Stadterneuerung im Netzwerk: Der Barcelona Superblock

Seit 2015 trägt das innovative Stadterneuerungsprojekt „Superblocks“ in Barcelona zur systemischen Transformation der Metropole bei. Die urbane Strategie hat nachhaltige Auswirkungen auf die Städtebaulehre und -forschung weltweit.

Stadtentwicklungsprojekte wie der Cerdà-Plan im 19. Jahrhundert sowie großmaßstäbliche Interventionen wie die olympische Infrastruktur 1992 und das Forum 2004 haben Barcelona international als Vorreiter in urbaner Gestaltung etabliert. Mit dem innovativen Superblock-Modell bestätigt die katalanische Metropole erneut ihre Rolle als Trendsetter in der Stadtplanung.

Xavier Matilla ist Architekt, Stadtplaner und Professor am Lehrstuhl für Städtebau, Raumplanung und Landschaftsgestaltung der Universitat Politecnica de Cataluña (UPC). Zwischen 2019 und 2023 verantwortete er als Chefarchitekt der Stadt Barcelona die Skalierung und bezirksübergreifende Umsetzung des Superblock-Projektes. Wir sprachen mit ihm unter anderem über den Einfluss des Großprojektes auf die akademische Lehre und Forschung.

Die Grundprinzipien des Superblocks im Überblick

Die Vorzeigestadt unter Druck: Barcelona kämpft seit Jahren mit einer anhaltend hohen Luft- und Lärmbelastung sowie einem überdurchschnittlichen Mangel an Grünflächen – pro Einwohner*in gibt es lediglich sieben Quadratmeter Grün. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, war ein Umdenken des bestehenden Verkehrssystems hin zu einem platzsparenden und umweltfreundlicheren Mobilitätsmodell notwendig – kurz gesagt: dem Superblock. Diese innovative urbane Vision nimmt sich der bestehenden Stadt ganzheitlich an und ändert lediglich die Prioritäten: Der Superblock setzt auf gesunde und geteilte Mobilitätsformen sowie die Wiedergewinnung von Straßenraum.

Alles begann mit zwei Pilotprojekten, die 2016 stichprobenartig umgesetzt wurden. Aufgrund der positiven Ergebnisse beschlossen die Stadtverwaltung und -politik, das Projekt zu skalieren. Zu diesem Zweck entwickelte man einen Zehnjahresplan, der vorsieht, bis 2030 insgesamt 21 Straßen und 21 Plätze umzugestalten sowie 21 neue Grünachsen zu schaffen. Die erste Phase des Projektes startete im Jahr 2020 unter der Leitung von Xavier Matilla.

Systemisch und vernetzt

Für diverse Ansätze, innerstädtische Bereiche vom Verkehr zu befreien und den öffentlichen Raum zu stärken, ist Barcelona schon seit den 1990er-Jahren bekannt – meist punktuelle Interventionen mit lokaler Wirkung. Was die Superblocks erreichen, geht darüber hinaus, indem sie diesen Ansatz skalieren und einen systemischen Wandel im Mobilitätsmodell einleiten. Der Superblock ist ein Netzwerkprojekt.

„This new network of green arteries defines a new environmental infrastructure that will make it possible to make environmental improvements and adapt the entire city to climate change. The aim is not to improve a few streets, but to extend a systemic improvement to the entire city.“ Xavier Matilla

Daraus resultiert ein komplexes Ökosystem, in dem der öffentliche Raum mitunter durch Interventionen des taktischen Urbanismus eine tiefgreifende Transformation erlebt: Grün ersetzt Grau, Freizeitangebote verdrängen Verkehrsstress und Stau, Schatten vermeidet Überhitzung. Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Doch messbare Daten legitimieren dieses Modell und bestätigen die positiven Auswirkungen auf das Stadtklima und die Gesundheit der Bewohner*innen im Bezirk Eixample, wo bis 2023 vier Grünachsen und vier Plätze umgestaltet wurden. Vor allem in den heißen Sommermonaten machen sich die um 60 bis 80 Prozent erhöhte Beschattungsfläche und die Reduzierung der Oberflächentemperaturen um bis zu fünf Grad Celsius bemerkbar.

Innovationstreiber mit lokaler und internationaler Resonanz 

Die Reproduzierbarkeit des Superblock-Modells hänge von der Optimierung der Straßenstruktur ab und solle in jeder städtischen Morphologie möglich sein, betont Matilla. Wenn ein regelmäßiges, orthogonales Netz wie in Barcelonas Eixample keine Voraussetzung ist, könnte diese Strategie auch in anderen Städten angewendet werden. Im Jahr 2022 bekundeten knapp 300 Delegationen aus der ganzen Welt ihr Interesse an dem Superblock-Konzept. International entstanden neue Forschungsinitiativen unterschiedlicher Größenordnung wie das „TuneOurBlock“-Projekt des Austrian Institute of Technology in Wien oder die jüngste Umgestaltung des Steinhuber Miniblocks an der TU München.

Seit der Umsetzung des Pilotprojekts dienen die Superblocks als Untersuchungsobjekte. Die forschende Arbeit von Studierenden und Wissenschaftler*innen hat wertvolle Erkenntnisse im Hinblick auf den partizipativen Prozess, die politischen Rahmenbedingungen sowie die Skalierbarkeit und Übertragbarkeit des Modells erbracht. Mithilfe von Methoden wie Mapping, Monitoring, Interviews und empirischen Beobachtungen haben akademische Teams vor Ort Daten gesammelt, auf deren Grundlage das urbane Projekt weiterentwickelt wird. Beispielsweise haben Studierende von der University of British Columbia, der University of North Carolina (UNC) und der Königlichen Technischen Hochschule KTH mithilfe von Jan Gehls Forschungsmethoden Muster in der Nutzung des öffentlichen Raums in den Superblocks untersucht. Gleichzeitig weist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Superblocks auf potenzielle negative Auswirkungen hin, wie etwa Gentrifizierung. Die aktuellen Forschungsergebnisse sind in der kürzlich erschienenen Publikation „Barcelona Superblock“ zusammengefasst.

In der Lehre: Fokus auf Stadterneuerung

Im Gespräch mit Xavier Matilla interessierten wir uns für die Wechselwirkung zwischen seiner beruflichen Tätigkeit in der Verwaltung und seiner akademischen Arbeit an der UPC. Die Stadt Barcelona dient der Hochschule als Experimentierfeld. Erkenntnisse aus dem Superblock-Paradigma verändern unmittelbar die universitäre Städtebaulehre, die bisher auf dem Grundsatz des urbanen Wachstums beruhte und sich nun zu einer Disziplin der Stadterneuerung entwickelt. Von Stadterweiterung, Verdichtung, Urbanisierung von Land und Neubau verlagert sich der Fokus zunehmend auf die bestehende Stadt.

Matilla ermutigt seine Studierenden, die Stadt als eine Ressource zu betrachten und sich für die Wiederverwendung des Vorhandenen einzusetzen. Viele Entwurfsprojekte gehen innovative Wege, um diese Idee umzusetzen und liefern wertvolle Impulse für die Aktivierung vernachlässigter städtischer Bereiche wie Industriegebiete oder Messegelände, indem sie auf die Grundprinzipien des Superblock-Modells aufbauen.

Ungewisse Zukunft

Der Superblock in Barcelona ist ein inspirierendes Modell, das eine ganzheitliche Zukunftsvision für die Stadt formuliert. Mit einem starken Fokus auf den öffentlichen Raum und das städtische Gemeinschaftsleben schafft er ambitionierte Szenarien für eine strategische und systemische Umgestaltung hin zu einer menschenzentrierten, gesunden, inklusiven und diversen Stadt. Es ist jedoch wichtig zu bedenken, dass die urbane Transformation nach wie vor ein politisches Projekt ist. Der jüngste politische Wandel in der katalanischen Metropole macht dies deutlich. Davon abhängig ist die Weiterführung des Barcelona Superblock-Projektes ungewiss.