Höchstes 3D-gedrucktes Bauwerk weltweit: Der Weisse Turm

Ein kultureller Leuchtturm inmitten der Alpen, eine einzigartige Architektursprache und eine ressourcenschonende Bauweise in Beton – das verkörpert die innovative Struktur, deren Umsetzung an der ETH Zürich begonnen hat.

Der Weisse Turm, ein einzigartiges Bauwerk für kulturelle Aufführungen, steht für Innovation an der Schnittstelle von computergestütztem Design, digitaler Fabrikation, Tragwerk und Materialwissenschaften. Giovanni Netzer, Intendant der Nova Fundaziun Origen, hat das Projekt initiiert und in enger Zusammenarbeit u. a. mit der ETH Zürich durchgeführt. Michael Hansmeyer und Prof. Benjamin Dillenburger von der Abteilung für Digitale Bautechnologien des Institutes für Technologie in Architektur verantworten die Architektur des Turms. Der Druck der Struktur begann im Wintersemester 2023/24, die Eröffnung ist für den 25. Juni 2024 geplant.

Migrationsgeschichten architektonisch interpretiert

Die Struktur soll die Geschichte der Bündener Zuckerbäcker, Baumeister und Stuckateure, die durch ihr handwerkliches Geschick weltweit bekannt wurden, honorieren. Ihre Auswanderung hat jedoch die Bevölkerung des Schweizer Bergdorfs Mulegns stark dezimiert – aktuell sind dort weniger als 20 Personen ansässig. Um das Dorf vor dem Aussterben zu bewahren, ein Zeichen gegen das Phänomen der Auswanderung zu setzen und sanften Tourismus in der Region zu fördern, plant Giovanni Netzer, die Kulturstätte als Attraktionspunkt und architektonisches Kunstwerk zu errichten.

Auf dem denkmalgeschützten Sockel der alten Fuhrhalterei soll die insgesamt 30 Meter hohe, weiße Konstruktion emporragen. Die räumliche Erfahrung steigert sich in vertikaler Abfolge, in der obersten Etage eröffnet der Theater- und Konzertsaal einen Ausblick über die gesamte Region. Der Turm ist ein entmaterialisiertes Bauwerk mit einer fast unsichtbaren Haut, die das Skelett offenbart. Das begehbare, vierstöckige Gerüst, das durch 32 verzweigte 3D-gedruckte Säulen plastisch und konstruktiv gestaltet wird, verleiht dem Turm sein einzigartiges Erscheinungsbild und fungiert als Demonstrator für die Möglichkeiten des 3D-Drucks im Gebäudemaßstab.

Beton nur dort, wo strukturell benötigt 

Als eine Struktur, bei der gedruckter Beton erstmalig vollständig strukturell eingesetzt und die Stahlbewehrung im robotischen Fertigungsprozess eingefügt wird, treibt das Projekt des Weissen Turms die Innovation im 3D-Druck von Beton voran. Um sicherzustellen, dass die 3D-gedruckten Säulen strukturell stabil sind, werden sie horizontal und vertikal mit Bewehrungsstahl verstärkt. Auch die Geometrie der hohlen Säulen trägt zur Festigkeit bei. Für die Geschossdecken, die nicht gedruckt werden können, hat das Forschungsteam ein alternatives Verfahren entwickelt, das den 3D-gedruckten Schalungsbau mit Guss aus neu entwickelter Betonmischung verbindet.

Das an der ETH entwickelte Druckverfahren ermöglicht eine kostengünstigere und präzisere Errichtung der Struktur. Der gezielte Einsatz von Beton und der Verzicht auf Schalungen reduzieren den Materialverbrauch um 50 Prozent und eröffnen gleichzeitig gestalterische Freiheiten für eine neue Architektursprache.

Leuchtturm mit Nachnutzungskonzept 

Die modulare Bauweise, die vorgespannten Einzelteile und die trockenen Verbindungen durch Schrauben deuten darauf hin, dass die Planenden auch den Rückbau mitberechnet haben. Der Weisse Turm sollte einfach demontiert und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden können. Zudem sind alle Projektdaten in einem digitalen Zwilling gespeichert.

Präsentationsvideo des Weissen Turms