#BookChat: Feministische Architekturpraxis

Strukturelle Diskriminierung marginalisierter Gruppen ist in unserer heutigen Gesellschaft noch immer präsent. Auch die planerische Disziplin ist davon in hohem Maße betroffen. In diesem #BookChat stellen wir euch vier Publikationen vor, in denen von einem intersektional feministischen Standpunkt aus für einen Wandel des Status Quo plädiert wird.

Verfassungsrechtlich ist die Gleichberechtigung der Geschlechter im Artikel 3 des deutschen Grundgesetzes verankert. Dennoch werden Personen, die keine weißen, heterosexuellen cis-Männer sind, noch heute strukturell benachteiligt. Auch das Feld der Architektur, das in Teilen nach wie vor von patriarchalen Machthierarchien geprägt ist, ist von diesen diskriminierenden Strukturen stark betroffen. In den letzten Jahren hat der gesellschaftliche Diskurs um die Chancengleichheit und Sichtbarkeit von marginalisierten Gruppen in der Planung an Geschwindigkeit und Intensität zugenommen. Damit einhergehend ist auch die Anzahl an Publikationen, die zu diesem Thema erschienen sind, gestiegen. Wir haben euch eine lesenswerte Auswahl zusammengestellt.

Architektur für Alle?!

Bei diesem Buch handelt es sich um einen Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des Bremer Zentrums für Baukultur, die noch bis zum 12. März 2023 im Wagenfeld Haus zu sehen ist. Die Exposition ist unter anderem in Kooperation mit der School of Architecture Bremen und der Gleichstellungsstelle der Hochschule Bremen entstanden. Der inhaltliche Umfang des Buches geht jedoch über den einer reinen Begleitpublikation hinaus und sei nicht nur Besucher*innen der Ausstellung empfohlen.

Dem eigentlichen Katalog sind sieben Essays vorangestellt, die unter anderem der strukturellen Benachteiligung innerhalb der Branche und Wegen zu einer feministischen Stadtplanung gewidmet sind. Der räumliche Fokus der reich bebilderten Publikation liegt auf der Stadt Bremen. Zeitlich wird die Periode von 1945 bis heute behandelt. Wie der Titel vermuten lässt, sind sowohl der Ausstellung als auch dem Buch ein intersektionales Verständnis von Feminismus zugrunde gelegt. Diese Strömung will dafür sensibilisieren, dass Sexismus häufig mit weiteren Diskriminierungsformen wie etwa Rassismus oder Klassismus einhergeht und eine ganzheitliche Bekämpfung dieser Benachteiligungen erforderlich ist.


Schwarzer Rolli, Hornbrille

Scharfsinnig analysiert Karin Hartmann in ihrem „Plädoyer für einen Wandel in der Planungskultur“ den Status Quo des Berufsfeldes. Der Titel des Buches ist eine Anspielung an die vermeidlichen Helden der Architektur: die sogenannten „Meister“ der Moderne. Bilden diese Vorbilder die heutige Welt noch ab? Wer hat eine Stimme und wer darf sprechen? Was ist relevant und wer entscheidet darüber? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Autorin. Dabei geht es ihr nicht nur darum, neue Perspektiven zu eröffnen, sondern auch alte Narrative zu korrigieren.

Obwohl seit über 15 Jahren mehr Frauen als Männer das Studium der Architektur abschließen, steigen sie seltener beruflich auf und bleiben tendenziell häufiger in weisungsgebundenen Positionen, als ihre männlichen Kollegen. Viele Frauen schlagen im Laufe ihrer Karriere andere Wege ein. Verdrängungsmechanismen, die derartige Entwicklungen nach sich ziehen, nimmt Hartmann in kurzen Essays genauestens unter die Lupe. Abschließend gibt die Autorin den Leser*innen zentrale Grundbegriffe intersektionaler Ansätze in Form eines Glossars an die Hand, mit deren Hilfe strukturelle Missstände benennbar werden.


Feminist City

Leslie Kern widmet sich in ihrem Buch diskriminierenden Strukturen in Stadträumen. In fünf Kapiteln beleuchtet die assoziierte Professorin für Geografie und Ökologie in einem persönlichen, teils anekdotenhaften Schreibstil verschiedene Erfahrungsperspektiven. Kern thematisiert unter anderem die physischen und sozialen Hindernisse, mit denen sie sich als alleinerziehende Mutter in der Stadt konfrontiert sieht: „Während ich versuchte, mich in einer ungewohnten Reihe von Alltagsroutinen als Mutter zurechtzufinden, stellte sich die Stadt als physische Kraft heraus, gegen die ich auf konstante Weise ankämpfen musste.“ Sie schreibt empathisch über die Ängste, die Frauen in urbanen Räumen – etwa auf dem Weg nach Hause – nur allzu bekannt sind und untersucht, den Einfluss gebauter Strukturen auf diese Erfahrungen. Auch wenn die Ich-Perspektive des Buches im ersten Moment für Fachliteratur ungewohnt erscheinen mag, so bewirkt sie eine nahbare Darstellung des Themas. Feminist City ist ein persönliches Plädoyer für eine gerechtere Stadtplanung, die für die Bedürfnisse aller Bewohner*innen sensibilisiert ist.


Zeitgenössische feministische Raumpraxis

Vierzig Jahre nach der ersten und bisher einzigen feministisch positionierten Ausgabe der ARCH+, ist im Dezember 2021 ein Heft mit dem Titel „Zeitgenössische feministische Raumpraxis“ erschienen. Im Editorial reflektieren Anh-Linh Ngo und Melissa Koch selbstkritisch, dass sich die patriarchalen Strukturen der Profession sowie des Architekturdiskurses auch in der publizistischen Arbeit der Zeitschrift niedergeschlagen hätten: „Von über 20 vorwiegend theoretischen ARCH+-Monografien, die seit 1968 publiziert wurden, war keine einzige dem Werk von Frauen gewidmet.“

Die vorliegende Ausgabe stellt einen ersten Schritt dar, das Versäumnis einer Möglichkeit zur feministischen Positionierung wettzumachen. Die Autor*innen der Beiträge widmen sich unter anderem der Frage nach Möglichkeiten der Intersektionalisierung und Dekolonisierung eines weißen, männlichen, eurozentrischen Kanons. Sie fragen danach, wie queere und marginalisierte Perspektiven Eingang in die Disziplin finden können und wie Ausbeutungsstrukturen in Bezug auf Beschäftigung und Arbeitszeiten aufgehoben werden können.