Was sind die Grundlagen in der Architektur? Matthias Ballestrem über einen prüfenden Umgang unserer Methoden

Prof. Matthias Ballestrem lehrte bereits an der TU Berlin sowie an der HCU Hamburg und koordinierte das Fellowship Programm von Bauhaus Erde und Experimental. Seit dem Sommersemester 2024 leitet er den Lehrstuhl „Grundlagen der Architektur“ an der TU Dortmund. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was diese Basis heute bedeuten kann und welche Ziele er an seine Architekturlehre stellt.

Du hast seit Frühjahr diesen Jahres die Professur für „Grundlagen der Architektur“ inne. Wie beschreibst du die Grundlagen, die zu vermitteln sind, und auf welchem Wege lehrst du sie?

Matthias Ballestrem: Diese Frage stelle ich mir selbst im Moment. Die „Bauwende“ ist wohl eine passende Bezeichnung für die aktuell dringliche Notwendigkeit des Wandels in der Architektur, ob sie nun gelingt oder nicht.  Das bedeutet auch, dass wir die Grundlagen der Architektur kritisch prüfen müssen. Das betrifft unter anderem die grundlegenden Medien, Praktiken, und Methoden – also das Handwerkszeug: Die Zeichenkonventionen haben sich in der Architektur je nach der Haltung und Priorisierung der jeweiligen Epoche immer wieder verändert. Wie können wir also die Medien und Praktiken anpassen und weiterentwickeln, sodass sie für das zirkuläre und regenerative Bauen gut geeignet sind? Wie zeichnen wir z. B. den Bestand, mit dem wir umgehen, auf eine Weise, die uns hilft, ihn immer weiterschreiben zu können? Um welche Referenzen ergänzen wir die Klassiker in unseren Vorlesungen? Wie integrieren wir KI sinnvoll und hilfreich? Welchen Konstruktionsarten und Materialien gehört die Zukunft?

In der Grundlagenlehre sehe ich die Herausforderung, gleichzeitig wichtiges Handwerkszeug für das Entwerfen zu vermitteln und die oben genannten Themen und Diskurse so an die Studierenden heranzutragen, dass sie ihre eigene Haltung dazu entwickeln können, die ihnen und ihren Begabungen als auch Interessen entspricht. 

Deine Schwerpunkte liegen in entwurfsbasierter Forschung, experimentellem Entwerfen, Raumwahrnehmung, räumlicher Komplexität und Neurourbanistik. Kannst du uns diese Themenfelder etwas näher erläutern und wie bringst du sie in deine Lehre ein?

Matthias Ballestrem: Es ist wahrscheinlich ganz automatisch so, dass die eigenen Schwerpunkte auch die Lehre prägen. Unsere Einführung in das Entwerfen folgt einem sehr wahrnehmungsbasierten und körperzentrierten Zugang zur Architektur – Raum als Dialogpartner zum menschlichen Körper. Das kommt aus meinem ureigenen Interesse an der Architektur als sinnlicher Disziplin und meiner Promotion, die mich zur Neurourbanistik und räumlicher Komplexität geführt hat.  

Entwurfsbasierte Forschung und experimentelles Entwerfen betreffen dann eher die Methodik: Entwerfen wird zur Forschung, wenn es als ergebnisoffener Experimentierprozess verstanden und entsprechend methodisch strukturiert wird. So lehren wir das Entwerfen. Aber so praktizieren wir das Entwerfen auch im Rahmen unseres Programms Entwurfsbasierte Promotion (PEP). Dabei wollen wir gleichzeitig die Methodik unserer Disziplin als solche verstehen und beschreiben und praktizierende Architekt*innen durch das Entwerfen wissenschaftlich qualifizieren. Mit meinem Antritt an der TU Dortmund bringe ich auch diese Methodik dort in die Forschung ein.

Du hast neben deinem akademischen Weg mit u. a. zwei Gastprofessuren einen stark akademischen geprägten Weg. Zuletzt hast du das Bauhaus Earth Fellowship Program geleitet. Wie bringst du diese Erfahrungen in deine jetzige Lehre ein?

Matthias Ballestrem: Vor allem meine Arbeit mit Bauhaus Erde und Experimental in den letzten zwei Jahren waren ein bereichernder Schritt aus der akademischen Welt heraus und hat es mir ermöglicht, mich zu den Themen biobasiertes und zirkuläres Bauen neu zu positionieren und intensiv weiterzubilden. Das passt gut zu dem sehr baukonstruktiv orientierten Studium in Dortmund. Gleichzeitig bringe ich aus meiner langjährigen Entwurfslehre mit, dass ich auch diese kritischen aktuellen Themen für die Architektur zuerst als gestalterische Aufgabe verstehe und nicht als eine rein technische Fragestellung. Es bleibt weiterhin die Kernaufgabe der Disziplin, unsere Zeit mit ihren Herausforderungen und Anschauungen in eine erfahrbare Lebenswelt zu übersetzen.

Welche Ziele verfolgst du an deinem Lehrstuhl, und was wünschst du dir für die Zukunft der Architekturlehre?

Matthias Ballestrem: Ich beobachte seit Jahren, dass an den Universitäten immer weniger Lehrpersonal für gleichbleibende oder steigende Zahlen an Architekturstudierenden zur Verfügung stehen. Obendrein sollen wir als Lehrende ermöglichen, dass möglichst viele Studierende in Regelstudienzeit abschließen, auch wenn viele von ihnen parallel zum Studium mehrere Tage pro Woche arbeiten. Das führt leicht zu einer Verschulung des Studiums – einem Abarbeiten von Aufgaben. Ich denke aber, das Studium sollte sich nach wie vor deutlich von einer Ausbildung unterscheiden. D. h., ich möchte auch bei den im Verhältnis zum Lehrpersonal sehr hohen Studierendenzahlen an der TU Dortmund ein Umfeld schaffen, in dem die Studierenden darin unterstützt werden, autonom zu studieren, ihren eigenen Interessen nachzugehen und ihre Begabungen zu entfalten. Das bedeutet, von den Studierenden viel Eigenverantwortung zu fordern und von uns gegenüber einer Vielfalt von individuellen Architektursprachen offen zu sein und diese beratend zu fördern.