Architektur im Kleinformat: Vier Bücher zu Modellen
Gedankenstütze, Experimentierfeld, Ausstellungsstück – Architekturmodelle erfüllen ganz unterschiedliche Funktionen. Vier Buchtipps zum Thema versammelt dieser #BookChat.
Man stelle sich einen Ausstellungsraum vor: An den Wänden hängen Fotos, Pläne und Erläuterungstexte, in der Mitte thront ein Architekturmodell. Wo stehen die meisten Leute? Modelle üben auf Fachpersonen und Laien gleichermaßen eine enorme Faszination aus. In Lehre und Praxis erfüllen die Architekturen im Kleinformat verschiedene Funktionen. Als Entwurfswerkzeug dienen sie der Erprobung von Verhältnissen, Sichtbezügen, Licht- und Schattenwirkung oder Oberflächen. Das repräsentative Exponat veranschaulicht Gebäude im Ausstellungskontext und macht sie für Museumsbesucher*innen greifbarer. Die Autor*innen der folgenden vier Publikationen widmen sich dem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven.
Are You a Model?
Was bestimmt die Funktionen und Wirkungskräfte eines Modells? Wann im Entwurfsprozess entfaltet es seine Kraft, und wann hat es seinen Zweck erfüllt? Der von Anna-Maria Meister, Teresa Fankhänel, Lisa Beißwanger, Chris Dähne, Christiane Fülscher und Anna Luise Schubert herausgegebene Sammelband beleuchtet das Architekturmodell aus disziplinübergreifenden Perspektiven. Das englischsprachige Buch umfasst insgesamt 31 kurze Aufsätze, die in neun Kapitel aufgeteilt sind. Jedes Kapitel steht unter einer Leitfrage, die teils provokativ, teils mit einem Augenzwinkern gelesen werden kann: Spielt die Größe eine Rolle? Wer hat mich gemacht? Bin ich echt?
In den knappen, fundierten Texten geht es unter anderem um Maßstab, Autor*innenschaft und die Rolle von Modellen in partizipativen Prozessen. Weiterhin beleuchten die Autor*innen die Fragen, was mit Modellen geschieht, sobald sie ihren Zweck erfüllt haben, wie sie etwa in Theater und Film Verwendung finden können, oder was wir von ihnen lernen können. Das Besondere an der Publikation ist ihre unkonventionelle Gliederung. Der Untersuchungsgegenstand wird nicht wie meist üblich nach Entstehungszeit, Genre oder Material klassifiziert. Vielmehr extrahieren die Herausgeberinnen einzelne Facetten des Modells, um sie aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten. Sowohl die Länge der Aufsätze als auch die Art der Formulierungen machen das Buch trotz seiner Dichte zu einer leicht zu lesenden Lektüre.
Modelling the Metropolis?
Das London des 19. Jahrhunderts hat ein enormes Bevölkerungswachstum erfahren und entwickelte sich zum globalen Zentrum des Finanzwesens, des Industriekapitalismus und des britischen Empire. Dadurch wuchs der Bedarf an neuen Gebäuden, städtischen Räumen und Infrastrukturen erheblich: Es wurde viel gebaut und umgebaut. Dem Architekturmodell kam hinsichtlich dieser Entwicklungen eine wichtige Bedeutung zu. Es diente Personen aus Architektur und Politik sowie der breiten Öffentlichkeit unter anderem als Kommunikationsmedium. Auf Grundlage fundierter Recherchen und umfangreicher Archivarbeit beleuchtet Matthew Wells die Rolle des Architekturmodells zu dieser Zeit.
Erklärtes Ziel der Publikation ist die Kombination einer Objektanalyse mit einer neuen historischen Lesart. Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Geschichtsschreibung, die auf Autor*innenschaft beruht, schlägt Wells eine neue Perspektive vor, die die Pluralität der involvierten Akteur*innen betont. Die Entstehung der modernen Metropole ist nicht das Werk Einzelner, sondern das Ergebnis einer Zusammenarbeit Vieler, so die These. In diesem Zusammenhang begreift der Autor den Modellbau als kulturelle Technik, die maßgeblich zur Stadtentwicklung des Viktorianischen Londons beigetragen hat. Nicht zuletzt lohnt sich aufgrund der zahlreichen Modellfotos, historischer Dokumente und Pläne ein Blick in dieses Buch.
Architektur und Modellbau
Bei dem Buch „Architektur und Modellbau“ von Alexander Schilling handelt es sich um ein Grundlagenwerk, das die Geschichte, Funktion und Bedeutung von Modellen beleuchtet. Die Publikation ist vor allem als erste Einführung in das Thema geeignet. Der Autor zeigt anhand von Beispielen die Möglichkeiten des Modellbaus auf. In dem reich bebilderten Buch sind die verschiedenen Modelltypen und ihre Eigenschaften versammelt. Es wird auf die unterschiedlichen Dimensionen des Architekturmodells eingegangen und auf die möglichen Materialien, die beim Modellbau zum Einsatz kommen können. Tabellarische Übersichten über die verschiedenen Modellbaustoffe, Werkzeuge und ihre Einsatzgebiete machen das Buch zu einem praktischen Begleiter für Modellbauanfänger*innen.
Denken in Modellen
Abschließend gibt es etwas für die Augen: Der von Georg Vrachliotis, Joachim Kleinmanns, Martin Kunz und Philip Kurz herausgegebene Katalog „Frei Otto – Denken in Modellen“ ist in Zusammenhang mit der gleichnamigen Ausstellung erschienen, die vom 05. November 2016 bis 12. März 2017 im Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe gezeigt wurde. Die Schau wurde initiiert vom Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai) des KIT und der Wüstenrotstiftung. Grundlage für die Ausstellung bildeten die über 400 Modelle, die sich im Werkarchiv von Frei Otto im saai befinden. Auf über 200 Hochglanzseiten zeigt die Publikation eine Auswahl aus dem umfangreichen Archiv. Weiterhin umfasst das Buch vier Essays von Georg Vrachliotis, Joachim Kleinmanns und Martin Kunz, Irene Meissner und Cornelia Escher sowie 20 Projekte des Architekten. In erster Linie ist der über 400 Seiten schwere Band eine bildreiche Inspirationsquelle, die zum Blättern und darin Versinken einlädt.