Zwischen Jugendherberge und Grand Hotel: Untersuchungen einer venezianischen Pension

Die Lagunenstadt Venedig hat viele Ecken, an denen ein Gefühl von Vergänglichkeit in der Luft liegt. Ein solcher Ort ist die familiengeführte Pensione Seguso, der sich Studierende der Bauhaus-Unversität Weimar in einem Seminar widmeten.

Der Komfort der familiengeführten Pensione Seguso, die 1910 in einem ehemaligen Palazzo am Canale della Giudecca eröffnet wurde, entzieht sich den gängigen Kategorien von Hotelbewertungen. In den Korridoren und Gemeinschaftsräumen des historischen Gebäudes finden sich antike Möbel, Gemälde, Silber und andere Kunstgegenstände. Fernseher hingegen sucht man in den eher schlicht eingerichteten Zimmern vergeblich. Auch verfügen nicht alle Zimmer über ein eigenes Bad.

Unter dem entliehenen Romantitel des englischen Schriftstellers E. M. Forster erforscht hier das Seminar „A Room with a View“ die kulturellen, ökonomischen, technologischen und räumlichen Bedingungen sowie die temporären und wiederkehrenden Formen des Zusammenlebens in der Pension. Geleitet wurde die Lehrveranstaltung von Prof. Verena von Beckerath und der Kunsthistorikerin Sassa Trülzsch an der Professur Entwerfen und Wohnungsbau der Fakultät Architektur und Urbanistik.

Handzeichnungen gewinnen Förderpreis

Manchmal lohnt es sich, über die Aufgabenstellung hinaus zu denken. Obwohl nicht als Arbeitsleistung gefordert, fertigten die Studierenden auf eigene Initiative kollektiv sechs Handzeichnungen der Grundrisse an. Die Räume, zu denen die Seminarteilnehmenden im Rahmen der Exkursion Zugang hatten, heben sich in den Zeichnungen durch ihre farbige Gestaltung von den für sie unbekannten Zimmern ab. Mit Buntstift und viel Liebe zum Detail statteten die Studierenden die ihnen bekannten Räume mit Bodenfliesen, Möbeln und Pflanzen aus. Die Zimmer, zu denen sie keinen Zugang hatten, sind leer geblieben. Auf einer Zeichnung tummelt sich im Wasser des angrenzenden Kanals eine Meerjungfrau, auf einer anderen wurde eine Spindeltreppe mit der Notiz „Hat die aufs Dach geführt?“ versehen.

Im Juli 2022 präsentierten die Studierenden ihre Zeichnungen in der Jahresausstellung „Summaery“ an der Bauhaus-Universität Weimar, die den Abschluss des Seminars bildete. Im Herbst 2022 wurden die Arbeiten mit dem Helmut-Rhode-Förderpreis für Architekturzeichnungen prämiert. Das Preisgeld in Höhe von 1.000 Euro teilten die 13 Studierenden zu gleichen Teilen untereinander auf.


Die Pensione Seguso in seegrünem Einband

Wer nicht bis nach Venedig fahren möchte, um sich ein Bild von der Pensione Seguso zu machen, kann dies auch beim Durchblättern der an das Seminar anknüpfenden Publikation tun. Der schlichte, seegrüne Leineneinband verrät auf den ersten Blick nicht viel über den Inhalt des Buches, das im Monroe Verlag erschien. Auf dem Cover ist lediglich der Titel „A Room with a View“ in weißen, serifenlosen Versalien in das Leinen geprägt. Im Inneren folgen auf eine Einleitung durch Verena von Beckerath Fotografien des Architekten und Fotografen Andrew Alberts, die die Pension in ihren Ecken und Winkeln zeigen. Ein Interview mit Pensionsinhaberin Yvonne Matijas Seguso und ihrem Sohn Lawrence Hoque, das im Rahmen des Seminars geführt wurde, bildet das Herzstück des Buches. Darüber hinaus wird die Publikation angereichert durch künstlerische und textliche Beiträge von Albrecht Kastein, Oda Pälmke und Ludovico Centis.