Welche Rolle spielen die Architekturkammern?

14.02.2023

Ein Interview geführt von Sorana Radulescu aus der baunetz CAMPUS Redaktion

Studiert, absolviert, Praktikum abgeschlossen: Es folgt der Moment, in dem man sich Architekt*in oder Stadtplaner*in nennen darf. Dies ermöglicht jedoch nur die Mitgliedschaft in einer Kammer – zumindest in Deutschland. Über die Rolle, die Rahmenbedingungen und Leistungen der Architektenkammer in Deutschland haben wir uns mit Dr. Tillman Prinz, Bundesgeschäftsführer der Bundesarchitektenkammer (BAK), unterhalten. Ein aufschlussreicher Beitrag für die Nachwuchsgeneration, die die Kammerwelt (besser) überblicken möchte.

Wieso soll ich mich als Studierender oder junge/r Absolvent*in für die Kammer interessieren? 

Die Kammern sind quasi die „berufliche Heimat“ der Architekt*innen und Stadtplaner*innen. Sie fördern den professionellen Austausch, unterstützen bei Fragen im Zusammenhang mit der Aufnahme und Ausübung des Berufs und bieten qualitätsgeprüfte und erschwingliche Fortbildungen an. Ferner setzen sie sich für berufliche Belange ihrer Mitglieder ein, um berufliche Rahmenbedingungen zu erhalten und zu schaffen, die die Berufsausübung auf hohem Niveau erleichtern. Da die Kammern ebenfalls die Aufsicht über die Berufsausübung führen, stehen sie Kammermitgliedern bei Konflikten untereinander oder mit Auftraggebenden beratend oder vermittelnd zur Seite.

Welche Voraussetzungen muss eine/e Absolvent*in erfüllen, um Teil der Kammer zu sein? Mit welchen Kosten ist dabei zu rechnen?

Um in die bei den Kammern geführten Listen der Architekt*innen, Innenarchitekt*innen, Landschaftsarchitekt*innen oder Stadtplaner*innen eingetragen zu werden, ist ein Studienabschluss in der jeweiligen Fachrichtung mit einer Mindeststudienzeit von vier Jahren und der Nachweis einer zweijährigen Berufspraxiszeit unter Aufsicht einer/s eingetragenen Architekt*in erforderlich. Die Höhe der Kammerbeiträge hängt von den Beitragsordnungen der jeweiligen Länderkammer ab.

Was unterscheidet die Bundesarchitektenkammer von den Länderkammern?

Die Bundesarchitektenkammer ist der freiwillige Zusammenschluss der 16 Länderarchitektenkammern, um die gemeinsamen Belange der Länderkammern auf Bundes-, europäischer und internationaler Ebene zur Geltung zu bringen. Im Unterschied zu den Länderarchitektenkammern ist sie keine Körperschaft des öffentlichen Rechts, untersteht nicht der Aufsicht eines Ministeriums und hat 16 Mitglieder ohne Pflichtmitgliedschaft.

Wie positioniert sich die Kammer international? 

Im Auftrag der Länderarchitektenkammern ist die Bundesarchitektenkammer die nationale und internationale Vertretung des gesamten Berufsstandes. Zur Erfüllung dieser Aufgaben unterhält die Bundesarchitektenkammer ein EU-Verbindungsbüro in Brüssel. Desweiteren ist sie Mitglied in den europäischen und in den internationalen Dachverbänden aller vier von ihr vertretenen Fachrichtungen und unterhält engste Verbindungen zu allen Architekt*innenorganisationen weltweit. Ferner betreibt die Bundesarchitektenkammer für die Länderkammern das Netzwerk Architekturexport NAX, um die Zusammenarbeit zwischen Architekt*innen und Stadtplaner*innen im In- und Ausland zu fördern und die Marke „Planned in Germany“ zu stärken.

Die Berufsbezeichnung ist in Deutschland geschützt, in vielen anderen europäischen Ländern aber nicht – Was hat dazu geführt und wieso glauben Sie, dass es wichtig ist?

Mit der Industrialisierung Anfang des 20. Jahrhunderts, der Erstellung von Massenunterkünften, der zunehmenden Urbanisierung und dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur wurde deutlich, dass die Qualität der gebauten Umwelt zunehmende Bedeutung erhält. Während sich zunächst einige qualitätsorientierte Planer*innen freiwillig in Verbänden zusammenschlossen und diese Qualitätsorientierung mit ihrer Verbandsmitgliedschaft dokumentierten, wuchs die Erkenntnis, dass die Baukultur auf breiter Ebene nur dann gesichert werden könne, wenn alle Architekt*innen (und später auch die Stadtplaner*innen) über eine abgeprüfte Mindestqualifikation verfügen und diese für die Auftraggebenden unmittelbar erkennbar sei. Die mit der Kammermitgliedschaft verbundene Befugnis zur Führung der Berufsbezeichnung und dem Recht, Bauanträge einreichen zu dürfen (Bauvorlageberechtigung) dient somit dem präventiven Verbraucher*innenschutz, denn nur, „wo Architekt*in draufsteht, ist auch Architekt*in drin“. In Ländern ohne Schutz der Berufsbezeichnung muss – wie beispielsweise in Finnland – bei jedem Bauantrag erneut die Qualifikation durch Vorlage von Zeugnissen oder Bescheinigungen nachgewiesen werden. Im Gegensatz dazu tragen die Kammern in Deutschland zur Entlastung des Staates bei und übernehmen – finanziert durch den Berufsstand selbst – die Qualifikationssicherung ihrer Mitglieder.

In welchem Kontakt steht die BAK zum Nachwuchs? Welche Maßnahmen zur Nachwuchsförderung treffen Sie?

Neben dem regelmäßigen Austausch der Kammern mit den in ihrem jeweiligen Bundesland ansässigen Hochschulen haben die Kammern mittlerweile fast flächendeckend Junior-Mitgliedschaften eingeführt, um auch Absolvent*innen in die Wirkungsweise der Kammern einzubeziehen. Im Auftrag der Länderkammern hat die Bundesarchitektenkammer zudem die Gründung der unabhängigen Nachwuchsorganisation nexture+ für Architekt*innen und Innenarchitekt*innen- unterstützt, deren Geschäftsstelle am Sitz der Bundesarchitektenkammer ist.

Wie unterstützt die Kammer ihre Mitglieder langfristig? 

Mit der Kammermitgliedschaft ist regelmäßig die Mitgliedschaft im Versorgungswerk verbunden; einer attraktiven, privat finanzierten Rentenvorsorge. Ferner beraten die Kammern auch bei wirtschaftlichen Fragen im Zusammenhang mit der Büroführung und bieten entsprechende Fortbildungen an. Einige Kammern verfügen über Unterstützungsfonds im Falle von Notsituationen.

Wie viele Absolvent*innen des Architekturstudiums in Deutschland werden Kammermitglieder?

Es sei der Hinweis vorausgeschickt, dass nicht jeder Absolvent einer Hochschule auch Kammermitglied wird. Bislang konnten dies in der Regel nur Absolventen eines Master-Studiengangs nach zusätzlicher zweijähriger Berufspraxis. Mittlerweile gibt es in einigen Bundesländern auch die Möglichkeit einer Junior-Mitgliedschaft direkt nach dem Masterstudium.

2021 gab es 11.476 Prüfungen im Bereich Architektur, Innenarchitektur, Landschaftsarchitektur und Stadtplanung, davon 8.522 Prüfungen im Bereich Architektur. Unter diesen 11.476 Prüfungen waren 4.594 Masterabschlüsse; der Rest verteilt sich auf Bachelorabschlüsse, Promotionen und Lehramt.

3.341 Neumitglieder verzeichneten die 16 deutschen Architektenkammern im Jahr 2021. Mit anderen Worten: Gut 70 % der beitrittsberechtigten Studienabgänger*innen werden auch Mitglieder der Kammer. 

Dass nicht jede/r Absolvent*in Kammermitglied wird, kann auch daran liegen, dass man nach dem Studium keinen Architekturberuf ergreift, also nicht berufstätig wird, ein weiteres Studium anschließt oder in gänzlich anderen Bereichen beruflich fußt, für die eine Kammermitgliedschaft weniger relevant ist.

Wie positioniert sich die Kammer zum Wandel des Berufsbildes hinsichtlich der Herausforderungen der Bauwende? Zukunftsvision der Architekt*innenkammer in Deutschland?

Die Kammern verfolgen bundesweit einen einheitlichen und klaren Kurs: Umbau vor Neubau, Förderung des ressourcenschonenden und CO₂-reduzierten Bauens, Fortbildung ihrer Mitglieder im nachhaltigen Planen und Bauen.