Deckensysteme mit Lehm: Das Projekt „Minimal Mineral“
Wie kann der Anteil von Mineralstoffen in Bauteilen reduziert werden? Mit dieser ambitionierten und für die Baubranche höchst relevanten Fragestellung beschäftigt sich das Forschungsprojekt „Minimal Mineral“.
60 bis 70 % der CO₂-Emissionen eines Neubaus sind auf die Herstellungsphase des Tragwerks zurückzuführen. Einen großen Anteil davon haben Deckensysteme zu verantworten, die im Vergleich zu den restlichen Bauelementen die meiste graue Energie einbinden und somit eine der größten Herausforderungen auf dem Weg zu klimaschonendem Bauen darstellen. Diese Erkenntnis nimmt das Team von Prof. Christoph Gengnagel an der Universität der Künste (UdK) in Berlin zum Anlass, herkömmliche Deckentypologien im Geschossbau hinsichtlich des Materialeinsatzes zu optimieren.
Traditionelle Deckensysteme neu interpretiert
Das Projekt „Minimal Mineral“, das die Forscher*innen am Lehrstuhl für Konstruktives Entwerfen und Tragwerksplanung (KET) der UdK ausführen, entwickelt Deckensysteme basierend auf traditionellen Bauweisen weiter. Gegenstand der Untersuchung bilden somit zwei bekannte Typen: die Kappen- und die Kassettendecke. Aufbauend auf den konstruktiven Vorteilen dieser historischen Bautypologien und unter Verwendung digitaler Fertigungsverfahren optimiert das Projektteam die Bauweise im Hinblick auf verschiedene Parameter: graue Energie, Zirkularität, Materialverbrauch, Akustik und Herstellungsverfahren. Hierbei kommt es auf das geeignete Material an: Das Forschungsprojekt setzt auf die Eigenschaften von Lehm.
Tradition mit Innovation: Kappe+
Seit dem 19. Jahrhundert wurde die sogenannte preußische Kappe – eine Deckenkonstruktion bestehend aus aneinandergereihten Tonnengewölben – in Industrie-, Gewerbe- und Wohnungsbauten eingesetzt. Obwohl die einachsig druckbelasteten Kappen ein materialsparendes und robustes Deckensystem bildeten, sind sie längst nicht mehr Standard. Dabei liegt das Einsparungspotenzial von grauer Energie dieser Konstruktionsart bei über 50 Prozent. Im Rahmen des „Minimal Mineral“ Projekts ist „Kappe+“ der Versuch, das traditionelle Kappendeckensystem mit intelligenten Gestaltungs- und Anfertigungsmethoden für die zeitgenössische Bauindustrie wieder tauglich zu machen.
Kappe+ ist ein Holz-Mauerwerk-Hybridsystem, das die traditionellen Stahlträger durch maßgeschneiderte Twin-Balken aus Brettschichtholz ersetzt. Neben genormten Ziegelsteinen werden auch rezyklierte oder additiv gefertigte Lehmziegel getestet. Der Aufbau ist frei von Kompositen und Verbundstoffen, sodass alle Materialbestandteile sortenrein rückgebaut werden können. Durch die Optimierung der verwendeten Ziegel wirkt die Rohdecke schallabsorbierend. Eine besondere Geometrie der Hohlräume dieser Ziegelsteine ermöglicht die präzise Kontrolle der akustischen Eigenschaften. Die Anfertigung der Deckenkonstruktion ist automatisiert – der menschliche Arm wird durch einen robotischen ersetzt. Als innovatives Projekt erhält Kappe+ von der Fördereinrichtung Zukunft Bau Unterstütztung.
Reduktion und Substitution: Kassette+
Die Architektur der Moderne verwirklichte neue ästhetische und konstruktive Ambitionen mithilfe des Stahlbetons. Kassettendecken stellten die material- und gewichtsoptimierte Version der Betondecke dar. „Kassette+“ ist der Teil des Forschungsprojekts „Minimal Mineral“, der sich hauptsächlich mit der Geometrie und der Materialzusammensetzung der Rippenelemente einer Decke befasst. Das zweiachsig belastete Kassettendeckensystem bildet sich aus Hohlkörpern, 3D-gedruckt in Lehm. Neben der Verbesserung der mechanischen, thermischen und akustischen Leistung der so entstandenen Bauelemente, bleibt deren zirkuläre Rückbaubarkeit ein wichtiger Anspruch des Forschungsvorhabens.
Innovative Bauteile für einen baldigen Einsatz
Die Idee, die konventionelle Kappendecke unter Berücksichtigung moderner Fertigungsmethoden und -anforderungen zu untersuchen, ergab sich während eines studentischen Entwurfsprojekts. Seitdem hat das Forschungsteam mit Kappe+ und Kassette+ zwei Deckensysteme geschafft, die die unmittelbare Einsetzbarkeit additiver Fertigungsmethoden beweisen – zwei auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Lösungen, die die Baubranche dringend benötigt.