#BookChat: Architekturkritik

Zwischen hoher gesellschaftlicher Relevanz und ständiger Selbstlegitimation bewegt sich die Architekturkritik. Die vier Publikationen in diesem #BookChat sind sowohl der Disziplin selbst als auch ihren bemerkenswerten Vertretern gewidmet.

Alle, die schon mal über Architektur geschrieben, geschweige denn sie kritisiert haben, wissen, dass dies kein leichtes Unterfangen ist. Umso bemerkenswerter ist es, wenn es Kritiker*innen gelingt, Texte zu schreiben, die nicht nur fachlich fundiert, sondern auch noch unterhaltsam zu lesen sind. In den folgenden Publikationen geht es um konkrete Architekturkritiken, aber auch um die Architekturkritik als Disziplin. Welchem Zweck dient sie? Wie hat sie sich entwickelt? Und: Welchen Herausforderungen muss sie sich unter aktuellen Rahmenbedingungen stellen?

Typisch Posener

Für Julius Posener war die Kritik ein Werkzeug, das er gezielt einsetzte, um Einfluss auf das zeitgenössische Architekturgeschehen zu nehmen. Ob in der Zeitung, in Büchern, im Rundfunk, im Fernsehen oder im Hörsaal – Posener nutzte seine sprachlichen Fertigkeiten in Form von einfachen, klaren Worten und subjektiven Formulierungen, um das Berliner Stadtbild mitzuprägen, ohne selbst zu bauen. Dem profilierten Architekturkritiker, -historiker und Hochschullehrer widmet Katrin Voermanek ein 150-seitiges Büchlein in mintfarbenem Einband, das 2019 im Jovis Verlag erschienen ist. Das Buch basiert auf den Recherchen für eine Dissertation, ist aber letztendlich ein Lesebuch.

Herzstück der Publikation sind neun „Häusergeschichten“, in denen es um Berliner Bauten geht, für die Posener sich starkmachte, die er kommentiert oder über die er sich geärgert hat. Die essayistischen Geschichten sind gespickt mit sorgfältig ausgewählten Zitaten, anhand derer Voermanek Poseners Kampf für den Erhalt historischer Bauten und seine Kritik an zeitgenössischer Architektur – etwa der Neuen Nationalgalerie oder dem ICC – veranschaulicht. Darauf folgt ein Kapitel, in dem die Autorin Poseners Leben und Werdegang schildert. Nicht nur die bemerkenswerte Sprache Poseners, sondern auch die mitreißende Erzählweise Voermaneks machen das Buch zu einer informativen und zugleich unterhaltsamen Lektüre, die man nur schwer aus der Hand zu legen kann.

On the Duty and Power of Architectural Criticism

Im Oktober 2021 veranstaltete die School of Architecture der University of Texas eine internationale Konferenz für Architekturkritik. Diskutiert wurden unter anderem die Ziele und Methoden von Architekturkritik. Welche ethische Basis sollte ihr zugrunde gelegt werden? Sollte sie aufklärerisch sein? Soll sie dazu beitragen, eine bessere gebaute Umwelt zu schaffen? Aus der Konferenz ist ein englischsprachiger Sammelband hervorgegangen, der von dem Architekten, Kritiker und Historiker Wilfried Wang im Verlag Park Books herausgegeben worden ist. Das Buch versammelt neben konkreten Fallstudien, Texte, in denen es um die Pflichten und die Macht von Architekturkritik geht. Die Autor*innen der 34 Aufsätze beschäftigen sich sowohl auf einer konkreten als auch auf einer Metaebene mit der Kritik am Gebauten als Disziplin. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den aktuellen medialen Rahmenbedingungen der kritischen Praxis, deren Komplexität durch zunehmende Digitalisierung enorm zugenommen hat.

Kritik

Wer sich einen Überblick über die Geschichte der Kritik im Allgemeinen und der Architekturkritik im Speziellen verschaffen möchte, dem*der sei die 200. Ausgabe der ARCH+ empfohlen. Das Redaktionsteam hinter diesem Heft skizziert eine Genealogie der Kritik von der Vormoderne bis zum 21. Jahrhundert. Diese ist durchzogen von Essays wie beispielsweise einem Aufsatz des Architekturkritikers und Stadtplaners Dieter Hoffmann-Axthelm zum Verhältnis von Kritik und Krise oder einem Text von Georg Vrachliotis zur Automatisierung der Kritik. Des Weiteren finden sich in der Ausgabe Beiträge bekannter Architekturkritiker des 20. Jahrhunderts wie Adolf Behne, Roger Ginsburger, Karel Teige, Siegfried Giedion, Reyner Banham und Manfredo Tafori. Begleitet werden diese historischen Besprechungen jeweils von analytischen Sekundärtexten.

Auch wenn die Ausgabe schon etwas in Jahre gekommen ist und deutlich macht, dass die Geschichte der Kritik und die Auseinandersetzung damit vor allem eine männliche und westliche ist, lohnt sich ein Blick in die 2010 erschienene Zeitschrift. Da Heft bietet neben einem systematischen Zugang zum weiten Feld der Architekturkritik zahlreiche Anknüpfungspunkte zu weiterführender Literatur. Den geschriebenen Beiträgen von Frauen zur Architekturkultur widmet sich derzeit unter anderem ein Forschungsteam um Dr. Anne Hultzsch am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. In dem Projekt „Women Writing Architecture: Female Experiences of the Built 1700-1900“ wird weibliche Architekturerfahrung in Europa und Südamerika im 18. und 19. Jahrhundert untersucht.

Hermann Funke - Architekturkritiken 1962-2003

„Ein einziges, ein x-beliebiges Gebäude reicht aus, um daran die ganze Pathologie der menschlichen Gesellschaft zu entwickeln.“, schreibt der 1932 geborene Wahl-Hamburger Hermann Funke in dem 1983 erschienen Sammelband „Architekturkonzepte der Gegenwart“. Architektur sei die Spur der Kultur und deren Entzifferung „und zwar so, daß aus diesem schrecklichen Vorgang noch Unterhaltung zu ziehen ist,“ sei die Aufgabe der Architekturkritik. Mit kritisch-fundiertem Blick, aber auch mit trockenem Humor kommentierte Funke hauptsächlich in der Wochenzeitung „Zeit“, aber auch im „Spiegel“ und in anderen Medien das Architekturgeschehen der damals noch jungen BRD. Der 2022 im hellgrünen Einband im adocs-Verlag erschienene Band versammelt Funkes Kritiken von 1962 bis 2003, wobei der Schwerpunkt bei den 1960er- und 1970er-Jahren liegt. In seinen Texten ordnet Funke die Gebäude, die er bespricht, in gesellschaftspolitische Debatten ein, die auch heute noch an Aktualität besitzen. Die kurzen, pointiert geschriebenen Texte machen vor allem Spaß zu lesen, sodass man gerne in einer freien Minute zu dem Buch greift und wahllos ein oder zwei Kritiken liest.