Zeiten zeigen: Augmented Reality im DesignBuild-Projekt Wehrmachtsbarracke
Gemeinsam mit dem Fachgebiet haben Studierende eine Wehrmachtspferdestallbaracke analysiert, abgebaut und in ein Freiluftmuseum gebracht. Für die zukünftige Vermittlungsarbeit der Geschehnisse in dem vom NS-Regime entwickelten Bautypus haben Studierende eine räumliche, digital-analoge Ausstellung konzipiert.
Im Jahr 2022 hat das Fachgebiet Architekturtheorie und Entwerfen der Universität Kassel unter der Leitung von Prof. Philipp Oswalt eine Wehrmachtspferdestallbaracke des Typs 260/9 erworben. Diese Art von Baracke wurde in verschiedenen Konzentrations- und Vernichtungslagern des NS-Regimes eingesetzt. Die Pferdestallbaracke wurde im Sommer 2022 demontiert und soll in diesem Jahr im Freilandmuseum Oberpfalz wieder aufgebaut werden. Um die Geschehnisse, Nutzung und Aneignung dieses historisch-geprägten Bautyps zu vermitteln, haben Studierende im Rahmen eines Lehrauftrages von Refrakt neben dem konstruktiven Aufbau, ein digitales Ausstellungskonzept mittels Augmented Reality (AR) erarbeitet.
Die Pferdestallbaracke OKH 260/9
Das nationalsozialistische Ordnungssystem umfasste zahlreiche Lager zur Unterbringung einer großen Anzahl von Menschen. Neben den frühen, massiven Kasernenstandorten der Wehrmacht und der Waffen-SS wurden zudem temporäre Lager in Holzbauweise sowie standardisierte Barackentypen entwickelt. Auch das Oberkommando des Heeres (OKH) entwarf genormte modulare Baracken für militärische Zwecke, die unter anderem als Pferdestall, Fahrzeuggarage und Unterkunftsbaracke genutzt wurden. Typen wie der Pferdestall-Typ 260/9 fanden schließlich auch Verwendung in Konzentrations- und Kriegsgefangenenlagern, unter anderem auch Auschwitz-Birkenau und Buchenwald, wo die Häftlinge in den primitiven, oft schlecht isolierten Holzbauten untergebracht waren. Diese Holzbaracken sind als Symbol für den Holocaust in das kulturelle Gedächtnis eingegangen – vergleichbar mit den Viehwaggons, die Menschen in die Lager transportierten. Zahlreiche Baracken dieses Typs wurden nach dem Krieg umgesiedelt und wiederverwendet, einschließlich dieses speziellen Gebäudes, das als Schuppen für landwirtschaftliche Maschinen diente.
Aufbau an neuem Ort
Im Sommersemester 2022 initiierte das Fachgebiet Architekturtheorie das DesignBuild-Projekt „Wehrmachtsbaracke 260/9“. In diesem Rahmen erwarb es ein Objekt des Typs auf dem ursprünglichen Standort des Militärübungsgeländes Hohenfels – eines jetzigen Bauernhofs – wo sich das Kriegsgefangenenlager STALAG 383 befand. Studierende dokumentierten und analysierten die Baracke und dessen Typologie und bauten sie ab, um sie schließlich ab 2024 im Freiluftmuseum Oberpfalz wieder errichten zu können.
Zeitreise mit dem Smartphone
Für den Wiederaufbau und das Ausstellungskonzept sollte hier im Gegensatz zu den üblichen denkmalpflegerischen Praktiken in Freilichtmuseen nicht eine bestimmte Zeitschicht des Baus priorisiert, sondern verschiedene Zustände und Anwendungen dieses Bautyps für Besucher*innen erfahrbar gemacht werden. Diese Gleichzeitigkeit erforderte jedoch eine neue Denkweise, die die Architektur mit analogen und digitalen Konzepten verbindet und einen ganzeheitlichen Kontext herstellt. Dazu hat das Fachgebiet im Sommersemester 2023 Carla Streckwall und Alexander Govoni vom Designstudio Refrakt im Rahmen eines Lehrauftrages hinzugezogen. Gemeinsam mit den Studierenden entwickelten sie eine selbst programmierte App, die fünf verschiedene Verwendungen des Barrackentyps mithilfe von AR parallel veranschaulicht.
Kleine Gruppen entwickelten für jede dieser Zeitebenen beispielhafte Anwendungen und Schaustellen im Raum. Diese basierten auf Objekten, Fotografien und Zeitzeugenberichten und sollten vergangene Ereignisse wieder zum Leben erwecken – sei es durch animierte Bilder, Sprachausgaben oder Informationsflächen. Beispielsweise hat eine Gruppe eine virtuelle Theaterbühne mit Schauspieler*innen erzeugt, um die Baracke als Kriegsgefangenenlager und die dazugehörige Geschichte zu zeigen. Alle Objekte sind analog und digital an unterschiedlichen, dem jeweiligen Kontext entsprechenden, Orten im Raum positioniert und können zum Teil durch die digitale Ebene parallel an gleicher Stelle gezeigt werden.
Zur besseren Orientierung hat der Kurs ein Image-Tracking eingesetzt. Dabei werden verschiedene Objekte als Illustrationen angezeigt, die die virtuellen Inhalte auslösen können. Für das gesamte Interface der App reflektierten die Lehrenden und Studierenden stets die sensible Gestaltung der Inhalte und des historischen Materials. Besucher*innen konnten sich bereits vor Ort in ein von den Studierenden gebaute Modell der Baracke im Maßstab 1:3.33 hineinbegeben und die Ausstellung mit ihrem eigenen Smartphone erleben.