Zukunft ohne Wachstum: Niko Paech über resiliente Versorgungsformen

Was versteht man unter Postwachstumsökonomie, und was hat sie mit Architektur und der Baubranche zu tun? Prof. Dr. Niko Paech lehrt und forscht an der Universität Siegen im Bereich Pluraler Ökonomik. Im Gespräch gab er uns interdisziplinäre Einblicke in seinen Fachbereich.

Sie beschäftigen sich mit der Postwachstumsökonomie. Können Sie kurz erläutern, worum es dabei geht?

Niko Paech: Die Postwachstumsökonomie zielt auf eine zukunftsbeständige, d.h. resiliente, global gerechte und innerhalb ökologischer Grenzen darstellbare Versorgungsform ab. Sie erstreckt sich auf fünf Handlungsebenen: Erstens ist eine Entrümpelung des Konsum- und Mobilitätswohlstandes durch Praktiken der Selbstbegrenzung nötig. Zweitens wäre die damit einhergehende Senkung der Industrieproduktion mit einer 20-Stunden-Woche zu kombinieren, um auf dieser Basis Vollbeschäftigung erreichen und die freigewordene Zeit für ergänzende Selbstversorgungsleistungen nutzen zu können. Dies umfasst insbesondere die Gemeinschaftsnutzung von Gebrauchsgütern, die Reparatur beziehungsweise Instandhaltung und eigene Produktion, beispielsweise in Gärten und Werkstätten. Drittens wäre die Regionalökonomie zu stärken, basierend auf dem Konzept der „Solidarischen Landwirtschaft“, handwerklicher Produktion, Gebrauchtgüterhandel und Verleihsystemen. Viertens wäre die verbliebene, stark verringerte Industrieproduktion an Langlebigkeit, Modularität und Reparierbarkeit zu orientieren. Fünftens sind diverse institutionelle Reformen nötig, vornehmlich ausgerichtet an globaler Gerechtigkeit, Minderung von Wachstumstreibern und einem ökologischen Budget von maximal ein bis zwei Tonnen an CO₂-Äquivalenten pro Kopf und Jahr.


Ein wenig polemisch gefragt: Können wir uns Wachstum überhaupt noch leisten?

Niko Paech: Alle Versuche, das ohne Wachstum nicht zu stabilisierende Wohlstandsmodell mittels technischer Innovationen ökologisch überlebensfähig werden zu lassen, sind nicht etwa nur gescheitert, sondern haben neue Wellen der ökologischen Zerstörung hervorgerufen, vor allem im Energiebereich. Weiterhin basiert eine Wachstumswirtschaft auf globalisierter Spezialisierung und Verflechtung, also einem komplexen System, das extrem krisenempfindlich ist und sich weder dauerhaft stabilisieren, geschweige denn demokratisch gestalten lässt. Hinzu kommen psychische Wachstumsgrenzen, weil der Homo sapiens als zeitabhängiges Lebewesen nicht in der Lage sein kann, jenseits eines Sättigungspunktes an Güterreichtum weitere Konsummöglichkeiten auszuschöpfen, sodass sich daraus eine Steigerung an Lebensqualität ergeben könnte. Reizüberflutung, Stress und Orientierungslosigkeit sind die Wegbegleiter einer Konsumgesellschaft, deren Angebote sich nicht mehr in Gänze verarbeiten lassen.


Was hat Ihr Forschungsfeld mit Architektur zu tun? Warum sollten sich (angehende) Architekt*innen damit befassen?

Niko Paech: Kaum etwas hat unserer ökologischen Mitwelt jemals mehr zugesetzt als blindwütige Bauaktivitäten, die übrigens gerade in letzter Zeit noch brutaler ins Kraut schießen als je zuvor. Die zumeist unwidersprochene Behauptung der Politik, es würden pro Jahr ca. 400.000 neue Wohneinheiten benötigt, während der pro Kopf in Anspruch genommene Wohnraum in Deutschland gerade die 50-Quadratmeter-Marke gerissen hat, ist an Verantwortungslosigkeit kaum zu überbieten. Dabei schlagen nicht nur der Flächenverbrauch, sondern die ökologischen Rucksäcke der Baustoffe zu Buche, insbesondere Beton sowie die zusätzlichen Energieverbräuche und Verkehre.


Wie schauen Sie als Ökonom auf die aktuelle Bauwirtschaft? Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern? Worin sehen Sie die zukünftige Aufgabe von Architekt*innen?

Niko Paech: Jede Verhinderung von Neubau, primär die Vermeidung jeglicher weiteren Flächenversieglung wäre ein Gebot der Stunde. Bauen im Bestand, die Optimierung vorhandener Immobilien sowie die Entwicklung von Wohnformen, die dazu befähigen, mit weniger Wohnraum auszukommen, sind nötig. Wichtig sind auch Wohnumgebungen, die Verkehr reduzieren und eingebettet sind in Konzepte der Gemeinschaftsnutzung, um Konsum zu reduzieren.