Gewerblicher Leerstand, gemeinschaftlich genutzt: Pionierwohnen in der Neckarspinnerei

Wohnen im Gewerbe ist möglich! Den Beweis lieferte das Team des Vereins Adapter e. V. mit den ersten realisierten Wohneinheiten in den leerstehenden Räumen einer Spinnerei. Die Idee entwickelten die Gründungsmitglieder 2018 im Studium.

Alles begann mit einem Gespräch am Küchentisch. Eine kleine Gruppe Masterstudierender der Uni Stuttgart beschäftigte die Frage: Wie geht es nach dem Abschluss weiter? Und wie es so oft am Küchentisch passiert, entfachte diese Frage eine Diskussion über urbane Gestaltungsspielräume. Dass eine Stadt wie Stuttgart das Potenzial bietet, Wohnraum anders zu denken, ermutigte die Studierenden, innerhalb kürzester Zeit ihre Ideen in eine Projektskizze umzuwandeln.

#ToBeContinued präsentiert Abschlussprojekte, die eine Geschichte erzählen: Konzepte, die weiterentwickelt und umgesetzt wurden und den Absolvent*innen einen erfolgreichen Berufseinstieg ermöglicht haben.

Gewerblicher Leerstand kann gemeinschaftlicher Wohn- oder Arbeitsraum werden! 

Unterstützt von Prof. Martina Baum vom Lehrstuhl Stadtplanung und Entwerfen untersuchten die vier motivierten Studierenden erstmals die Ursachen des Leerstands und die Möglichkeiten, diese Flächen durch Zwischennutzungen zu beleben. Im freien Entwurf „Wir machen Raum“ entwickelten Elif Kälberer, Richard Königsdorfer, Paul Vogt und Christiana Weiß 2018 die ersten Workshopformate für Interessierte sowie Prototypen aus Pappe für ein Ausbausystem, mit dem sie eine Ladenfläche bespielten und selbst bewohnten.

Ein produktives Semester, in dem das Team das akademische Angebot maximal nutzte und die Grundlagen für die weitere Ausarbeitung des Projekts legte. Besonders hilfreich waren Programme wie „Stuttgarter Change Labs“ und „e1ns zu e1ns“, die Infrastruktur, Material und finanzielle Mittel für Selbstbauprojekte bereitstellten. Diese vielversprechende Arbeit führten Elif, Richard und Paul in ihren Masterarbeiten 2018/19 fort, während Christina 2019 mit der Ausarbeitung des räumlichen Konzepts ihr Studium abschloss.

Raus aus dem Experiment, rein in die Realität

Die Umplanung leerer Gewerbeflächen dauert im Durchschnitt drei bis fünf Jahre. Davon, dass ein Bestandsbau in dieser Phase von Zwischennutzungen profitieren könnte, war das Team bereits überzeugt. Wie lässt sich jedoch die ausgereifte Projektidee umsetzen? Hartnäckigkeit und Überzeugungskraft waren gefragt, damit das Vertrauen der Eigentümer*innen von Gewerbeflächen gewonnen werden konnte. Um Projekte umzusetzen, bedarf es einer Organisationsstruktur: Das Kernteam gründete 2019 den gemeinnützigen Verein Adapter e. V. und beschloss, 40 Prozent ihrer Arbeitszeit ehrenamtlich in das Projekt zu investieren. Fünf Jahre später zählt der Verein 24 Mitglieder und ein besonderes Erfolgsprojekt im Portfolio. 

Das Pionierprojekt

Mit der Eröffnung des Projekts „Pionierwohnen im NQ“ im Juli 2024 verwirklichte das Adapter-Team endlich die Vision aus den Entwurfs- und Masterarbeiten. Vier Monate lang können bis zu acht Personen gemeinschaftliche Wohnmodelle in der leerstehenden, 1500 m² großen Erdgeschossfläche der denkmalgeschützten Neckarspinnerei auf dem Areal der IBA’27 Stuttgart testen. Dafür erhielt das Projekt eine Baugenehmigung für temporäres Wohnen in Gewerbeflächen – ein Novum. Für die flexible Gestaltung und schnelle Aneignung der Räume sorgt das clevere, eigens entwickelte Innenausbausystem „endo lokal“. Das wiederverwendbare Paneelsystem aus Holz ist ein Alleskönner: Es integriert Funktionselemente wie Küche, Bad, Schlaf- oder Arbeitsräume und ermöglicht unterschiedliche Nutzungskonfigurationen. Die gedämmten Paneele können über Steck-Verbinder von zwei Personen zusammengefügt werden.

Bis ins Detail durchdacht, steht das Pionierprojekt von Adapter exemplarisch für alternative, jedoch valide Wege, den Leerstand zu bekämpfen – ein erfolgreich gewonnener Meilenstein für die Vereinsgründer*innen, der nun zahlreiche Perspektiven für urbanes Wohnen eröffnet.