#ToBeContinued: HerCity Weimar

Mit der Stadt Weimar wird Deutsche Klassik oder das Bauhaus assoziiert – an feministische Stadtplanung denken wohl die wenigsten. Um das zu ändern, haben Lia Zinngrebe und Lisa Maßel im Rahmen ihrer Masterarbeit das Projekt HerCity Weimar ins Leben gerufen. Gemeinsam setzen sie sich für ein geschlechtergerechtes Weimar ein.

Wer an Weimar denkt, denkt an große Namen der deutschen Literatur, an wichtige historische und politische Ereignisse oder an das Bauhaus und sein gestalterisches Erbe. Weite Teile des Stadtzentrums gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe und locken zahlreiche Tourist*innen in die kulturell bedeutsame Stadt. Doch es gibt auch Orte in der Stadt, an denen sich manche Personengruppen zu bestimmten Tageszeiten unwohl oder gar unsicher fühlen. Dazu zählen beispielsweise ein unbeleuchteter Radweg im Ilmpark an der Belvederer Allee oder der schlecht beleuchtete Weimarhallenpark. Die beiden Architekturstudentinnen Lia Zinngrebe und Lisa Maßel wollen auf derartige Mängel im Stadtraum und die Gefahren, die diese Orte für viele Personen in sich bergen, aufmerksam machen. Dafür haben sie im Zuge ihrer Masterarbeit an der ortsansässigen Bauhaus-Universität das Projekt „HerCity Weimar“ ins Leben gerufen. In dem Projekt geht es um die Auseinandersetzung mit gendersensibler und feministischer Stadtplanung am Beispiel ihres damaligen Studienortes.

#ToBeContinued präsentiert Abschlussprojekte, die eine Geschichte erzählen: Konzepte, die weiterentwickelt und umgesetzt wurden und den Absolvent*innen einen erfolgreichen Berufseinstieg ermöglicht haben.

Impuls von außen

Den Ausgangspunkt für das Projekt bildete die weltweite Initiative „HerCity“ des UN Habitat – ein Programm der Vereinten Nationen für menschliche Siedlungen – und des schwedischen Thinktanks Global Utmaning. Die Initiative engagiert sich für die Einbeziehung weiblicher Perspektiven in der urbanen Planung. 2021 wurde in diesem Rahmen ein Guide für eine inklusive und nachhaltige Stadtplanung veröffentlicht, der kostenfrei auf der Website des UN Habitat heruntergeladen werden kann. Von diesem Denkanstoß ausgehend, beschlossen Lia und Lisa sich im lokalen Kontext für ein geschlechtergerechtes und gendersensibles Weimar einzusetzen. Als angehende Architektinnen planten sie zunächst eine praktische Umsetzung im Weimarer Stadtraum. Doch schnell wurde klar, dass im ersten Schritt eine grundlegende Sensibilisierung relevanter Akteur*innen für die Ziele einer gendersensiblen Projektarbeit notwendig war. 


Status Quo

Die beiden Studentinnen führten eine Umfrage mit 246 Bürger*innen Weimars durch. Von diesen Personen identifizierten sich 66 Prozent als weiblich, 31 Prozent als männlich, zwei Prozent als nicht binär, und ein Prozent ließ die Frage nach dem Gender unbeantwortet. Über 90 Prozent der befragten Personen gaben an, dass sie manche Orte zu bestimmten Uhrzeiten meiden. Rund 50 Prozent würden längere Umwege in Kauf nehmen, um diese Orte zu umgehen. Zu den am stärksten gemiedenen Orten in der Stadt zählen unter den Befragten mit jeweils einem Fünftel der Stimmen der Hauptbahnhof und der Weimarhallenpark.

Nicht nur die Sicherheitsfrage beschäftigte Lia und Lisa. Sie untersuchten zudem die Repräsentation von Frauen im Stadtraum. Beispielsweise tragen nur zehn Prozent der Straßen, die nach Personen des öffentlichen Lebens benannt sind, den Namen einer Frau. Dieses Ungleichgewicht beobachteten die beiden auch bei den Denkmälern: Die meisten Statuen, die weibliche Personen darstellen, sind namenlos und stehen eher für ein stereotypes weibliches Rollenbild – etwa als fürsorgliche Mutter. Die einzige Skulptur, die explizit eine berühmte Frau würdigt, ist das Käthe-Kollwitz-Denkmal am Zeppelinplatz.


Fünf Grundprinzipien der „Stadt für alle“

Auf der Grundlage ihrer Nachforschungen haben Lia und Lisa fünf Grundprinzipien der sogenannten „Stadt für alle“ entwickelt: das Prinzip der Erreichbarkeit, des Vertrauens, der Bedürfnisse, des Individuums und der Anerkennung. Bei dem ersten Prinzip geht es um die Mobilität in der Stadt. Eine Stadt sollte nicht auf Autos, sondern auf ihre Bewohner*innen ausgelegt sein. Ein dichtes Fuß- und Radwegenetz, gute Infrastruktur und funktionale Durchmischung schaffen kurze Wege. Allen Menschen soll die selbstbestimmte und unabhängige Erschließung der Stadt ermöglicht werden. Bei dem Prinzip des Vertrauens geht es darum, durch schützende, planerische Maßnahmen sichere öffentliche Räume mit hoher Aufenthaltsqualität zu schaffen. Dadurch könne das soziale Netzwerk und das Gemeinschaftsgefühl der Bewohner*innen gestärkt werden. Das Prinzip der Bedürfnisse zielt darauf ab, den öffentlichen Raum so auszustatten, dass die Stadtbewohner*innen ihre Bedürfnisse – etwa nach Ruhe und frischer Luft – dort stillen können. Die Bedürfnisse der Menschen soll über wirtschaftliche Belange gestellt werden. Das Prinzip des Individuums sieht vor, dass der Stadtraum Individuen dazu einlädt, diesen mitzugestalten. Vor allem die Interessen von Kindern und Jugendlichen, Senior*innen, Frauen und Menschen mit Beeinträchtigung sollen stärker in den Vordergrund rücken. Abschließend geht es in dem fünften Prinzip um Anerkennung und Repräsentation aller Menschen im öffentlichen Raum. Dies kann beispielsweise durch die Benennung von Straßen und Plätzen, aber auch durch das Aufstellen von Denkmälern geschehen.


Viele kleine Interventionen

Mit vielen kleinen Aktionen und Interventionen wollen die beiden Studentinnen die Bewohner*innen und relevante Akteur*innen für ihr Anliegen sensibilisieren. Sie organisieren unter anderem feministische Stadtspaziergänge, Workshops, Diskussionsrunden, sprechen in Podcasts und publizieren regelmäßig auf ihrem Instagram-Kanal und ihrer Website. Ein Meilenstein ihrer Arbeit ist das Anbringen einer zusätzlichen Plakette am Straßenschilf der Schopenhauer-Straße in der Nähe des Bahnhofs. Fälschlicherweise wird oft angenommen, dass die Straße nach dem berühmten Philosophen Arthur Schopenhauer benannt wurde. Tatsächlich wird mit der Namensgebung seine Mutter, die Schriftstellerin Johanna Schopenhauer, geehrt. Eine kleine Plakette, die HerCity Weimar gemeinsam mit der Gleichstellungsbeauftragten, der Kulturbeauftragten und mithilfe der Unterstützung weiterer Abteilungen der Weimarer Stadtverwaltung organisierten, weist nun darauf hin.


Gendersensible Stadtplanung in der Lehre

Als Lia und Lisa ihre Masterarbeit anmeldeten, bot die Bauhaus-Universität Weimar im regulären Stundenplan keine Vorlesungen oder Seminare zum Thema feministische und gendersensible Stadtplanung an. HerCity Weimar leistete einen Beitrag dazu, dass sich dieser Umstand geändert hat. Drei Teilnehmerinnen führten das Projekt als Seminar an der Universität weiter. Im Wintersemester 2022/23 konnten Studierende aller Fachrichtungen die Lehrveranstaltung mit dem Titel „Gendersensible Stadtplanung“ als interdisziplinäres Modul belegen.

Video: HerCity Weimar