„Je weniger gezeichnet werden muss, desto präziser ist die Idee.“

Architektin Oda Pälmke ist Professorin für Raumgestalt und Entwerfen am fatuk, Fachbereich Architektur der TU Kaiserslautern (TUK). Die Buchreihe „Repertoire“ stellt die Schnittmenge ihrer Interessen in Lehre, Forschung und Praxis dar und ergründet das Thema der Präzision im architektonischen Diskurs und Entwurf.

In welchem Verhältnis steht die Buchreihe „Repertoire“ zu Ihrer akademischen und planenden Tätigkeit?

Die „Repertoire“-Ausgaben schildern mein Forschungsthema: die Nachhaltigkeit der Form. Ich interessiere mich dafür, wie durch Betrachtung die Welt verändert werden kann. Wenn man etwas präzise anschaut, unabhängig von Alter, Materialität oder Maßstab – wenn man lange genug und genau hinschaut, kann die symbolische Funktion aller Dinge verstanden werden. Meine Aufforderung lautet: Schau länger hin, erkenne und behalte es! Als Architektin komme ich oft zu dem Schluss, dass wir baulich nichts oder nur wenig machen müssen. In einem architektonischen Projekt ist es mir wichtig, dass meine architektonische Intervention nicht sofort erkannt wird und schon gar nicht, in welchem Jahr sie geschehen ist. Es geht mir um ein unsichtbares Verfeinern des Vorgefundenen.

„Sehr oft müssen wir einfach nichts machen.“ Wie vermitteln Sie Ihr Credo an Ihre Studierenden, und welche Rolle schreiben Sie den Lehrenden zu?

Meine sehr spezifische Herangehensweise an Architektur würde ich niemandem beibringen wollen. Ich vermittle den Studierenden vielmehr, dass sie zu allen Entscheidungen nur selber kommen können. Und um diese freien Entscheidungen treffen zu können, müssen sie meines Erachtens absolute Präzision kennengelernt haben. Der Anspruch ist: Je weniger gezeichnet werden muss, desto präziser ist die Idee. Ich unterrichte seit über fünf Jahren am fatuk, Fachbereich Architektur der TU Kaiserslautern das Fach „Raumgestalt und Entwerfen“ / „Spatial design“ und definiere Raum = Space und Entwerfen = Gestalt finden. Raumgestalt möchte ich meinen Studierenden nicht beibringen, ich möchte Erkenntnisse vermitteln.

Inwieweit spiegelt das Konzept des „Repertoire“ Ihre Lehrmethode wider?

Die ersten sechs Hefte verhandeln grundlegende Themen aus den Aufgabenstellungen an meine Studierenden. Zum Beispiel haben wir die Stadt Kaiserslautern durchfotografiert. Dabei sind wir davon ausgegangen, dass jedes Haus aus der Stadt wertvoll ist. Die Aufgabe war, es zu zerlegen und neu zu zeichnen. Die Studierenden zeichneten das Gefundene so lange, bis die Zeichnung präzise wurde wie ein Entwurf. Auf diese Weise entsteht aus dem „as found“ eine neue Gestalt. Die Sammlung der Zeichnungen mag zur Erweiterung des entwurflichen Repertoires anregen.

Was möchten Sie mit der Publikation vermitteln?

Die „Repertoires 1 bis 6“ sind eine ergebnisoffene Sammlung, ein unvollständiges Lexikon, eine ganz persönliche Zusammenstellung von Fragmenten, die ein Ganzes ergeben. Ähnlich wie in (Denis) Diderots Enzyklopädie sind das alles Werkzeuge, mit denen sich die Welt bauen lässt. „Repertoire 7“ ist anders – eine neue Arbeit, die nicht von Studierenden stammt. Wer sich ernsthaft mit dem Buch beschäftigt, kommt zwangsläufig durcheinander, liest Texte und Bilder zu architektonischen Momenten überkreuzt – und wird das hoffentlich als Bereicherung verstehen. Das aktuelle Heft „Repertoire 8“ überhöht diese Methode noch einmal und verweist auf einen „Kosmos der Ideen“, ähnlich dem Internet, aber in Buchform zur idealen, selbstreflexiven Sammlung kuratiert. Es ist eine subjektive Präzisierung der unendlichen Möglichkeiten, jede Seite verweist auf mehrere andere, das Lesen wird zum Assoziationsprozess. Was alle Repertoires verbindet, ist die Methode der Fiktionalisierung – die Elemente werden aus ihrem Kontext herausgenommen und im Kontext des Repertoires neu gesehen.

Die „Repertoires“ bieten das Instrumentarium für den Aufbau einer eigenen Gestaltungssprache. Wie sind die Bücher zu verwenden, und welchen Anspruch erheben Sie an Ihre Leser*innen?

Die Grundregel eines Repertoires ist, dass der oder die Leser*in Gesehenes, Gelesenes zitieren kann und nicht kopieren muss. Wenn man zitiert, gibt es kein richtig und falsch. Die „Repertoire“-Hefte sind keine Lehrbücher. Jedes Heft soll den Leser*innen ermöglichen, das eigene Repertoire zu erweitern. Es dient als Inspiration: Ich blättere durch, sehe etwas und kann gleich die eigene Maschine von Ideen und Assoziationen aktivieren. Das Herstellen von Büchern ist für mich eine Gestaltfindungs-Methode. Für mich ist ein Buch auch ein Haus, es ist eine Materialisierung und hat eine präzise gefundene Form. Die Benutzung dieses Buches ist der eigentliche Entwurf, beweist die Belastbarkeit der Konzeption. 

Haben Sie schon neue Themen für weitere Ausgaben in Sicht?

„Repertoire 8“ muss nicht von Anfang bis Ende gelesen werden, denn man kann und soll es einfach aufschlagen und etwas Interessantes sehen, das zum Weiterdenken anregt. Damit ist diese Methode auch erstmal ausreichend präzisiert. Jetzt könnte ein echtes Lehrbuch meiner Raumgestalt-Vorlesung, die über Präzision, Ästhetik, Raum und Gestalt handelt, folgen. Ich habe aber auch vor, ein Heft mit Gastbeiträgen zu machen, wie immer nach dem Vorbild von Steven Holls „Pamphlet Architecture“, das ich mit der Reihe „Repertoire“ zitiere.