#MentalHealth: Als Frau in der Architekturpraxis

Kann Architektur nur durch Schweiß und Tränen entstehen? Was bedeutet es, in der Planungsbranche Mutter zu werden? Im Gespräch mit uns setzt sich Isabel Zintl, Mentorin für Frauen in Planungsberufen, kritisch mit den spezifischen Herausforderungen dieser Disziplin auseinander – in Studium und Praxis.

Unsere Reihe #MentalHealth widmet sich der psychischen Gesundheit in der Architekturausbildung und -praxis. Dazu möchten wir euch – begleitend zum Studium und Berufseinstieg – Erfahrungen, Haltungen, Erhebungen, Möglichkeiten und Programme aufzeigen, die sich auf unterschiedlichen Ebenen mit den immerwährenden Bedingungen der planerischen Disziplin befassen.

Dr. Isabel Zintl ist Dozentin für strategische Stadt- und Freiraumentwicklung, Beraterin und Mentorin für Frauen in der Planung. Seit 2015 vertieft sie diese Ansätze in ihrem eigenen Büro, in der universitären Lehre sowie in der Forschung und schafft Diskursräume durch Publikationen, Vorträge, Ausstellungen oder Stipendien. Seit 2019 hat sie die Herausforderungen als Frau und Mutter in der Architekturbranche erlebt und unterstützt Frauen als „New Work“-Pionierin auf ihrem Weg zur beruflichen und privaten Eigenermächtigung sowie in neuen nachhaltigen Berufsfeldern.

Sie haben selbst nach der Geburt Ihrer Tochter prägende Erfahrungen zu den Schwierigkeiten, als Frau und Mutter in der Architekturbranche tätig zu sein, gemacht. Können Sie uns erläutern, welche Erkenntnisse Sie gemacht haben?

Isabel Zintl: Als ich schwanger wurde, bin ich auf eine Art und Weise aus dem „System“ gefallen. Ich konnte nicht mehr so „funktionieren“, wie es allgemein von mir erwartet wurde und ich es vorher konnte. Das war ein herbes und auch schmerzhaftes Aufwachen. Lange Zeit habe ich damals die Schuld bei mir gesucht: Warum kann ich das nicht? Irgendwie scheint es doch für andere Frauen und Mütter möglich – weshalb für mich nicht? Diese Fragen habe ich mir gestellt, bis ich über die letzten Jahre – im Besonderen seit meiner Arbeit als Mentorin – erkannte, dass nicht ich das „Problem“ bin: Denn es sind die Strukturen und der oft sehr hohe Leistungsdruck in den Büros bzw. dem akademischen Bereich.

Frauen, insbesondere Mütter, verlassen reihenweise die Architektur. Mir scheint, spätestens mit 45 Jahren sind sie weg und kaum jemand spricht darüber. Allgemein geht es hier nicht nur um Leistungsdruck und Stress, der so viele ausbrennen oder gehen lässt – es sind veraltete Strukturen und Narrative, wie wir vermeintlich zu arbeiten haben und die verbreitete ungesunde Verknüpfung von Selbstwert und beruflicher Leistung. All das ist in der Summe weder nachhaltig noch zukunftsfähig und darf sich deshalb gerne ändern.

Wie hat diese persönliche Erfahrung Einfluss auf Ihre jetzige Arbeit genommen?

Isabel Zintl: Das hat mich zu meiner jetzigen Arbeit als Mentorin für Frauen in den planenden Professionen geführt. Selbst diese schmerzliche Erfahrung zu machen, hat mir gezeigt, wie groß der Missstand ist und wie dringend wir einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel in der Architekturbranche brauchen. Nicht nur, dass das neue „Bauen“ per se fragwürdig geworden ist – die notwendige Bauwende sollte Neuerungen auf vielen Ebenen bedeuten. Und zwar so, dass wir wirklich nachhaltig werden, nicht nur in dem, was wir bauen, sondern auch wie wir es tun, arbeiten und leben. Nachhaltigkeit bedeutet, keine Ressourcen zu erschöpfen und damit ist nicht nur Beton gemeint, sondern eben auch die eigne Arbeitskraft. Seit der Corona-Krise haben Fälle von Burn-out massiv zugenommen. Sie hat uns gezeigt, wie eng das Verhältnis von Arbeit und körperlicher und psychischer Gesundheit ist. Als Mentorin sind das die Themen, die mich antreiben, Frauen dabei zu helfen, für sich selbst zu sorgen, auch indem sie ihren eigenen Weg und ihre eigene Arbeitsweise finden.

Bereits in der Hochschule sind die Architekturstudierenden hoher Arbeitslast und sozialem Druck ausgesetzt. Wo sehen Sie in diesem Kontext die Schwierigkeiten, die Frauen (bereits) in der Architekturausbildung haben?

Isabel Zintl: In der Architektur gilt oft der Grundsatz: Gute Architektur entsteht nur durch Schweiß und Tränen. So sah mein Studium aus und ich stand unter einem extremen Leistungsdruck. Das galt als „normal“ – alle haben das so gemacht und tagelange Nachtschichten waren an der Tagesordnung. Deshalb habe ich das nicht hinterfragt und ging regelmäßig über meine seelischen und körperlichen Grenzen hinaus. Häufig herrschen Abgabeleistungen, die eigentlich nicht alleine zu schaffen sind, und an Hobbys oder einen Nebenjob neben dem Architekturstudium lässt sich kaum denken.

Dabei möchte ich explizit nicht den Lehrenden Vorwürfe machen, es handelt sich hier um ein grundsätzliches strukturelles Problem. Solange diejenigen mit den eindrucksvollsten, lückenlosesten Zeugnissen und den meisten Überstunden belohnt werden – in einer Gesellschaft, die nach wie vor auf Wachstum aufgebaut ist –, spiegelt sich dies natürlich auch in den Hochschulen und Universitäten wider. Diese Muster werden von Professor*innen und Dozent*innen häufig vorgelebt – da sie selbst oft nur durch extreme Leistungen in diese Positionen gekommen sind, was zur Folge hat, dass diese Muster von den Student*innen verinnerlicht und reproduziert werden können. Professor*innen wollen meist für ihre Studierenden das Beste – eine Vorbereitung auf ein hartes Berufsleben voller Konkurrenz – aber eben da sitzt die Grundlage und Chance für dringend notwendige Veränderung: Die Zukunft sollte nachhaltig und gemeinschaftlich gestaltet sein. Nur so können wir uns großen globalen Herausforderungen stellen, die wir nur gemeinsam meistern können.

Als Mentorin geben Sie Seminare, Workshops und 1:1-Begleitungen für die Ermächtigung von Frauen in planenden Professionen. Was können wir uns darunter vorstellen und wie sehen Ihre Ziele aus?

Isabel Zintl: Ich helfe Frauen auf ihrem beruflichen Weg und in die Eigenermächtigung. Oft geht es darum, Strukturen zu finden oder zu schaffen, die Frauen wirklich dienlich sind für nachhaltig gesunde und förderliche Arbeits- und Lebensumstände. Heißt, mein großes Ziel ist nicht eine einigermaßen funktionierende Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben/Familie, sondern wirklich mehr Freiheit, Leichtigkeit und Selbstbestimmung. Da ich selbst an diesem Ort angekommen bin und mir damit ein ganz wunderbares selbstbestimmtes Leben aufbauen konnte, möchte ich andere auf diesem Weg unterstützen. Meine Formate helfen die eigenen Stärken und Wünsche zu erkennen und den eigenen für sich nachhaltigen beruflichen Weg zu finden. Workshops, die Perspektiven aufzeigen, wie vielfältig beispielsweise die beruflichen Möglichkeiten in der Architektur eigentlich sind, jenseits des klassischen Architekturbüros – vielen ist das gar nicht bewusst. Auch helfe ich dabei, den Wert der eigenen Arbeit zu erkennen und diesen zu vertreten. Zudem stelle für meine 1:1 Mentees, die ich über 2 – 6 Monate begleite, Kontakte her, schaffe Verbindungen und verhelfe somit Frauen, in ihre eigene Kraft zu kommen.