#BookChat: Wiederentdeckte Baustoffe

Lehm, Papier, Textil – diese Materialien haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Auf den zweiten Blick fällt auf, dass es sich dabei um historische Baustoffe handelt, die lange als vergessen galten und heute wiederentdeckt werden. Drei aktuelle Publikationen beschäftigen sich mit solchen Materialien.

Vor dem Hintergrund aktueller ökologischer Herausforderungen müssen sich herkömmliche Baustoffe einer kritischen Prüfung unterziehen. Gleichzeitig erleben Materialien, die über Epochen hinweg als vergessen galten, eine Renaissance. Die folgenden drei Bücher sind den Baustoffen Papier, Textil und Stampflehm gewidmet und zeigen ihre Potenziale für die zeitgenössische Architektur auf.

Bauen mit Papier

Auf den ersten Blick erscheint Papier als Baustoff untauglich, dabei kommt das Material schon seit langer Zeit in der Architektur zum Einsatz. Man denke beispielsweise an die transluzenten Schiebetüren namens Shoji, die in der traditionellen japanischen Architektur Verwendung finden. Die Herausgeber*innen des Buches „Bauen mit Papier“ Ulrich Knaack, Rebecca Bach und Samuel Schabel begreifen den Baustoff sogar als eine „Weiterentwicklung des Basiswerkstoffs Holz“. Die Publikation hat ihren Ursprung in einem gleichnamigen Forschungsprojekt, das an TU Darmstadt ins Leben gerufen und vom hessischen Landesprogramm LOEWE gefördert wurde. Im Rahmen des Projekts untersuchte ein interdisziplinäres Team die Potenziale des Materials Papier für die Baubranche. 

Umfassend und in die Tiefe gehend führen die Autor*innen in der ersten Hälfte des Buches in die Geschichte und Herstellung des Materials ein. Des Weiteren behandeln sie detailliert seine baukonstruktiven und -physikalischen Eigenschaften. Zahlreiche, grafisch hochwertige Skizzen und Tabellen dienen dabei der Veranschaulichung. Von Häusern und Hütten, über Pavillons, Brücken bis hin zu Innenausbau und Möbeln – in der zweiten Hälfte des Buches werden zahlreiche Praxisbeispiele vorgestellt. Unter den Beispielen sind auch die beiden Demonstratoren House 1 und 2, die im Rahmen des Forschungsprojekts entstanden sind. Bei der Publikation handelt es sich um ein sorgfältig ausgearbeitetes Fachbuch, das nicht zuletzt aufgrund seines optisch und haptisch ansprechenden Einbands sehr empfehlenswert ist.


Architectures of Weaving

Wie kann mit Textilien gebaut werden? Dieser und anderen Fragen gehen die Autor*innen der 44 Aufsätze nach, die der Sammelband „Architectures of Weaving“ vereint. Zusammengestellt haben ihn Christiane Sauer, Mareike Stoll, Ebba Fransén Waldhör und Maxie Schneider. Auf eine essayistische Einleitung durch zwei der Herausgeberinnen folgen reich bebilderte Berichte von Studienreisen, neuen Lehrmethoden, Forschungsprojekten, künstlerischen Arbeiten sowie kleinen und großen gebauten Beispielen. Im Fokus steht dabei die Auseinandersetzung mit gewebten Materialien als mögliche Baustoffe. 

Das sorgfältig kuratierte Buch versammelt interdisziplinäre Perspektiven aus den Bereichen Anthropologie, Architektur, Kunst, Biologie, Kulturgeschichte, Design, Materialwissenschaften und Textiltechnologie. Von Zellulosefasern bis zu über 1000 Quadratmeter großen Bambusgeflechten – Die Spannweite der besprochenen Gewebe ist groß. Die Publikation zeigt zahlreiche Anwendungsfälle auf, wie textile Materialien nicht nur additiv in der Architektur zum Einsatz kommen können. Die faszinierenden Detailaufnahmen aus den Materiallaboren und attraktiven Fotografien der eindrucksvollen Bauwerke laden zum Blättern ein.


Pisé – Stampflehm 

Stampflehm gehört zu jenen vergessenen Baumaterialien, die heute, vor den ökologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, wieder an Aktualität gewinnen. Der Schweizer Architekt und Hochschullehrer Roger Boltshauser hat gemeinsam mit Cyril Veillon und Nadja Maillard ein Buch zu diesem Baustoff herausgegeben. Die Publikation gliedert sich grob in zwei Teile: In der ersten Hälfte werden Geschichte und Bedeutung des Stampflehmbaus in Mitteleuropa aufgearbeitet, während in der zweiten das Potenzial des Materials für heutige Konstruktionen aufgezeigt wird. 

Der historische Teil konzentriert auf den Stampflehmbau – auch Pisébau genannt – in den Regionen Rhone-Alpen, Genf und Deutschschweiz, die über die Epochen hinweg impulsgebend für die Schweizer Stampflehmarchitektur waren. In dem zweiten Teil werden die materiellen und bauphysikalischen Eigenschaften des Baustoffs umfassend aufgearbeitet und anhand von Praxisbeispielen veranschaulicht. Dabei geht es den Autor*innen stets auch um die charakteristische Ästhetik des Materials, die in den schönen Abbildungen zur Geltung kommt. Das Buch ist sowohl inhaltlich überzeugend als auch grafisch überaus ansprechend gestaltet und macht sich gut in jedem Bücherregal.