entwurfswerkzeug sehen: Das verdeutlicht Katrin Voermanek ihren Studierenden an der BTU Cottbus und zeigt die Bedeutung eines eloquenten Narratives für ihre Entwurfsarbeit auf. Weil die Qualität der Sprache oft nicht mit dem richtigen Maßstab gemessen wird, plädiert Ramona Kraxner, Redakteurin der Zeitschrift LAMA, für eine ehrliche Architekturkommunikation mit kritischer Selbstreflexion und moralischer Prüfung. In diesem Sinne bespricht auch Angelika Hinterbrandner ihre Rolle und Verantwortung als Influencerin in der Branche. Schließlich blicken wir mit einem Gastbeitrag von Uta Gelbke auf ein wanderndes Ausstellungsprojekt, das Alltagsarchitektur zelebriert und sie von Laien bewerten lässt – eine interessante Rückkopplungsschleife in die disziplinäre Blase.

Teaserbild: Installation „Uncertainty“
im Spanischen Pavillion auf der Biennale Architettura 2021 in Venedig, Foto: Sulafa Isa, BauNetz

Raus aus dem stillen Kämmerlein

Prof. Riklef Rambows Lehre am Karlsruher Institut für Technologie

Text von Natalie Pawlik

Lehraufträge für Architekturkommunikation sind im deutschsprachigen Raum noch immer rar gesät. Derzeit gibt es in Deutschland zwei Professuren für diesen Fachbereich. Eine davon bekleidet Prof. Riklef Rambow am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Der studierte Psychologe beschäftigt sich seit nunmehr 25 Jahren mit der sprachlichen, schriftlichen und visuellen Vermittlung von Architektur. Sein Fokus liegt dabei auf der sogenannten Experten-Laien-Kommunikation, also dem Dialog zwischen Fachpersonen und Menschen, die kein oder nur wenig Fachwissen haben. In Karlsruhe lehrt Rambow angehende Architekt*innen, ihre Gedanken und Entscheidungen im Dialog mit Laien präzise und verständlich zu vermitteln.

Architekturkommunikation aus der Nische holen

Idealerweise sollte sich ein Entwurf nur über die Pläne verstehen lassen und keiner sprachlichen Erläuterung bedürfen. Diese in Architekturkreisen verbreitete Ansicht stößt in der Praxis spätestens dann an ihre Grenzen, wenn der Entwurf Laien – etwa Bauherr*innen – vermittelt werden soll. Personen, die nicht vom Fach sind, können Grundrisse, Schnitte und Axonometrien nicht in gleicher Weise lesen wie jemand, der*die Architektur studiert hat. Im Gegensatz zu anderen Disziplinen wie beispielsweise der Medizin seien sich Architekt*innen ihrer eigenen Expertise oft nicht in dem gleichen Maße bewusst, so Rambow. Dies führe dazu, dass Kommunikation als etwas angesehen wird, von dem Architekt*innen glauben, es schon irgendwie hinzubekommen – nicht zuletzt aus finanziellen Gründen. Befeuert wird dieser Glaube dadurch, dass im Studium oft das Bild von Architekturschaffenden als Generalist*innen oder Alleskönner*innen vermittelt wird. Bei seinen Studierenden möchte Rambow bewirken, dass sie sich nicht von einem entgegenbrachten Unverständnis verunsichern oder gar frustrieren lassen. „Zu sagen ‚Oje, keiner versteht mich, und das ist auch gut so‘, gehört zu den Todsünden der Architekturkommunikation“, so Rambow in einem Interview, das im März 2021 im Lösungsorientierten Architekturmagazin (LAMA) erschien. Komplexe Sachverhalte und Entscheidungen müssen von Expert*innen so erklärt werden, dass auch jemand, der*die sich nicht auskennt, sie verstehen kann.

Expert*innen-Laien-Kommunikation will gelernt sein

Immer dann, wenn Expert*innen Laien ihr Wissen vermitteln wollen, müssen sie Fachkonzepte auf die Ebene der Alltagssprache herunterbrechen. Dies gilt in der Architektur genauso wie in der Virologie oder im Rechtswesen. Viele Architekt*innen nehmen gar nicht wahr, dass sie sich bereits früh im Studium eine Fachsprache angeeignet haben, die außerhalb der Blase nicht verstanden wird. Dies führe auf lange Sicht zu einer Entfremdung vom eigenen Publikum, so Rambow. Als Beispiel für eine Expert*innen-Laien-Kommunikation, die in einer anderen Branche im großen Maßstab betrieben wird, führt er die Oscar-Preisverleihungen an. Der Oscar sei ein unheimlich einflussreiches Instrument, um eine weltweite Öffentlichkeit darüber zu informieren, welche Filme aus Sicht einer Expert*innenjury gut sind. Solche Preisverleihungen können ein Mittel sein, um die Diskrepanz zwischen dem Wertekanon sowie den Qualitätskriterien der Fachpersonen und der Laien zu verringern. Im Wintersemester 2022/23 untersucht Rambow gemeinsam mit Studierenden, wie das System der Preise und Auszeichnungen im Bereich der Architektur funktioniert, und wie es diesen Preisen gelingt, auch in die Öffentlichkeit hineinzuwirken.

Rambow über seine Lehre

Vor allem in Zeiten multipler Krisen wie dem Klimawandel und der Energiekrise geraten planende Architekt*innen zunehmend unter Rechtfertigungsdruck. Genau hier setzt Rambows Lehre an: Angehenden Architekturschaffenden gibt er das richtige Werkzeug an die Hand, um sich bei Entwurfspräsentationen und Diskussionen mit Bauherr*innen behaupten zu können. Seine Vorlesung „Einführung in die Architekturkommunikation“ ist für alle Bachelorstudierenden am KIT verpflichtend. Zusätzlich bietet Rambow diverse Seminare zur Architekturkommunikation an. Neben dem Seminar zu Preisverleihungen in der Architektur wird es im Wintersemester 2022/23 beispielsweise ein Seminar zu öffentlichen Architekturdebatten in Geschichte und Gegenwart geben. In seinen Lehrveranstaltungen geht es Rambow unter anderem darum, das Faszinationspotenzial von Architektur bei Laien auszuloten. Ihm zufolge schlummern eine Menge ungehobener Potenziale, auch fachfremde Personen anzusprechen, etwa in der Architekturfotografie oder im Skizzieren.

Ein Skillset für gelungene Architekturkommunikation

Eines der wichtigsten Instrumente der Architekturkommunikation ist die Sprache. Architekturstudierende lernen am KIT, komplizierte Gedanken zu ihren Entwürfen und ihren Entscheidungen in Worte zu fassen. „Es kann nicht gut sein, wenn man es niemandem erklären kann“, findet Rambow. Die Versprachlichung des Entwurfs umfasst auch ein nachträgliches Glätten des Entwurfsprozesses. Welche Gedanken lohnt es sich, zu thematisieren und welche nicht? Grundsätzlich gelte, dass für jede Entscheidung, die man trifft, gute Gründe anzuführen sind. Außerdem kann es hilfreich sein, den Entwurfsprozess in eine narrative Struktur einzubetten, eine Geschichte zu erzählen. Dabei sollte man sich stets fragen, wer das Zielpublikum ist.

Neben der Sprache dienen visuelle Medien einer gelungenen Architekturkommunikation. Worum geht es in dem Entwurf, und welche visuellen Mittel bilden dies am besten ab? Dabei sollten Architekt*innen vor allem bei der Kommunikation, die sich an Laien richtet, die Aussagekraft von Plänen nicht überschätzen. Rambow erläutert dies am Beispiel des Schwarzplans. In vielen Fächern ist der Schwarzplan das einzig zugelassene Instrument, um Kontext zu kommunizieren. Oftmals wird dabei bewusst darauf verzichtet, die eigene Intervention farblich zu kennzeichnen. Eine Person, die sich mit Architektur nicht auskennt, kann mit einem solchen Plan in der Regel nicht viel anfangen. Deshalb sollte die Auswahl der Visualisierung stets an die Zielgruppe angepasst werden, denn vor allem Laien sind auf begleitende Kommunikation angewiesen.

Sprache als Entwurfswerkzeug

Gastbeitrag von Katrin Voermanek über Kommunikation als Lehr- und Lerninhalt

Architekt*innen haben einen hochkommunikativen Beruf. Zu ihrem Alltag gehören Besprechungen, Telefonate und E-Mail-Austausch mit Bauherr*innen, Fachplaner*innen und Behörden, Präsentationen, Erläuterungsberichte für Wettbewerbe, Projektbeschreibungen für die eigene Webseite und Bewerbungsverfahren, Teamsitzungen oder Mitarbeiter*innen-Gespräche. Die Liste ließe sich weiter fortsetzen, aber der Punkt ist längst klar: Nur die wenigsten verbringen ihre Zeit im Büro mit stillem Zeichnen, Rendern oder Modellbauen. Schade, dass Kommunikationskompetenz trotzdem eine so geringe Rolle in der Ausbildung spielt und der Umgang mit allen anderen „Handwerkszeugen“ des Entwerfens, Planens und Bauens selbstverständlich vermittelt und trainiert wird, während die Sprache oft vernachlässigt bleibt.

Im Rahmen von Lehraufträgen zunächst an der TU Berlin, seit einigen Jahren an der BTU Cottbus am Fachgebiet Entwerfen und Bauen im Bestand von Prof. Per Pedersen und an der Hochschule „Berlin International“ sind verschiedene Formate entstanden, um Studierende begleitend zu einem Entwurfsstudio für das Thema zu sensibilisieren und den Umgang mit Sprache im Architekturkontext einzuüben. Es ist noch nicht lange her, dass kritische Professor*innen so etwas für eine Art Verkaufstraining für schlechte Entwürfe hielten. Architektur spreche doch vor allem für sich selbst, und gute Arbeiten seien von sich aus überzeugend, da müsse man doch nicht noch extra lernen, darüber zu reden. Diese Auffassung geht zum Glück langsam in Rente, und eine jüngere Generation Lehrender und vor allem die Studierenden sind sich sehr wohl bewusst, welchen Anteil Kommunikation bereits im Entwurfsprozess hat und dass ein hierfür geschärftes Bewusstsein hilfreich ist.

Denn es geht ja längst nicht nur um die Abschlusspräsentation (das tut es auch, und wer - anstatt nach durchmachter Nacht ohne jegliche Vorbereitung - einmal mit minimaler Arbeit an Kernaussagen, Timing und Präsenz erfolgreich war, wird sich das merken). Es geht auch um die Frage, was wir uns überhaupt ohne Sprache vorstellen können. Entstehen Entwürfe, gute inhaltliche Konzepte wirklich nur beim Skizzieren und dem Bauen von Arbeitsmodellen? Oder hat das Entwickeln einer Absicht, einer gestalterischen Intention, das Herstellen einer gewünschten räumlichen Qualität oder Atmosphäre nicht auch schon ganz direkt mit Sprache zu tun? Vieles sagt sich so leicht daher: Wir wollen einen „Campus“ gestalten, in einer Wohnanlage soll „Gemeinschaft“ im Vordergrund stehen, eine Fassade soll „Dynamik“ ausdrücken. Aber was bedeuten diese Begriffe eigentlich (Spoiler: für so gut wie jede*n etwas anderes …)? Welche Qualitäten sind genau gemeint, woran können sie sich architektonisch festmachen? Fertigkeiten in dieser Art des Umgangs mit Sprache zu entwickeln, Begriffe zu hinterfragen und selbst bewusster zu benutzen, erweitert das Vorstellungsvermögen, erhöht die Präzision im Austausch mit der Gruppe im Studio, mit den Lehrenden schon ab der ersten Tischkritik und später mit den Auftraggeber*innen.
 
So kann es sinnvoll sein, durch Schreibübungen und vor allem das Lesen von digitalen und analogen Architekturmedien den eigenen fachspezifischen Wortschatz kontinuierlich herauszubilden. Hilfreich sind ebenfalls Grundlagen der Kommunikationstheorie, denn auch das Sprechen über Architektur ist keine Einbahnstraße, bei dem es nur auf das Absenden wohlgeformter Botschaften ankommt (und wer diese nicht versteht, hat halt leider Pech). Sprachliche Anpassungs- und Reaktionsfähigkeit sind gefragt. Wer das Modell von „Sender und Empfänger“ kennt und weiß, dass nach Friedemann Schulz von Thun jede Nachricht mindestens vier Seiten hat, redet im besten Fall nicht einfach drauflos, sondern überlegt sich vorher, was er*sie bei welcher Art von Zuhörer*innenschaft erreichen will und kann. Wer unter Anleitung einen Architekturvortrag analysiert und gegen die Gewohnheit mal nicht nur auf tolle Projekte achtet, sondern beobachtet, wie Profis ihre Auftritte einleiten und beenden, wie sie sich ihrem Publikum zuwenden, mit Körperhaltung, Mimik und Gestik das Gesagte unterstreichen, kann für sich selbst wertvolle Anregungen mitnehmen. Und wer erfährt, dass schon vor über 2000 Jahren große Philosophen wichtige Erkenntnisse über die Produktionsstadien einer Rede oder Bühnenpräsenz niedergeschrieben haben, kann beruhigt sein, nicht in einer neumodischen Marketing-Veranstaltung gelandet zu sein.
 
Diese Art von Architektur-Kommunikations-Lehre zielt nicht auf Studierende ab, die ohnehin an alternativen Berufsbildern interessiert sind. Es kann ein beglückender Nebeneffekt sein, das eine oder andere Talent auf diese Weise zu einem Praktikum in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit eines Büros oder im Architekturjournalismus zu ermutigen, wenn der klassische Berufsweg bei aller Liebe zum Gebauten nicht der richtige zu sein scheint. Aber grundsätzlich geht es vor allem darum, zukünftige Architekt*innen empathischer für ihre Zuhörer*innenschaft und sicherer im Umgang mit einem ihrer wichtigsten Werkzeuge zu machen, der Sprache. Im besten Falle hilft sie ihnen dabei, ihre Konzepte erfolgreicher zu entwickeln und zu vermitteln.

Von Wörtern und Zahlen

Gastbeitrag von Ramona Kraxner über gesellschaftsbildende Architekturkommunikation

Auf den ersten Blick erscheint es weder logisch noch sinnhaft, aber Wörter sind eigentlich nur Zahlen. Zumindest, wenn man dem zeitgenössischen Medienmarkt folgt: Gute Architekturkommunikation lässt sich an steigenden Verkaufszahlen, Klicks und Verweildauer auf Webpages ablesen. Der Trugschluss sitzt jedoch nicht in der Quantifizierung von Sprache, sondern in der Gleichsetzung dieser Quantifizierung mit Signifikanz. Was für die einen oder anderen Leser*innen jetzt wie eine Aneinanderreihung von hohlen Wörtern klingt, ist in Wahrheit nichts weniger als eine Kampfansage. Denn die Architekturkommunikation ist ein heiß umkämpftes Feld, auf dem gerade ausverhandelt wird, was Architektur zukünftig sein darf und kann.

Gesellschaftsbildende Architekturkommunikation

Diese Verhandlungen beginnen bereits bei der Definition von Architekturkommunikation, die nur zu gerne mit PR, (Social-)Media-Präsenz und Werbung gleichgesetzt wird. Was jedoch grundsätzlich benötigt wird, sind Akteur*innen, die diese ganzen vagen Bezeichnungen wieder mit tatsächlichen Inhalten befüllen. Denn die eigentliche Kommunikation ist nicht jene zwischen Firmen und Kund*innen, sondern Architekturkommunikation ist das Tragen der Architektur in das Verständnis der Gesellschaft hinein. Wir sprechen daher von einer gesellschaftsbildenden Architekturkommunikation. Das Ziel ist weder Profit noch Profilierung, sondern eine Korrektur der Selbst- und Fremdwahrnehmung des Architekt*innenberufs und dessen raumbildender Erzeugnisse. Zu lange haben Selbstbeweihräucherung, Beschäftigung mit Bürokratie und isolierter Bubble-Diskurs zu einem völligen Realitätsverlust der gesamten etablierten Architekturbranche geführt.

Das veränderte Architekturverständnis dringt nur langsam in die alten Köpfe vor

Dass in den letzten Jahren der Fokus darauf gelegt wurde, Architektur, Architekturbüros und Architekt*innen als werbewirksame Marken umzudeuten, ist dem Marktmechanismus mit der allumfassenden Kommodifizierungsperversion geschuldet. Nun liegt Konventionen jedoch nicht zwangsläufig logische Legitimation inne. Viel mehr liegt es an kritischen Menschen, den Status Quo zu hinterfragen; heutzutage besonders auf die Frage hin, wem Architekturkommunikation nützt und wem es eigentlich nützen sollte. Diese letzte Frage ist eindeutig mit der Gesellschaft zu beantworten, auch wenn die erste Frage natürlich eine konträre Replik verlangt: Der Status Quo nützt jenen, die aus der Architektur Profit schlagen können. Aber das ist weder Sinn der Architektur noch der Wille junger Architekturschaffender, die im Gegensatz zu vielen Etablierten erkannt haben, dass wir das derzeitige System nicht perpetuieren dürfen. Während die „Alten“ noch Projektfotos um Projektfotos von fertiggestellten Neubauten in der Presse zelebrieren, entwickeln die Jungen mit dem Dogma des Nichtbauens ein komplett anderes Architekturverständnis an den Universitäten.

Die ungeschönte Ausgangslage

Durch jahrzehntelange Fahrlässigkeit in Sachen Ressourcenschonung, Umweltschutz und sozialer Nachhaltigkeit wird der Architekturpraxis nicht nur eine ökologische, sondern zwangsläufig auch eine signifikante wirtschaftliche und politische Rolle zuteil. Ihr ist definitiv nicht mit dem bisherigen hohlen und schlichtweg eindimensionalem (Marcuse) Verständnis von „Architekturkommunikation“ beizukommen, wie es aktuell im Mainstream praktiziert wird. Die Bildung der nachkommenden Architekt*innen an den Universitäten und die kollektivistisch-aktivistische Eigeninitiative kritischer Architekturschaffender wird sich auch auf die Architekturkommunikation auswirken. Diese steckt momentan eher in einem vermeintlich individuellen, aber aufgrund der maßgebenden Such- bzw. Social-Media-Algorithmen absolut uniformen und daher langweiligen Korsett. Denn das Potemkinsche Dorf der heilen Architekturwelt wird früher als später in sich zusammenbrechen. Die Oberhand werden letztlich jene haben, die eine ehrliche Architekturkommunikation mit kritischer Selbstreflexion und moralischer Prüfung verfolgen, anstatt den Blick auf die Heil versprechenden Zahlen zu richten: Schließlich stammen weltweit 40 Prozent aller CO₂-Emissionen, die zur Klimakrise beitragen, aus der Architektur- und Baubranche.

Direct Message

Im Gespräch mit Angelika Hinterbrandner zu Architektur & Social Media

Interview von Sorana Radulescu

Wie nutzt du soziale Medien in Bezug auf den Architekturdiskurs?

Am aktivsten bin ich in Hinblick auf Debatten und Austausch rund um die Architektur auf meinem eigenen Instagram-Profil @ahinterbrandner. Wenn es meine Zeit zulässt, schreibe ich kurze Texte zu Themen, die mich aktuell beschäftigen – in den letzten beiden Jahren ging es oft um wohnungspolitische Themen, schwerpunktmäßig in Berlin. Oft teile ich auch Artikel, Links oder weitere Quellen zu Veranstaltungen und Open Calls. Die Inhalte entstehen in der Regel spontan – sehr oft abends beim Lesen oder im Transit. Hinterher kann ich dann ablesen, wohin sich gerade meine Interessen verschieben. Mein Account ist damit ein subjektiver Filter aktueller Debatten, die mir relevant erscheinen, mich beschäftigen oder mich wütend machen. Gerade wenn ich über etwas wütend bin, hilft mir der Schreibprozess, Abstand zu gewinnen und unterschiedliche Aspekte eines Sachverhalts abzuwägen. Das führt wiederum zur Ausformulierung und Reflexion meiner eigenen Haltung.

An der Art des Schreibens in Sozialen Medien mag ich besonders, dass die Inhalte direkt rezipiert werden und 1:1 Austausch entsteht. Auf meinem Account finden solche Debatten in kleinem Rahmen statt. Auf @kntxtr kann man die Dynamiken in größerem Maßstab beobachten. Katharina Benjamin, meine Partnerin bei kntxtr, steckt hinter dem Account, der inzwischen mehr als 90 Tausend Menschen erreicht. Was für einen Unterschied der schwellenlose Zugang zu Informationen und das fachübergreifende Teilen von Wissen machen, lässt sich am besten an den Gehaltsdebatten ablesen, die immer wieder aufflammen. Kntxtr treibt diese Debatten seit 2017 voran, und die Resonanz, die wir darauf bekommen spricht für sich – inzwischen haben sich auch andere Formate dieses Themas angenommen.

Die Netzwerkeffekte, die bei kntxtr schon sichtbar werden, beschäftigen mich auch im Rahmen der Inhalte, die auf meinem Account und meiner Website stattfinden. Aktuell arbeite ich an einem Wissensnetzwerk, einer interaktiven Darstellung aller Themen, an denen ich derzeit sitze. Das Ziel ist einerseits Zusammenhänge aufzuzeigen, Kernkonzepte freizulegen und Komplexität zu durchdringen – im besten Fall ist dieses Netzwerk dann nicht nur mir zugänglich, sondern offen online einsehbar. So findet das Wissen, das auf Instagram verfügbarer Content ist und oft nach 24 Stunden wieder verschwindet, eine Form und kann weiter zirkulieren, sodass nicht immer wieder alle bei Null beginnen müssen. Dieses Netzwerk wird außerhalb der Sozialen Medien liegen – dennoch spielen Plattformen als Medium der Kommunikation und Vernetzung sowie als Orte der Zirkulation von Themen eine wichtige Rolle. Auch im Kontext von kntxtr reflektieren wir die eigenen Abhängigkeiten von den großen Plattformen kritisch und versuchen, eigene Strukturen aufzubauen. Das funktioniert allerdings nur mit den entsprechenden Ressourcen, also genügend Geld, um eigene Projekte finanzieren zu können.

Welchen Mehrwert hat für dich die Architekturkommunikation auf Social Media?

Architekturkommunikation kann heute direkter denn je sein, wenn man denn will. Die Bauherr*in und Schreiner*in sind ebenso auf Instagram wie befreundete Architekturbüros. Die „Gatekeeping“-Funktion, die große Architekturmedien früher hatten, ist entfallen, und neue Formen der Kuration, Formate und Genres sind entstanden. Architekturdiskurs kann heute als Meme auch Popkultur sein. Jede*r kann an der Meinungsbildung teilnehmen. Was nicht heißt, dass im digitalen Kommunikationsraum per se alles besser sei. Machtdynamiken und Verwertungslogiken müssen kritisch hinterfragt werden. Gleichzeitig sind die Möglichkeitsräume für viele Menschen größer und diverser geworden. Den größten Mehrwert sehe ich darin für die Branche selbst, weil neue Themen auf den Tisch gelangen und plötzlich andere Positionen einen Raum bekommen, um selbstbestimmt am Diskurs teilzunehmen. 

Welche Verantwortung hast du als Influencer*in?

Ich sehe mich nicht als Influencer*in, dafür betreibe ich meinen eigenen Account viel zu unprofessionell, und er ist im Vergleich viel zu klein – ich verdiene außerdem kein Geld mit meinem Instagram Account. Mit wachsender Reichweite geht aber auf jeden Fall Verantwortung einher. Wenn ich Einordnungen zu politischen, tagesaktuellen Themen schreibe, empfinde ich journalistische Verantwortung. Das heißt für mich, dass ich sorgfältig mit Quellen arbeite, Positionen kritisch hinterfrage und abwäge – der Pressekodex ist hier eine gute Orientierungshilfe. „Verantwortung“ ist auf Social Media vielleicht deswegen ein so schwieriges Thema, weil privat und öffentlich, Nachrichten, Werbung und Meinungsbeiträge nahtlos ineinander übergehen. Auch als Leser*in habe ich eine Verantwortung im sozial-medialen Raum.

Das Schreiben fällt vielen Planenden schwer. Was bedeutet es für dich?

Schreiben heißt für mich Denken, Verstehen, Reflektieren. Der Prozess an sich ist unheimlich anstrengend und gleichzeitig lehrreich, weil Schreiben Ordnung im Kopf schafft und die eigene Position schärft. Daher habe ich mir für dieses Jahr ein Projekt vorgenommen, das hoffentlich zu einer regelmäßigen Schreibpraxis führt – mehr dazu dann auf meinem Instagram Account.

Wäre der Weg, den du in der Architektur(kommunikation) eingeschlagen hast, vor 20–30 Jahren in der Branche möglich gewesen?

Mit den entsprechenden Privilegien wäre es sicher möglich gewesen, eigene Formate und Ideen umzusetzen, aber die Situation lässt sich schwer vergleichen. In eine Position zu gelangen, in der man „gehört wird“, ist auch heute noch viel zu oft nur durch Privilegien möglich. Netzwerk, Praktika, Geld – die kleinen Unterschiede während des Studiums werden zu den entscheidenden Faktoren im CV, die Türen öffnen oder verschließen. Dafür ein Bewusstsein zu schaffen und Wandel anzustoßen, der im besten Fall zu systemischen Veränderungen führt, ist mir ein Anliegen.

Feel the House

Gastbeitrag von Uta Gelbke zu einer wandernden Fotografie-Ausstellung

Die Fähigkeit, Realitäten abzubilden oder neue Realitäten zu schaffen und diese im Bild zu vermitteln, ist ein wesentlicher Baustein im kreativen Prozess. Für die Kommunikation mit anderen, aber auch zur Unterstreichung der gestalterischen Intention ist das Bild für Architekt*innen unverzichtbar. Es übersetzt nicht nur die Entwurfsidee eines Gebäudes wie zum Beispiel durch die Inszenierung im Foto, sondern ermöglicht den Betracher*innen auch ein schnelles Verständnis und die Entwicklung einer eigenen Position dazu.

Wie man Fotografie als übersetzendes Medium in der Architekturkommunikation verwenden kann, zeigt die Wanderausstellung „FEEL THE HOUSE“, die im Rahmen der Architekturlehre am Lehrstuhl Bauen mit Bestand und Baukonstruktion der Bergischen Universität Wuppertal entstand. Die Ausstellungsbilder selbst wie auch die Umsetzung der Ausstellung – vom Ausbau des Fahrzeugs bis zur Öffentlichkeitsarbeit – sind das Resultat von Lehrveranstaltungen. Dabei erhielten die Studierenden einen umfassenden Einblick in die Gestaltung und Organisation einer Architekturausstellung.

Unbeachtetes entdecken

Zum Bauen mit Bestand gehört auch das Sehen und Bewerten auf einer ästhetischen Ebene. Unter der Leitung von Prof. Georg Giebeler entstand daher die stetig wachsende Sammlung Haus-Archiv – Fotografien alltäglicher Architekturen von Studierenden der RWTH Aachen, der Hochschule Wismar, der Hochschule RheinMain und der Bergischen Universität Wuppertal. Mithilfe fotografischer Arbeiten wird das Unbeachtete sichtbar gemacht und eine eigene Haltung zur Alltagsarchitektur angeregt. Das Fotografieren dient dem aktiven Hinsehen und Wahrnehmen der gebauten Umwelt. Oft ist dies die erste bewusste Auseinandersetzung mit Bestandsgebäuden im Architekturstudium. Die Motivauswahl ist den Studierenden überlassen und orientiert sich mal an Sehnsüchten, mal an Erinnerungen, mal an ästhetisch-architektonischen Ansprüchen. Kirchen, Museen und die Werke bekannter Architekt*innen sind als Motiv ausgeschlossen. Und so enthält die Sammlung private und öffentliche Bauten, Wohn- und Geschäftshäuser verschiedener Epochen des 20. Jahrhunderts, vom Bungalow bis zum Hochhaus. Alltagsarchitektur in Deutschland. Mittlerweile umfasst die Sammlung über 500 Fotos epochentypischer Gebäude. Durch die äquivalente, fotografisch anspruchsvolle Darstellung werden Vergleiche und eine subjektive Beurteilung durch die Betracher*innen ermöglicht, ohne den Kontext des Stadtteils oder die Architekt*innen zu kennen. Der Blick konzentriert sich auf die Frage: Was zeichnet dieses Gebäude aus? Was gefällt mir daran und was nicht? Skurriles wird inszeniert; das scheinbar Belanglose löst sich vom Unbeachteten. Das Bild erzeugt ein Gefühl  – also wortwortlich: „FEEL THE HOUSE“.

Alltagsarchitektur zum Ansehen und Mitmachen

Spießig, schräg, brutal – mit der Wanderausstellung „FEEL THE HOUSE“ gingen die Arbeiten auf Tour. Ein gebrauchter Kastenwagen wurde zu einem „Ausstellungsmobil“ mit Satteldach umgebaut und mit einem zentralen Möbel ausgestattet, an dem die Fotografien ähnlich wie in einer Schallplattenbox durchgesehen und kommentiert werden konnten. Stempel mit verschiedenen Adjektiven dienten dazu, die Gebäude aus persönlicher Sicht und fern erlernter Bewertungskriterien „abzustempeln“. So wurde auch der Austausch zwischen den Besucher*innen gefördert. Die nahbaren, ausdrucksstarken Adjektive, die als Urteil zur Verfügung standen, sollten Emotionen widerspiegeln und aus dem typischen Architekturjargon ausbrechen.

Wie bei einer professionell organisierten Ausstellung wurde ein Corporate Design entwickelt inklusive Webseite, Social-Media-Präsenz, Postkarten, Plakaten, T-Shirts, ein begleitendes Magazin mit Textbeiträgen und eine Pressemappe. Das „Ausstellungsmobil“ startete im Juni 2021 mit einem Besuch beim Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt und war mit Beginn des Wintersemesters zu Gast bei kleinen und großen Architekturfakultäten quer durch Deutschland.