Zirkularität in Lehre und Praxis: Prof. Linda Hildebrand über kreislauffähiges Bauen
Prof. Linda Hildebrand ist Juniorprofessorin für Rezykliergerechtes Bauen an der RWTH Aachen und Mitgründerin von Concular. In ihrer Lehre und beratenden Praxis setzt sie sich für einen nachhaltigen Umgang mit dem Bestand ein. Was sich in der heutigen Baupraxis ändern muss und welche Rolle digitale Werkzeuge in diesem Prozess spielen, verriet sie uns im Interview.
Was bedeutet zirkuläres Bauen für dich? Warum besitzt dieses Thema aus deiner Sicht aktuell eine hohe Relevanz?
Zirkularität ist ein abstraktes Konzept, das den Kreis als Idealbild zugrunde legt und damit über Zeit und Ort hinaus die Geschlossenheit eines Systems fordert. Zirkuläres Bauen ist ein wesentliches Prinzip, um die großen Herausforderungen im Bauwesen (vor allem Wohnungsraum für alle) innerhalb der planetaren Belastungsgrenzen zu bewältigen. Es verändert sich die Sicht auf Bausubstanz, die bisher baukulturelle oder technische Aufgaben erfüllte und um die Relation zur Umwelt erweitert wird. Konkret bedeutet es, den Einsatz von Ressourcen gering zu halten. Das kann durch die Nutzung von Bestehendem oder durch Produkte aus erneuerbaren Rohstoffen umgesetzt werden.
Der spannende und neue Bereich ist dabei der Lebenszyklusübergang, die Phase zwischen zwei Nutzungen. Für mich ist zirkuläres Bauen ein Überbegriff, der sowohl Auswirkungen auf das Klima (quantifizierbar mit Ökobilanz), als auch die Mehrfachnutzung der Gebäudesubstanz (quantifizierbar mit z. B. CPI oder UMI) umfasst.
Wie integrierst du kreislaufgerechtes Bauen in deine Lehre an der RWTH Aachen? Welche Inhalte vermittelst du deinen Studierenden?
Bei der Juniorprofessur Rezykliergerechtes Bauen haben wir verschiedene Formate, in denen wir entweder eher Grundlagen vermitteln oder die Umsetzung im Entwurf in den Vordergrund stellen. Zur ersten Kategorie passt die Bauwendevorlesung, die wir dieses Semester mit Beteiligung von 14 Hochschulen organisieren. Die Themen im Entwurf umfassen vor allem Weiternutzungen von Bestehendem, wie Sanierung oder Bauen mit Wiederverwendung. Ein weiteres Format sind die Forschungsfelder, bei denen die Studierenden ein leerstehendes Gebäude analysieren und verschiedene Nachnutzungsvarianten gestalterisch und technisch durcharbeiten. Ziel ist es, den Aufwand mit dem Nutzen gegenüberzustellen. In der Lehre geht es mir vor allem darum, zu sensibilisieren, den Studierenden eine eigene Haltung zu ermöglichen und Umsetzungsstrategien zu vermitteln.
Könntest du deine Arbeit bei Concular beschreiben? Welche Ziele verfolgt das Unternehmen?
In meinem akademischen Umfeld und auch in der beratenden Praxis habe ich oft erlebt, dass ökologische Potenziale zwar ausgewiesen, aber nicht umgesetzt wurden. Mit der Gründung von Concular möchte ich zur Umsetzung zirkulären Bauens beitragen. Die Nutzung von wiederverwendeten Bauteilen ist ein unausgeschöpftes Potenzial, für das sich Strukturen etablieren müssen. Concular unterstützt mit verschiedenen Werkzeugen Planende, Bestandshaltende und Vertretende der Industrie dabei, gebrauchte Bauteile in die nächste Nutzung zu bringen. Als externe Beraterin gebe ich Impulse für die verschiedenen Werkzeuge und die Strategie.
Was muss sich deiner Meinung nach in der heutigen Entwurfspraxis und im Umgang mit Materialien und Ressourcen ändern?
Die Gruppe derer, die planetare Grenzen ernst nehmen, muss weiter wachsen und kreativ mit Bestandsgebäuden umgehen, um sie in der Gegenwart zu verorten. Ist ein Bedarf nur über Neubau zu decken, sollten genutzte Bauprodukte und erneuerbare Rohstoffe integriert werden. Dabei hat ersteres größere Auswirkungen auf den Prozess. Eine flexible Grundhaltung im Entwurf ist gefordert, die die Anforderungen der Bauaufgabe mit den Eigenschaften der verfügbaren Ressourcen abgleicht. Darüber hinaus müssen ökologische Anforderungen stärker in Regularien, wie in Ausschreibungen, und gesetzlichen Vorgaben gefordert werden.
Welche Rolle spielen digitale Instrumente auf dem Weg zu einer nachhaltigen Baubranche?
Das Abwägen von Planungsstrategien ist komplex und wird mit der Berücksichtigung ökologischer Aspekte noch umfangreicher. Digitale Instrumente können helfen, diese Komplexität zu bewältigen und die Ergebnisse zu kommunizieren. Plattformen sind wesentlich, um (genutzte) Bauprodukte zu vermitteln oder um Ökobilanzdaten zugänglich zu machen. Diese Instrumente sind als Entscheidungsgrundlage wertvoll für Planende. Digitale Planungsinstrumente haben spezifische Anforderungen an die Art und Detailtiefe von Informationen, müssen entsprechend der Aufgabe eingesetzt werden und der Logik der Architektur folgen (nicht andersherum). Sinnvoll eingesetzt, sind sie ein wesentlicher Baustein für die Umsetzung der Bauwende.