Abriss oder Erhalt? Ausstellung zu einer neuen alten Frage in Kassel

Widerstand gegen Abrissvorhaben und Ideen der Nachnutzung im historischen Kontext: An der Universität Kassel startet eine Ausstellung, die auf die Geschichte des eigenen Campusgeländes zurückblickt.

2023 konnte der Fachbereich Architektur – Stadtplanung – Landschaftsplanung (ASL) an der Universität Kassel auf sein 50-jähriges Bestehen zurückblicken. Die Gründung der damaligen Gesamthochschule Kassel (GhK) zog ein zukunftsorientiertes akademisches Umfeld nach sich, das schon zu Beginn   ökologische und soziale Fragen diskutierte. Am 10. Januar 2024 eröffnet die Ausstellung „Abriss oder Erhalt. Die Henschelei und die Gesamthochschule Kassel“ im Rahmen der zehnteiligen Reihe „Das Kasseler Modell 1973-2023. 50 Jahre Architektur – Stadtplanung – Landschaftsplanung an der Universität Kassel“.  Mit den Ergebnissen seines Seminars „Abrissfrage“ im WS 2022/23 am Fachgebiet Architekturtheorie und Entwerfen kuratierte der wissenschaftliche Mitarbeiter Dr. Alexander Stumm die Ausstellung zusammen mit den Studierenden. Die beiden Studentinnen Lara Kienold und Victoria Eyrich übernahmen die Art Direction.

Kasseler Industriegeschichte

Ausgangspunkt der Schau ist die historische Betrachtung und Auseinandersetzung mit dem heutigen Campusareal am Holländischen Platz in Kassel. Dort waren vormals die Henschel-Werke angesiedelt, eine der bedeutendsten Lokomotivfabriken Europas. Zur Zeit des Zweiten Weltkrieges avancierte das Unternehmen zu einem der größten Rüstungsbetriebe – eine äußerst dunkle Episode, die gekennzeichnet war durch den Einsatz von Zwangsarbeit und der Zerstörung Kassels, für die der Betrieb als alliiertes Bombardierungsziel mitverantwortlich ist.

Abriss? Nein Danke!

Ende der 1970er Jahren sollten die Gebäude der sogenannten Henschelei dem Erdboden gleichgemacht werden. Zur selben Zeit sollte die GhK in einem neuerrichteten Campus vor den Stadttoren untergebracht werden. Dagegen regte sich Widerstand aus den Reihen der Studierendenschaft und der Professor*innen, denn die existierenden Industriebauten auf dem Henschel-Gelände seien weiterhin seitens der Hochschule nutzbar. In der Jubiläumsausstellung sind nun die Initiativprojekte und Planungsinhalte zusammengetragen, die die Umnutzung der Bestandsgebäude unterstützt haben. Bildmaterial und Berichte, die die Studierenden mit Zeitzeug*innen erarbeiteten, veranschaulichen die damalige Stimmung. Leider scheiterte der gesamte Erhalt damals am politischen Willen – Die wenigen noch erhaltenen Strukturen haben die Macher*innen der Ausstellung jedoch in besonderem Maße mit in das Gesamtkonzept einbezogen. Durch Mappings wurden für den Besucher*innen die Veränderungen über die Jahre nachvollziehbar.

Anknüpfung an heutige Diskussionen

Aktuell steht die gängige Abrisspraxis vor dem Hintergrund einer notwendigen Ressourcenschonung immer weiter in der Kritik – Initiativen wie das Abrissmoratorium oder „an.ders Urania“ entstanden in der letzten Zeit als Reaktion auf ein unhinterfragtes Abreißen und Neubauen. Die Ausstellung in Kassel soll zeigen, dass sich solche Gedanken bereits vor über vierzig Jahren im Umlauf befanden und selbst brandaktuelle Diskurse dadurch in einer reichen Traditionslinie stehen. Ein Rückblick, der  bis zum 25. Januar 2024 an der Universität Kassel zu sehen ist. Ein Ausstellungskatalog mit weiteren Texten der Studierenden erscheint im April 2024.